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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der heutigen Nummer liegt ein Prospekt der Firma Friedrich Andreas Perthes
Akt.-Gas. in Gotha betr. Lamprecht: Stantengeschichte sowie ein Prospekt des Vaterländischen
.Kunst- "ut Literaten-Vereins in Berlin N. 3!) betr. vornehmen Wandschmuck, bei.
Wir empfehlen unseren Lesern diese Prospekte zur Beachtung.

Die neuere Aolonialpolitik
von Rudolf Wagner

in neues Element macht sich im politischen Leben der Kolonien
seit einigen Jahren immer stärker geltend: das Streben nach
Selbstbestimmung. Nicht als ob dieses Streben früher drüben
nicht lebendig gewesen wäre. Es konnte nach Lage der Dinge
> nur nicht als Angebot positiver Mitarbeit mit sestbegrenzten Rechten
und Pflichten hervortreten. Aber der Ruf nach Dezentralisierung der Kolonial¬
verwaltung, der vor etwa sechs Jahren die öffentliche Meinung daheim und
draußen beschäftigte, war wohl ebenfalls nur dem damals noch dunklen Drange
unsrer kolonialen Landsleute nach einem etwas freier arbeitenden und mehr
ihrem Einfluß unterworfenen Verwaltungsapparat entsprungen, wenn zu jener
Zeit auch noch niemand an eine eigentliche Selbstverwaltung in unserm Sinne
dachte. Ansätze dazu waren ja vereinzelt schon in frühester Zeit vorhanden.
Sie verschwanden zum Teil wieder und machten andern Verwaltungseinrichtungen
Platz, je nach den Anschauungen der jeweiligen Regierungsbeamten. Die eben
erwähnte, auf Dezentralisierung gerichtete Bewegung hat dann allmählich die
kolonialen Gouvernementsräte geboren, die Vorstufe einer Selbstverwaltung. Sie
konnten das Streben unsrer Landsleute um so weniger befriedigen, als sie immer
mehr dekorativen Charakter annahmen und eine tiefere praktische Bedeutung nicht
zu gewinnen vermochten. Ihre Zusammensetzung liegt so gut wie ganz in der
Hand der Gouverneure und man kann es diesen kaum verübeln, daß sie nur
ihnen genehme Leute berufen. Gerechterweise muß gesagt werden, daß die
Grundlagen für die Betätigung einer solchen Korporation, gefestigte wirtschaft¬
liche Verhältnisse, eine klare Finanzwirtschaft und eine ausreichend konzentrierte
weiße Bevölkerung, eben in der Hauptsache in den Kolonien noch fehlten. Der
Regierung kann daher für Vergangenes kaum ein Vorwurf gemacht werden.


Grenzboten II 1910 13


Der heutigen Nummer liegt ein Prospekt der Firma Friedrich Andreas Perthes
Akt.-Gas. in Gotha betr. Lamprecht: Stantengeschichte sowie ein Prospekt des Vaterländischen
.Kunst- »ut Literaten-Vereins in Berlin N. 3!) betr. vornehmen Wandschmuck, bei.
Wir empfehlen unseren Lesern diese Prospekte zur Beachtung.

Die neuere Aolonialpolitik
von Rudolf Wagner

in neues Element macht sich im politischen Leben der Kolonien
seit einigen Jahren immer stärker geltend: das Streben nach
Selbstbestimmung. Nicht als ob dieses Streben früher drüben
nicht lebendig gewesen wäre. Es konnte nach Lage der Dinge
> nur nicht als Angebot positiver Mitarbeit mit sestbegrenzten Rechten
und Pflichten hervortreten. Aber der Ruf nach Dezentralisierung der Kolonial¬
verwaltung, der vor etwa sechs Jahren die öffentliche Meinung daheim und
draußen beschäftigte, war wohl ebenfalls nur dem damals noch dunklen Drange
unsrer kolonialen Landsleute nach einem etwas freier arbeitenden und mehr
ihrem Einfluß unterworfenen Verwaltungsapparat entsprungen, wenn zu jener
Zeit auch noch niemand an eine eigentliche Selbstverwaltung in unserm Sinne
dachte. Ansätze dazu waren ja vereinzelt schon in frühester Zeit vorhanden.
Sie verschwanden zum Teil wieder und machten andern Verwaltungseinrichtungen
Platz, je nach den Anschauungen der jeweiligen Regierungsbeamten. Die eben
erwähnte, auf Dezentralisierung gerichtete Bewegung hat dann allmählich die
kolonialen Gouvernementsräte geboren, die Vorstufe einer Selbstverwaltung. Sie
konnten das Streben unsrer Landsleute um so weniger befriedigen, als sie immer
mehr dekorativen Charakter annahmen und eine tiefere praktische Bedeutung nicht
zu gewinnen vermochten. Ihre Zusammensetzung liegt so gut wie ganz in der
Hand der Gouverneure und man kann es diesen kaum verübeln, daß sie nur
ihnen genehme Leute berufen. Gerechterweise muß gesagt werden, daß die
Grundlagen für die Betätigung einer solchen Korporation, gefestigte wirtschaft¬
liche Verhältnisse, eine klare Finanzwirtschaft und eine ausreichend konzentrierte
weiße Bevölkerung, eben in der Hauptsache in den Kolonien noch fehlten. Der
Regierung kann daher für Vergangenes kaum ein Vorwurf gemacht werden.


Grenzboten II 1910 13
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[0109] [Abbildung] Der heutigen Nummer liegt ein Prospekt der Firma Friedrich Andreas Perthes Akt.-Gas. in Gotha betr. Lamprecht: Stantengeschichte sowie ein Prospekt des Vaterländischen .Kunst- »ut Literaten-Vereins in Berlin N. 3!) betr. vornehmen Wandschmuck, bei. Wir empfehlen unseren Lesern diese Prospekte zur Beachtung. Die neuere Aolonialpolitik von Rudolf Wagner in neues Element macht sich im politischen Leben der Kolonien seit einigen Jahren immer stärker geltend: das Streben nach Selbstbestimmung. Nicht als ob dieses Streben früher drüben nicht lebendig gewesen wäre. Es konnte nach Lage der Dinge > nur nicht als Angebot positiver Mitarbeit mit sestbegrenzten Rechten und Pflichten hervortreten. Aber der Ruf nach Dezentralisierung der Kolonial¬ verwaltung, der vor etwa sechs Jahren die öffentliche Meinung daheim und draußen beschäftigte, war wohl ebenfalls nur dem damals noch dunklen Drange unsrer kolonialen Landsleute nach einem etwas freier arbeitenden und mehr ihrem Einfluß unterworfenen Verwaltungsapparat entsprungen, wenn zu jener Zeit auch noch niemand an eine eigentliche Selbstverwaltung in unserm Sinne dachte. Ansätze dazu waren ja vereinzelt schon in frühester Zeit vorhanden. Sie verschwanden zum Teil wieder und machten andern Verwaltungseinrichtungen Platz, je nach den Anschauungen der jeweiligen Regierungsbeamten. Die eben erwähnte, auf Dezentralisierung gerichtete Bewegung hat dann allmählich die kolonialen Gouvernementsräte geboren, die Vorstufe einer Selbstverwaltung. Sie konnten das Streben unsrer Landsleute um so weniger befriedigen, als sie immer mehr dekorativen Charakter annahmen und eine tiefere praktische Bedeutung nicht zu gewinnen vermochten. Ihre Zusammensetzung liegt so gut wie ganz in der Hand der Gouverneure und man kann es diesen kaum verübeln, daß sie nur ihnen genehme Leute berufen. Gerechterweise muß gesagt werden, daß die Grundlagen für die Betätigung einer solchen Korporation, gefestigte wirtschaft¬ liche Verhältnisse, eine klare Finanzwirtschaft und eine ausreichend konzentrierte weiße Bevölkerung, eben in der Hauptsache in den Kolonien noch fehlten. Der Regierung kann daher für Vergangenes kaum ein Vorwurf gemacht werden. Grenzboten II 1910 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/109>, abgerufen am 05.05.2024.