Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein Hymnus vom Leben.

Es gibt Bücher, die auf uns wie starke persön¬
liche Mächte -- ergreifend, erhebend oder niederdrückend -- wirken. An Shakespeare
kann man das wohl am besten erfahren. Daneben aber stehn andre, deren Lektüre
uns eine der seltnen stillen Feierstunden des Lebens bereitet, in denen wir unser
kleines Dasein vergessen und vor dem Geheimnis des Lebens das Gefühl tiefer
Ehrfurcht gewinnen. Auf ein solches Buch möchte ich hier hinweisen, damit es auch
andern die gleiche Gabe bringe. In dem Streite der Weltanschauungsfragen hat
mit Recht die Naturwissenschaft eine führende Rolle gewonnen. Das soll nicht
vergessen werden, mögen auch einzelne Naturforscher ohne philosophische Bildung
nur Unklarheit und Verwirrung gebracht haben. Aus der Naturwissenschaft selbst
ist doch immer wieder die Berichtigung gekommen. Eine Schrift wie die von
Adolph Hansen "Grenzen der Religion und Naturwissenschaft" gehört unstreitig
zu den erfreulichsten neuern Erscheinungen. Es ist für den Laien aber nicht ganz
leicht, von dem Stande moderner Naturerkenntnis eine klare Vorstellung zu gewinnen.
Voraussetzungslose Wissenschaft und absolut sichere Erkenntnis gibt es leider
auch hier nicht. Was wir Voraussetzuugslosigkeit nennen, ist ja meist nichts andres
als die Ablehnung andrer Voraussetzungen. Und objektiv sind nur die Tatsachen,
niemals unser Erkennen, das sich stets nach den Hilfsmitteln unsers Denkens um¬
gestaltet. Gerade die Erkenntnis der Grenzen unsers Vermögens aber kann uns
das beste geben: die Ehrfurcht vor dem Geheimnis alles Lebens, sei es das der
Natur oder der Geschichte. Ein naturwissenschaftliches Buch, eine kleine Biologie,
von hohem künstlerischem und ethischem Wert ist das kleine Heft von M. Warner
Morley, Vom Leben. Deutsch von Marie Landmann. (Leipzig, Joh. Ambrosius
Barth, 1908,) Es ist in den letzten Jahren oft davon geredet worden, ob man im
biologischen Unterricht nicht nur eine wertvolle Bereicherung unsrer Bildung ge¬
winnen könne, sondern auch ein Heilmittel gegen die ohne Frage bestehende sittliche
Unsicherheit des Lebens. Ich glaube, daß jede tiefere Naturerkenntnis eine sittliche
Förderung bringen kann, glaube aber nicht, daß sie in planmäßigem Unterricht
unsrer Schulen erreicht wird. Die sogenannte sexuelle Aufklärung erscheint mir vielfach
nur wie eine Zeitkrankheit, obwohl zum Heile der heranwachsenden Jugend sittliche
Wegweisung und Warnung nötig ist. Hier kann ein Buch wie das oben genannte in
aller Stille wirken; die reizvolle, leise poetisch gefärbte, bisweilen humorvolle und
doch von Ehrfurcht getragne Darstellung ist in hohem Maße geeignet, der Jugend
zu dienen und ihr das geheimnisvolle Walten der Natur in aller Lebensbildung
nahe zu bringen. Besonders wertvoll scheint mir der Schlußabschnitt, der in der
Schilderung des Protoplasmas wundervoll das Geheimnis des Lebens darstellt, das
sich in den Stoffen vollzieht und doch etwas andres ist als chemische Verbindung.
Es ist ferner einer der schönsten Sätze, in dem die Stellung der Menschen ge¬
schildert wird: "Er hat den Gipfel erreicht und findet sich an der Grenze eines
andern Daseins. Wie die Pflanze von dem leblosen Mineralreich zu dem warmen
tierischen Leben hinüberleitet, so steht er mitten inne zwischen dem Tierischen und dem
Göttlichen. Ihm sind Ausblicke in eine künftige Welt vergönnt, die über das Prosaische,
alltägliche Erdenleben einen köstlichen Schimmer werfen." Wie wenig die Natur¬
erkenntnis zum Materialismus berechtigt, wie nahe sie an die Grenze religiöser Ahnung
führt, die ihre Wurzel in der sittlichen Lebensbewertung und in der Hoffnung hat, das
kann dieses kleine Buch aufs schönste zeigen. Es ist eine wahre Perle populärer natur¬
wissenschaftlicher Literatur, das man wirklich zu seiner Erbauung genießen kann, wenn
R. S. man sich von Hcickels Welträtseln und ähnlichen Produkte" erholen will.


Hans Thomas Lebenswerk.

Zum siebzigsten Geburtstage Hans Thomas,
dem 2. Oktober dieses Jahres, gibt die Deutsche Verlagsanstalt als fünfzehnten Band
der "Klassiker der Kunst" die Gemälde des südwestdeutschen Meisters in einem
höchst stattlichen Bande mit 374 Abbildungen heraus; H. Thode, sein Vorkämpfer


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein Hymnus vom Leben.

Es gibt Bücher, die auf uns wie starke persön¬
liche Mächte — ergreifend, erhebend oder niederdrückend — wirken. An Shakespeare
kann man das wohl am besten erfahren. Daneben aber stehn andre, deren Lektüre
uns eine der seltnen stillen Feierstunden des Lebens bereitet, in denen wir unser
kleines Dasein vergessen und vor dem Geheimnis des Lebens das Gefühl tiefer
Ehrfurcht gewinnen. Auf ein solches Buch möchte ich hier hinweisen, damit es auch
andern die gleiche Gabe bringe. In dem Streite der Weltanschauungsfragen hat
mit Recht die Naturwissenschaft eine führende Rolle gewonnen. Das soll nicht
vergessen werden, mögen auch einzelne Naturforscher ohne philosophische Bildung
nur Unklarheit und Verwirrung gebracht haben. Aus der Naturwissenschaft selbst
ist doch immer wieder die Berichtigung gekommen. Eine Schrift wie die von
Adolph Hansen „Grenzen der Religion und Naturwissenschaft" gehört unstreitig
zu den erfreulichsten neuern Erscheinungen. Es ist für den Laien aber nicht ganz
leicht, von dem Stande moderner Naturerkenntnis eine klare Vorstellung zu gewinnen.
Voraussetzungslose Wissenschaft und absolut sichere Erkenntnis gibt es leider
auch hier nicht. Was wir Voraussetzuugslosigkeit nennen, ist ja meist nichts andres
als die Ablehnung andrer Voraussetzungen. Und objektiv sind nur die Tatsachen,
niemals unser Erkennen, das sich stets nach den Hilfsmitteln unsers Denkens um¬
gestaltet. Gerade die Erkenntnis der Grenzen unsers Vermögens aber kann uns
das beste geben: die Ehrfurcht vor dem Geheimnis alles Lebens, sei es das der
Natur oder der Geschichte. Ein naturwissenschaftliches Buch, eine kleine Biologie,
von hohem künstlerischem und ethischem Wert ist das kleine Heft von M. Warner
Morley, Vom Leben. Deutsch von Marie Landmann. (Leipzig, Joh. Ambrosius
Barth, 1908,) Es ist in den letzten Jahren oft davon geredet worden, ob man im
biologischen Unterricht nicht nur eine wertvolle Bereicherung unsrer Bildung ge¬
winnen könne, sondern auch ein Heilmittel gegen die ohne Frage bestehende sittliche
Unsicherheit des Lebens. Ich glaube, daß jede tiefere Naturerkenntnis eine sittliche
Förderung bringen kann, glaube aber nicht, daß sie in planmäßigem Unterricht
unsrer Schulen erreicht wird. Die sogenannte sexuelle Aufklärung erscheint mir vielfach
nur wie eine Zeitkrankheit, obwohl zum Heile der heranwachsenden Jugend sittliche
Wegweisung und Warnung nötig ist. Hier kann ein Buch wie das oben genannte in
aller Stille wirken; die reizvolle, leise poetisch gefärbte, bisweilen humorvolle und
doch von Ehrfurcht getragne Darstellung ist in hohem Maße geeignet, der Jugend
zu dienen und ihr das geheimnisvolle Walten der Natur in aller Lebensbildung
nahe zu bringen. Besonders wertvoll scheint mir der Schlußabschnitt, der in der
Schilderung des Protoplasmas wundervoll das Geheimnis des Lebens darstellt, das
sich in den Stoffen vollzieht und doch etwas andres ist als chemische Verbindung.
Es ist ferner einer der schönsten Sätze, in dem die Stellung der Menschen ge¬
schildert wird: „Er hat den Gipfel erreicht und findet sich an der Grenze eines
andern Daseins. Wie die Pflanze von dem leblosen Mineralreich zu dem warmen
tierischen Leben hinüberleitet, so steht er mitten inne zwischen dem Tierischen und dem
Göttlichen. Ihm sind Ausblicke in eine künftige Welt vergönnt, die über das Prosaische,
alltägliche Erdenleben einen köstlichen Schimmer werfen." Wie wenig die Natur¬
erkenntnis zum Materialismus berechtigt, wie nahe sie an die Grenze religiöser Ahnung
führt, die ihre Wurzel in der sittlichen Lebensbewertung und in der Hoffnung hat, das
kann dieses kleine Buch aufs schönste zeigen. Es ist eine wahre Perle populärer natur¬
wissenschaftlicher Literatur, das man wirklich zu seiner Erbauung genießen kann, wenn
R. S. man sich von Hcickels Welträtseln und ähnlichen Produkte» erholen will.


Hans Thomas Lebenswerk.

Zum siebzigsten Geburtstage Hans Thomas,
dem 2. Oktober dieses Jahres, gibt die Deutsche Verlagsanstalt als fünfzehnten Band
der „Klassiker der Kunst" die Gemälde des südwestdeutschen Meisters in einem
höchst stattlichen Bande mit 374 Abbildungen heraus; H. Thode, sein Vorkämpfer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314402"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Ein Hymnus vom Leben.</head>
            <p xml:id="ID_208"> Es gibt Bücher, die auf uns wie starke persön¬<lb/>
liche Mächte &#x2014; ergreifend, erhebend oder niederdrückend &#x2014; wirken. An Shakespeare<lb/>
kann man das wohl am besten erfahren. Daneben aber stehn andre, deren Lektüre<lb/>
uns eine der seltnen stillen Feierstunden des Lebens bereitet, in denen wir unser<lb/>
kleines Dasein vergessen und vor dem Geheimnis des Lebens das Gefühl tiefer<lb/>
Ehrfurcht gewinnen. Auf ein solches Buch möchte ich hier hinweisen, damit es auch<lb/>
andern die gleiche Gabe bringe. In dem Streite der Weltanschauungsfragen hat<lb/>
mit Recht die Naturwissenschaft eine führende Rolle gewonnen. Das soll nicht<lb/>
vergessen werden, mögen auch einzelne Naturforscher ohne philosophische Bildung<lb/>
nur Unklarheit und Verwirrung gebracht haben. Aus der Naturwissenschaft selbst<lb/>
ist doch immer wieder die Berichtigung gekommen. Eine Schrift wie die von<lb/>
Adolph Hansen &#x201E;Grenzen der Religion und Naturwissenschaft" gehört unstreitig<lb/>
zu den erfreulichsten neuern Erscheinungen. Es ist für den Laien aber nicht ganz<lb/>
leicht, von dem Stande moderner Naturerkenntnis eine klare Vorstellung zu gewinnen.<lb/>
Voraussetzungslose Wissenschaft und absolut sichere Erkenntnis gibt es leider<lb/>
auch hier nicht. Was wir Voraussetzuugslosigkeit nennen, ist ja meist nichts andres<lb/>
als die Ablehnung andrer Voraussetzungen. Und objektiv sind nur die Tatsachen,<lb/>
niemals unser Erkennen, das sich stets nach den Hilfsmitteln unsers Denkens um¬<lb/>
gestaltet. Gerade die Erkenntnis der Grenzen unsers Vermögens aber kann uns<lb/>
das beste geben: die Ehrfurcht vor dem Geheimnis alles Lebens, sei es das der<lb/>
Natur oder der Geschichte. Ein naturwissenschaftliches Buch, eine kleine Biologie,<lb/>
von hohem künstlerischem und ethischem Wert ist das kleine Heft von M. Warner<lb/>
Morley, Vom Leben. Deutsch von Marie Landmann. (Leipzig, Joh. Ambrosius<lb/>
Barth, 1908,) Es ist in den letzten Jahren oft davon geredet worden, ob man im<lb/>
biologischen Unterricht nicht nur eine wertvolle Bereicherung unsrer Bildung ge¬<lb/>
winnen könne, sondern auch ein Heilmittel gegen die ohne Frage bestehende sittliche<lb/>
Unsicherheit des Lebens. Ich glaube, daß jede tiefere Naturerkenntnis eine sittliche<lb/>
Förderung bringen kann, glaube aber nicht, daß sie in planmäßigem Unterricht<lb/>
unsrer Schulen erreicht wird. Die sogenannte sexuelle Aufklärung erscheint mir vielfach<lb/>
nur wie eine Zeitkrankheit, obwohl zum Heile der heranwachsenden Jugend sittliche<lb/>
Wegweisung und Warnung nötig ist. Hier kann ein Buch wie das oben genannte in<lb/>
aller Stille wirken; die reizvolle, leise poetisch gefärbte, bisweilen humorvolle und<lb/>
doch von Ehrfurcht getragne Darstellung ist in hohem Maße geeignet, der Jugend<lb/>
zu dienen und ihr das geheimnisvolle Walten der Natur in aller Lebensbildung<lb/>
nahe zu bringen. Besonders wertvoll scheint mir der Schlußabschnitt, der in der<lb/>
Schilderung des Protoplasmas wundervoll das Geheimnis des Lebens darstellt, das<lb/>
sich in den Stoffen vollzieht und doch etwas andres ist als chemische Verbindung.<lb/>
Es ist ferner einer der schönsten Sätze, in dem die Stellung der Menschen ge¬<lb/>
schildert wird: &#x201E;Er hat den Gipfel erreicht und findet sich an der Grenze eines<lb/>
andern Daseins. Wie die Pflanze von dem leblosen Mineralreich zu dem warmen<lb/>
tierischen Leben hinüberleitet, so steht er mitten inne zwischen dem Tierischen und dem<lb/>
Göttlichen. Ihm sind Ausblicke in eine künftige Welt vergönnt, die über das Prosaische,<lb/>
alltägliche Erdenleben einen köstlichen Schimmer werfen." Wie wenig die Natur¬<lb/>
erkenntnis zum Materialismus berechtigt, wie nahe sie an die Grenze religiöser Ahnung<lb/>
führt, die ihre Wurzel in der sittlichen Lebensbewertung und in der Hoffnung hat, das<lb/>
kann dieses kleine Buch aufs schönste zeigen. Es ist eine wahre Perle populärer natur¬<lb/>
wissenschaftlicher Literatur, das man wirklich zu seiner Erbauung genießen kann, wenn<lb/><note type="byline"> R. S.</note> man sich von Hcickels Welträtseln und ähnlichen Produkte» erholen will. </p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Hans Thomas Lebenswerk.</head>
            <p xml:id="ID_209" next="#ID_210"> Zum siebzigsten Geburtstage Hans Thomas,<lb/>
dem 2. Oktober dieses Jahres, gibt die Deutsche Verlagsanstalt als fünfzehnten Band<lb/>
der &#x201E;Klassiker der Kunst" die Gemälde des südwestdeutschen Meisters in einem<lb/>
höchst stattlichen Bande mit 374 Abbildungen heraus; H. Thode, sein Vorkämpfer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0055] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein Hymnus vom Leben. Es gibt Bücher, die auf uns wie starke persön¬ liche Mächte — ergreifend, erhebend oder niederdrückend — wirken. An Shakespeare kann man das wohl am besten erfahren. Daneben aber stehn andre, deren Lektüre uns eine der seltnen stillen Feierstunden des Lebens bereitet, in denen wir unser kleines Dasein vergessen und vor dem Geheimnis des Lebens das Gefühl tiefer Ehrfurcht gewinnen. Auf ein solches Buch möchte ich hier hinweisen, damit es auch andern die gleiche Gabe bringe. In dem Streite der Weltanschauungsfragen hat mit Recht die Naturwissenschaft eine führende Rolle gewonnen. Das soll nicht vergessen werden, mögen auch einzelne Naturforscher ohne philosophische Bildung nur Unklarheit und Verwirrung gebracht haben. Aus der Naturwissenschaft selbst ist doch immer wieder die Berichtigung gekommen. Eine Schrift wie die von Adolph Hansen „Grenzen der Religion und Naturwissenschaft" gehört unstreitig zu den erfreulichsten neuern Erscheinungen. Es ist für den Laien aber nicht ganz leicht, von dem Stande moderner Naturerkenntnis eine klare Vorstellung zu gewinnen. Voraussetzungslose Wissenschaft und absolut sichere Erkenntnis gibt es leider auch hier nicht. Was wir Voraussetzuugslosigkeit nennen, ist ja meist nichts andres als die Ablehnung andrer Voraussetzungen. Und objektiv sind nur die Tatsachen, niemals unser Erkennen, das sich stets nach den Hilfsmitteln unsers Denkens um¬ gestaltet. Gerade die Erkenntnis der Grenzen unsers Vermögens aber kann uns das beste geben: die Ehrfurcht vor dem Geheimnis alles Lebens, sei es das der Natur oder der Geschichte. Ein naturwissenschaftliches Buch, eine kleine Biologie, von hohem künstlerischem und ethischem Wert ist das kleine Heft von M. Warner Morley, Vom Leben. Deutsch von Marie Landmann. (Leipzig, Joh. Ambrosius Barth, 1908,) Es ist in den letzten Jahren oft davon geredet worden, ob man im biologischen Unterricht nicht nur eine wertvolle Bereicherung unsrer Bildung ge¬ winnen könne, sondern auch ein Heilmittel gegen die ohne Frage bestehende sittliche Unsicherheit des Lebens. Ich glaube, daß jede tiefere Naturerkenntnis eine sittliche Förderung bringen kann, glaube aber nicht, daß sie in planmäßigem Unterricht unsrer Schulen erreicht wird. Die sogenannte sexuelle Aufklärung erscheint mir vielfach nur wie eine Zeitkrankheit, obwohl zum Heile der heranwachsenden Jugend sittliche Wegweisung und Warnung nötig ist. Hier kann ein Buch wie das oben genannte in aller Stille wirken; die reizvolle, leise poetisch gefärbte, bisweilen humorvolle und doch von Ehrfurcht getragne Darstellung ist in hohem Maße geeignet, der Jugend zu dienen und ihr das geheimnisvolle Walten der Natur in aller Lebensbildung nahe zu bringen. Besonders wertvoll scheint mir der Schlußabschnitt, der in der Schilderung des Protoplasmas wundervoll das Geheimnis des Lebens darstellt, das sich in den Stoffen vollzieht und doch etwas andres ist als chemische Verbindung. Es ist ferner einer der schönsten Sätze, in dem die Stellung der Menschen ge¬ schildert wird: „Er hat den Gipfel erreicht und findet sich an der Grenze eines andern Daseins. Wie die Pflanze von dem leblosen Mineralreich zu dem warmen tierischen Leben hinüberleitet, so steht er mitten inne zwischen dem Tierischen und dem Göttlichen. Ihm sind Ausblicke in eine künftige Welt vergönnt, die über das Prosaische, alltägliche Erdenleben einen köstlichen Schimmer werfen." Wie wenig die Natur¬ erkenntnis zum Materialismus berechtigt, wie nahe sie an die Grenze religiöser Ahnung führt, die ihre Wurzel in der sittlichen Lebensbewertung und in der Hoffnung hat, das kann dieses kleine Buch aufs schönste zeigen. Es ist eine wahre Perle populärer natur¬ wissenschaftlicher Literatur, das man wirklich zu seiner Erbauung genießen kann, wenn R. S. man sich von Hcickels Welträtseln und ähnlichen Produkte» erholen will. Hans Thomas Lebenswerk. Zum siebzigsten Geburtstage Hans Thomas, dem 2. Oktober dieses Jahres, gibt die Deutsche Verlagsanstalt als fünfzehnten Band der „Klassiker der Kunst" die Gemälde des südwestdeutschen Meisters in einem höchst stattlichen Bande mit 374 Abbildungen heraus; H. Thode, sein Vorkämpfer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/55
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/55>, abgerufen am 04.05.2024.