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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Aufgabe

l
e ümerpolitische Lage hat sich seit dem 1. Juli dieses Jahres
zweifellos geklärt. Der frische Wind, den wir vor drei Monaten
allenthalben in der bürgerlichen Gesellschaft feststellen konnten,
hat uns nicht getäuscht. Die deutsche bürgerliche Gesellschaft hat
sich tatsächlich aufgerafft, und zwischen den beiden materialistischen
Parteien der extremen Junker und der Sozialdemokraten strebt ein sich selbst
bewußt gewordnes Bürgertum mächtig empor. Dieses Bürgertum ist kon¬
servativ und demokratisch zugleich. Bewußt oder unbewußt gleicht es in der
Politik Standes- und Bermögensunterschiede aus, gegenüber dem Streben,
das Vaterland und damit die Nation in allen ihren Teilen gesund, arbeits¬
fähig, machtgcbietend zu sehen. Dieses hohe Ziel vereinigt alle vaterländisch
gesinnten Kreise: Edelmann und Bauer reichen sich ebenso die Hand wie der
Millionen bewegende Bankier dem Handwerker, und der selünaSö man, dessen
einzige Tradition das rücksichtslos arbeitende Genie ist, trifft sich mit dem
Träger jahrhundertelanger Überlieferung in dem Wunsche, die Nation voran
zu bringen. Jawohl! Es geht ein gewaltiges, Glück verheißendes Wehen
durch die deutschen Lande.

Diese glückliche Zuversicht kann uns nicht geraubt werden durch das
Jammern jener kleinen bisher herrschenden Teile der Bevölkerung, denen es
ein engherziger Egoismus verbietet, der Nation zu dienen. Ihr Wehklagen
wäre nur dann gefährlich, wenn es wesentliche Teile der bürgerlichen Gesell¬
schaft und zwar die konservativeren wieder einschläfern und von der Teilnahme
an der Politik zurückdrängen könnte. Liegt die Gefahr vor? Heute noch
nicht. Wir sind von der Zuversicht erfüllt, daß die "Partei der NichtWähler"
noch nicht wiederhergestellt ist. Wir haben das Vertrauen in den gesunden
Sinn unsrer obern und feiner empfindenden Schichten, daß diese Rückbildung
auch nicht sobald wieder eintreten wird. Zu unvorsichtig haben die Herren
der Kreuzzeitung und der Deutschen Tageszeitung ihr wahres Wesen enthüllt,
zu frivol sind sie mit den Gesetzen der politischen Moral umgesprungen, als


Grenzboten IV 1909 1


Unsre Aufgabe

l
e ümerpolitische Lage hat sich seit dem 1. Juli dieses Jahres
zweifellos geklärt. Der frische Wind, den wir vor drei Monaten
allenthalben in der bürgerlichen Gesellschaft feststellen konnten,
hat uns nicht getäuscht. Die deutsche bürgerliche Gesellschaft hat
sich tatsächlich aufgerafft, und zwischen den beiden materialistischen
Parteien der extremen Junker und der Sozialdemokraten strebt ein sich selbst
bewußt gewordnes Bürgertum mächtig empor. Dieses Bürgertum ist kon¬
servativ und demokratisch zugleich. Bewußt oder unbewußt gleicht es in der
Politik Standes- und Bermögensunterschiede aus, gegenüber dem Streben,
das Vaterland und damit die Nation in allen ihren Teilen gesund, arbeits¬
fähig, machtgcbietend zu sehen. Dieses hohe Ziel vereinigt alle vaterländisch
gesinnten Kreise: Edelmann und Bauer reichen sich ebenso die Hand wie der
Millionen bewegende Bankier dem Handwerker, und der selünaSö man, dessen
einzige Tradition das rücksichtslos arbeitende Genie ist, trifft sich mit dem
Träger jahrhundertelanger Überlieferung in dem Wunsche, die Nation voran
zu bringen. Jawohl! Es geht ein gewaltiges, Glück verheißendes Wehen
durch die deutschen Lande.

Diese glückliche Zuversicht kann uns nicht geraubt werden durch das
Jammern jener kleinen bisher herrschenden Teile der Bevölkerung, denen es
ein engherziger Egoismus verbietet, der Nation zu dienen. Ihr Wehklagen
wäre nur dann gefährlich, wenn es wesentliche Teile der bürgerlichen Gesell¬
schaft und zwar die konservativeren wieder einschläfern und von der Teilnahme
an der Politik zurückdrängen könnte. Liegt die Gefahr vor? Heute noch
nicht. Wir sind von der Zuversicht erfüllt, daß die „Partei der NichtWähler"
noch nicht wiederhergestellt ist. Wir haben das Vertrauen in den gesunden
Sinn unsrer obern und feiner empfindenden Schichten, daß diese Rückbildung
auch nicht sobald wieder eintreten wird. Zu unvorsichtig haben die Herren
der Kreuzzeitung und der Deutschen Tageszeitung ihr wahres Wesen enthüllt,
zu frivol sind sie mit den Gesetzen der politischen Moral umgesprungen, als


Grenzboten IV 1909 1
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[0009] [Abbildung] Unsre Aufgabe l e ümerpolitische Lage hat sich seit dem 1. Juli dieses Jahres zweifellos geklärt. Der frische Wind, den wir vor drei Monaten allenthalben in der bürgerlichen Gesellschaft feststellen konnten, hat uns nicht getäuscht. Die deutsche bürgerliche Gesellschaft hat sich tatsächlich aufgerafft, und zwischen den beiden materialistischen Parteien der extremen Junker und der Sozialdemokraten strebt ein sich selbst bewußt gewordnes Bürgertum mächtig empor. Dieses Bürgertum ist kon¬ servativ und demokratisch zugleich. Bewußt oder unbewußt gleicht es in der Politik Standes- und Bermögensunterschiede aus, gegenüber dem Streben, das Vaterland und damit die Nation in allen ihren Teilen gesund, arbeits¬ fähig, machtgcbietend zu sehen. Dieses hohe Ziel vereinigt alle vaterländisch gesinnten Kreise: Edelmann und Bauer reichen sich ebenso die Hand wie der Millionen bewegende Bankier dem Handwerker, und der selünaSö man, dessen einzige Tradition das rücksichtslos arbeitende Genie ist, trifft sich mit dem Träger jahrhundertelanger Überlieferung in dem Wunsche, die Nation voran zu bringen. Jawohl! Es geht ein gewaltiges, Glück verheißendes Wehen durch die deutschen Lande. Diese glückliche Zuversicht kann uns nicht geraubt werden durch das Jammern jener kleinen bisher herrschenden Teile der Bevölkerung, denen es ein engherziger Egoismus verbietet, der Nation zu dienen. Ihr Wehklagen wäre nur dann gefährlich, wenn es wesentliche Teile der bürgerlichen Gesell¬ schaft und zwar die konservativeren wieder einschläfern und von der Teilnahme an der Politik zurückdrängen könnte. Liegt die Gefahr vor? Heute noch nicht. Wir sind von der Zuversicht erfüllt, daß die „Partei der NichtWähler" noch nicht wiederhergestellt ist. Wir haben das Vertrauen in den gesunden Sinn unsrer obern und feiner empfindenden Schichten, daß diese Rückbildung auch nicht sobald wieder eintreten wird. Zu unvorsichtig haben die Herren der Kreuzzeitung und der Deutschen Tageszeitung ihr wahres Wesen enthüllt, zu frivol sind sie mit den Gesetzen der politischen Moral umgesprungen, als Grenzboten IV 1909 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/9>, abgerufen am 03.05.2024.