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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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daß sie bald wieder auf das Vertrauen weiterer konservativer Kreise rechnen
könnten.

Wir tragen uns nicht mit der Absicht, das Bild jener Kreise um Heyde-
brcmd heute erneut vor dem Auge der Grenzbotenleser zu entrollen. Auch
wo.lieu wir ihre ultramontanen Bundesgenossen nicht noch einmal vorstellen.
Beide sind in den letzten Nummern der Grenzboten von berufnen Federn
naturgetreu gekennzeichnet worden. Aber wir möchten noch einen letzten
Strich zu ihrer Charakterisierung hinzufügen. Wir möchten auf den zweiten
Bundesgenossen der führenden Großagrarier, auf die Polen hinweisen. Die
Polenfraktion, eine auf dem demokratischen Bekenntnis fußende
Organisation, hat eine der ältesten demokratischen Forderungen, die erhöhte
Besteuerung des Besitzes, abgelehnt in dem Augenblick, als eine Regierung
die Durchführung der Steuerart als für das Wohl des Landes unerläßlich
bezeichnete. Die Kreuzzeitung schrieb mit Bezug auf das Zentrum, die Deutsch¬
konservativen hätten doch ihre politische Anschauung nicht opfern können,
lediglich weil sie zufällig auch vom Zentrum geteilt wurde. Zweifellos ist
diese Beweisführung unter gewissen Voraussetzungen stichhaltig. In dem vor¬
liegenden Falle fehlen aber die Voraussetzungen dafür, und so brauchen mich
wir sie nicht gelten zu lassen. Denn das geschärfte nationale Bewußt¬
sein, das gerade die Kreise der Kreuzzeitung mit so großem Prunk
zur Schau tragen, mußte unbedingt die Frage nach den Gründen auf¬
tauchen lassen, die das Zentrum auf die Seite der Konservativen geführt
habe". Mußte nicht jeder deutsche Mann stutzig werden, als ihn plötzlich
eine Partei umbuhlte, die über den Reichsgedanken den kirchlichen Inter¬
nationalismus stellt? Die Kreuzzeitung meint, nein! Nun, die Gaben des
Scharfsinns sind verschieden verteilt. Aber fragen wir weiter: mußte der
törichteste, verschlafenste Ignorant nicht stutzig werden, als plötzlich hinter
der Soutane auch die Konfederatka auftauchte?! Mußte es den "Stützen von
Thron und Altar" angesichts ihrer neuen Bundesgenossen nicht bänglich ums
Herz werden?

Sollte wirklich niemandem in der Leitung der deutschkonservativen Partei
das Gewissen geschlagen haben, als die demokratische Polenfraktion, ent¬
gegen den sozialen und wirtschaftlichen Interessen gerade der Mehrzahl ihrer
Wähler, gegen die Erbanfallsteuer stimmte? Wir können und brauchen es
nicht zu glauben. Wenn sich heute eine linksfreisinnige Gruppe in irgendeiner
Frage mit den Polen verdürbe, die uns für die Wohlfahrt des Reichs schädlich
erschiene, so müßten wir ihr doch Gutgläubigkeit zubilligen, nicht aber der
deutschkonservativen Partei. Die Freisinnigen glauben an eine Loyalität der
Polen und glauben nicht an den Wunsch der Polen, auf Kosten Preußens ein
eignes Reich aufrichten zu wollen. Infolgedessen können sie auch in den
Polen reichstreue Bürger sehen. Nicht so die deutschkonservative Parteileitung.
Sie sieht in den Polen von jeher geborne Staatsverräter; sie hat ebendeshalb


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daß sie bald wieder auf das Vertrauen weiterer konservativer Kreise rechnen
könnten.

Wir tragen uns nicht mit der Absicht, das Bild jener Kreise um Heyde-
brcmd heute erneut vor dem Auge der Grenzbotenleser zu entrollen. Auch
wo.lieu wir ihre ultramontanen Bundesgenossen nicht noch einmal vorstellen.
Beide sind in den letzten Nummern der Grenzboten von berufnen Federn
naturgetreu gekennzeichnet worden. Aber wir möchten noch einen letzten
Strich zu ihrer Charakterisierung hinzufügen. Wir möchten auf den zweiten
Bundesgenossen der führenden Großagrarier, auf die Polen hinweisen. Die
Polenfraktion, eine auf dem demokratischen Bekenntnis fußende
Organisation, hat eine der ältesten demokratischen Forderungen, die erhöhte
Besteuerung des Besitzes, abgelehnt in dem Augenblick, als eine Regierung
die Durchführung der Steuerart als für das Wohl des Landes unerläßlich
bezeichnete. Die Kreuzzeitung schrieb mit Bezug auf das Zentrum, die Deutsch¬
konservativen hätten doch ihre politische Anschauung nicht opfern können,
lediglich weil sie zufällig auch vom Zentrum geteilt wurde. Zweifellos ist
diese Beweisführung unter gewissen Voraussetzungen stichhaltig. In dem vor¬
liegenden Falle fehlen aber die Voraussetzungen dafür, und so brauchen mich
wir sie nicht gelten zu lassen. Denn das geschärfte nationale Bewußt¬
sein, das gerade die Kreise der Kreuzzeitung mit so großem Prunk
zur Schau tragen, mußte unbedingt die Frage nach den Gründen auf¬
tauchen lassen, die das Zentrum auf die Seite der Konservativen geführt
habe«. Mußte nicht jeder deutsche Mann stutzig werden, als ihn plötzlich
eine Partei umbuhlte, die über den Reichsgedanken den kirchlichen Inter¬
nationalismus stellt? Die Kreuzzeitung meint, nein! Nun, die Gaben des
Scharfsinns sind verschieden verteilt. Aber fragen wir weiter: mußte der
törichteste, verschlafenste Ignorant nicht stutzig werden, als plötzlich hinter
der Soutane auch die Konfederatka auftauchte?! Mußte es den „Stützen von
Thron und Altar" angesichts ihrer neuen Bundesgenossen nicht bänglich ums
Herz werden?

Sollte wirklich niemandem in der Leitung der deutschkonservativen Partei
das Gewissen geschlagen haben, als die demokratische Polenfraktion, ent¬
gegen den sozialen und wirtschaftlichen Interessen gerade der Mehrzahl ihrer
Wähler, gegen die Erbanfallsteuer stimmte? Wir können und brauchen es
nicht zu glauben. Wenn sich heute eine linksfreisinnige Gruppe in irgendeiner
Frage mit den Polen verdürbe, die uns für die Wohlfahrt des Reichs schädlich
erschiene, so müßten wir ihr doch Gutgläubigkeit zubilligen, nicht aber der
deutschkonservativen Partei. Die Freisinnigen glauben an eine Loyalität der
Polen und glauben nicht an den Wunsch der Polen, auf Kosten Preußens ein
eignes Reich aufrichten zu wollen. Infolgedessen können sie auch in den
Polen reichstreue Bürger sehen. Nicht so die deutschkonservative Parteileitung.
Sie sieht in den Polen von jeher geborne Staatsverräter; sie hat ebendeshalb


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[0010] Unsre Ausgabe daß sie bald wieder auf das Vertrauen weiterer konservativer Kreise rechnen könnten. Wir tragen uns nicht mit der Absicht, das Bild jener Kreise um Heyde- brcmd heute erneut vor dem Auge der Grenzbotenleser zu entrollen. Auch wo.lieu wir ihre ultramontanen Bundesgenossen nicht noch einmal vorstellen. Beide sind in den letzten Nummern der Grenzboten von berufnen Federn naturgetreu gekennzeichnet worden. Aber wir möchten noch einen letzten Strich zu ihrer Charakterisierung hinzufügen. Wir möchten auf den zweiten Bundesgenossen der führenden Großagrarier, auf die Polen hinweisen. Die Polenfraktion, eine auf dem demokratischen Bekenntnis fußende Organisation, hat eine der ältesten demokratischen Forderungen, die erhöhte Besteuerung des Besitzes, abgelehnt in dem Augenblick, als eine Regierung die Durchführung der Steuerart als für das Wohl des Landes unerläßlich bezeichnete. Die Kreuzzeitung schrieb mit Bezug auf das Zentrum, die Deutsch¬ konservativen hätten doch ihre politische Anschauung nicht opfern können, lediglich weil sie zufällig auch vom Zentrum geteilt wurde. Zweifellos ist diese Beweisführung unter gewissen Voraussetzungen stichhaltig. In dem vor¬ liegenden Falle fehlen aber die Voraussetzungen dafür, und so brauchen mich wir sie nicht gelten zu lassen. Denn das geschärfte nationale Bewußt¬ sein, das gerade die Kreise der Kreuzzeitung mit so großem Prunk zur Schau tragen, mußte unbedingt die Frage nach den Gründen auf¬ tauchen lassen, die das Zentrum auf die Seite der Konservativen geführt habe«. Mußte nicht jeder deutsche Mann stutzig werden, als ihn plötzlich eine Partei umbuhlte, die über den Reichsgedanken den kirchlichen Inter¬ nationalismus stellt? Die Kreuzzeitung meint, nein! Nun, die Gaben des Scharfsinns sind verschieden verteilt. Aber fragen wir weiter: mußte der törichteste, verschlafenste Ignorant nicht stutzig werden, als plötzlich hinter der Soutane auch die Konfederatka auftauchte?! Mußte es den „Stützen von Thron und Altar" angesichts ihrer neuen Bundesgenossen nicht bänglich ums Herz werden? Sollte wirklich niemandem in der Leitung der deutschkonservativen Partei das Gewissen geschlagen haben, als die demokratische Polenfraktion, ent¬ gegen den sozialen und wirtschaftlichen Interessen gerade der Mehrzahl ihrer Wähler, gegen die Erbanfallsteuer stimmte? Wir können und brauchen es nicht zu glauben. Wenn sich heute eine linksfreisinnige Gruppe in irgendeiner Frage mit den Polen verdürbe, die uns für die Wohlfahrt des Reichs schädlich erschiene, so müßten wir ihr doch Gutgläubigkeit zubilligen, nicht aber der deutschkonservativen Partei. Die Freisinnigen glauben an eine Loyalität der Polen und glauben nicht an den Wunsch der Polen, auf Kosten Preußens ein eignes Reich aufrichten zu wollen. Infolgedessen können sie auch in den Polen reichstreue Bürger sehen. Nicht so die deutschkonservative Parteileitung. Sie sieht in den Polen von jeher geborne Staatsverräter; sie hat ebendeshalb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/10>, abgerufen am 21.05.2024.