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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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lassen. Aber sie werden sich, nachdem jetzt dort die japanische Verschwörung
ausgebrochen ist, wohl die Frage vorlegen, ob es genügt, militärische Vorsichts¬
maßregeln zu treffen und die weitere japanische Einwandrung zu verbieten, oder
ob sie nicht noch andre Maßnahmen ergreifen müssen, um sich vor unliebsamen
Überraschungen zu schützen. Allerdings werden sie, falls sie sich zu einer Be¬
schränkung der Kopfzahl der Japaner entschließen sollten, die größere politische
Sicherheit mit einer Einbuße der wirtschaftlichen Entwicklung erkaufen müssen.
Denn die Zuckerplantagen brauchen ein großes Arbeiterheer. Die eingebornen
Arbeiter reichen dafür bei weitem nicht aus. Andrerseits hat sich die Einfuhr
europäischer Arbeiter, soweit sie sich überhaupt für Plantagenarbeiten gewinnen
lassen, als ungemein kostspielig erwiesen, sodaß also eigentlich nur die Heran¬
ziehung ostasiatischer Arbeiter übrig bleibt. Es wird nicht leicht sein, einen
Ausweg aus dieser Zwickmühle zu finden.




(Line Rechtsphilosophie
von Lark Zentsch 1

le Grenzboten sind seit beinahe zwanzig Jahren in der Lage,
Symptome zu verzeichnen, die beweisen, daß der Materialismus,
der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Denkerwelt
die Herrschaft antreten zu wollen schien, auf der ganzen Linie
im Zurückweichen begriffen ist, wenn er auch in breiten Volks¬
schichten gerade jetzt erst wuchert, wie ja auch jede Kleidermode der Vornehmen
ehedem vom Volke immer erst nachgeahmt zu werden pflegte, wenn jene sie
schon mit einer andern vertauscht hatten (heute verlaufe" Nachahmung und
Wechsel so rasch, daß man den Zeitabstand kaum noch wahrnimmt). Das
Recht, meint vielleicht mancher, müßte vor Angriffen des Materialismus sicher
sein, da es, nur mit menschlichen Handlungen sich befassend, keine Angriffs¬
punkte darbiete. Aber der Materialismus besteht ja gerade darin, daß die
menschlichen Handlungen auf Vorgänge der materiellen Welt zurückgeführt
werden, und darum ist es erfreulich, daß die neueste Rechtsphilosophie nicht
ven Darwinismus, sondern die Lehre Hegels zur Grundlage wühlt. (Lehr¬
buch der Rechtsphilosophie von Josef Kohler, o. ö. Professor an der
Universität, Geh. Justizrat und Mitglied vieler gelehrten Gesellschaften. Berlin
und Leipzig. Dr. Walther Rothschild, 1909.) Kohler definiert: "Das Recht
lst die Norm des Verhaltens, die sich infolge des innerlichen Triebes nach
vernünftiger Lebensgestaltung von der Gesamtheit aus dem Einzelnen auf¬
drängt. Es scheidet sich von Sitte, Brauch, Religion aus, sobald man dazu


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lassen. Aber sie werden sich, nachdem jetzt dort die japanische Verschwörung
ausgebrochen ist, wohl die Frage vorlegen, ob es genügt, militärische Vorsichts¬
maßregeln zu treffen und die weitere japanische Einwandrung zu verbieten, oder
ob sie nicht noch andre Maßnahmen ergreifen müssen, um sich vor unliebsamen
Überraschungen zu schützen. Allerdings werden sie, falls sie sich zu einer Be¬
schränkung der Kopfzahl der Japaner entschließen sollten, die größere politische
Sicherheit mit einer Einbuße der wirtschaftlichen Entwicklung erkaufen müssen.
Denn die Zuckerplantagen brauchen ein großes Arbeiterheer. Die eingebornen
Arbeiter reichen dafür bei weitem nicht aus. Andrerseits hat sich die Einfuhr
europäischer Arbeiter, soweit sie sich überhaupt für Plantagenarbeiten gewinnen
lassen, als ungemein kostspielig erwiesen, sodaß also eigentlich nur die Heran¬
ziehung ostasiatischer Arbeiter übrig bleibt. Es wird nicht leicht sein, einen
Ausweg aus dieser Zwickmühle zu finden.




(Line Rechtsphilosophie
von Lark Zentsch 1

le Grenzboten sind seit beinahe zwanzig Jahren in der Lage,
Symptome zu verzeichnen, die beweisen, daß der Materialismus,
der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Denkerwelt
die Herrschaft antreten zu wollen schien, auf der ganzen Linie
im Zurückweichen begriffen ist, wenn er auch in breiten Volks¬
schichten gerade jetzt erst wuchert, wie ja auch jede Kleidermode der Vornehmen
ehedem vom Volke immer erst nachgeahmt zu werden pflegte, wenn jene sie
schon mit einer andern vertauscht hatten (heute verlaufe» Nachahmung und
Wechsel so rasch, daß man den Zeitabstand kaum noch wahrnimmt). Das
Recht, meint vielleicht mancher, müßte vor Angriffen des Materialismus sicher
sein, da es, nur mit menschlichen Handlungen sich befassend, keine Angriffs¬
punkte darbiete. Aber der Materialismus besteht ja gerade darin, daß die
menschlichen Handlungen auf Vorgänge der materiellen Welt zurückgeführt
werden, und darum ist es erfreulich, daß die neueste Rechtsphilosophie nicht
ven Darwinismus, sondern die Lehre Hegels zur Grundlage wühlt. (Lehr¬
buch der Rechtsphilosophie von Josef Kohler, o. ö. Professor an der
Universität, Geh. Justizrat und Mitglied vieler gelehrten Gesellschaften. Berlin
und Leipzig. Dr. Walther Rothschild, 1909.) Kohler definiert: „Das Recht
lst die Norm des Verhaltens, die sich infolge des innerlichen Triebes nach
vernünftiger Lebensgestaltung von der Gesamtheit aus dem Einzelnen auf¬
drängt. Es scheidet sich von Sitte, Brauch, Religion aus, sobald man dazu


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[0557] Line Rechtsphilosophie lassen. Aber sie werden sich, nachdem jetzt dort die japanische Verschwörung ausgebrochen ist, wohl die Frage vorlegen, ob es genügt, militärische Vorsichts¬ maßregeln zu treffen und die weitere japanische Einwandrung zu verbieten, oder ob sie nicht noch andre Maßnahmen ergreifen müssen, um sich vor unliebsamen Überraschungen zu schützen. Allerdings werden sie, falls sie sich zu einer Be¬ schränkung der Kopfzahl der Japaner entschließen sollten, die größere politische Sicherheit mit einer Einbuße der wirtschaftlichen Entwicklung erkaufen müssen. Denn die Zuckerplantagen brauchen ein großes Arbeiterheer. Die eingebornen Arbeiter reichen dafür bei weitem nicht aus. Andrerseits hat sich die Einfuhr europäischer Arbeiter, soweit sie sich überhaupt für Plantagenarbeiten gewinnen lassen, als ungemein kostspielig erwiesen, sodaß also eigentlich nur die Heran¬ ziehung ostasiatischer Arbeiter übrig bleibt. Es wird nicht leicht sein, einen Ausweg aus dieser Zwickmühle zu finden. (Line Rechtsphilosophie von Lark Zentsch 1 le Grenzboten sind seit beinahe zwanzig Jahren in der Lage, Symptome zu verzeichnen, die beweisen, daß der Materialismus, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Denkerwelt die Herrschaft antreten zu wollen schien, auf der ganzen Linie im Zurückweichen begriffen ist, wenn er auch in breiten Volks¬ schichten gerade jetzt erst wuchert, wie ja auch jede Kleidermode der Vornehmen ehedem vom Volke immer erst nachgeahmt zu werden pflegte, wenn jene sie schon mit einer andern vertauscht hatten (heute verlaufe» Nachahmung und Wechsel so rasch, daß man den Zeitabstand kaum noch wahrnimmt). Das Recht, meint vielleicht mancher, müßte vor Angriffen des Materialismus sicher sein, da es, nur mit menschlichen Handlungen sich befassend, keine Angriffs¬ punkte darbiete. Aber der Materialismus besteht ja gerade darin, daß die menschlichen Handlungen auf Vorgänge der materiellen Welt zurückgeführt werden, und darum ist es erfreulich, daß die neueste Rechtsphilosophie nicht ven Darwinismus, sondern die Lehre Hegels zur Grundlage wühlt. (Lehr¬ buch der Rechtsphilosophie von Josef Kohler, o. ö. Professor an der Universität, Geh. Justizrat und Mitglied vieler gelehrten Gesellschaften. Berlin und Leipzig. Dr. Walther Rothschild, 1909.) Kohler definiert: „Das Recht lst die Norm des Verhaltens, die sich infolge des innerlichen Triebes nach vernünftiger Lebensgestaltung von der Gesamtheit aus dem Einzelnen auf¬ drängt. Es scheidet sich von Sitte, Brauch, Religion aus, sobald man dazu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/557>, abgerufen am 28.04.2024.