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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die neuere Rolonialpolitik

Zu planmäßiger Entwickelung ist der Selbstverwaltungsgedanke erst während
der Ära Dernburg gediehen. Aber nicht etwa wegen, sondern trotz der Dern-
burgschen Politik. Denn wenn Dernburg den Kolonien auch zu einer wesentlich
freieren Stellung im Rahmen der Gesamtpolitik des Reichs verholfen hat, so
lag ihm die Absicht, ihre innere Selbständigkeit zu fördern, völlig fern. Im
Gegenteil, an Stelle des früheren Strebens der Kolonialverwaltung nach
Dezentralisierung ist wieder das ausgesprochene Streben nach Zentralisierung
getreten. Alle Fäden sollen wieder in Berlin zusammenlaufen und jede Ent¬
scheidung von irgendwelcher wirtschaftlichen oder finanzpolitischen Bedeutung soll
in Berlin getroffen werden.

Mit diesem autokratischen Charakter der Dernburgschen Politik stimmt es
vollkommen überein, daß im verflossenen Jahre z. B. in Ostafrika die einzigen
praktisch brauchbaren Anfänge einer Selbstverwaltung, die Kommunalverbände,
von der Kolonialverwaltung kurzerhand aufgehoben wurden. In ein besonders
eigenartiges Licht wird dieses Vorgehen dadurch gerückt, daß die Negierung
gleichzeitig die farbige Bevölkerung der beiden einzigen anerkannten Kommunen,
Daressalam und Tanga, mit einer Art Selbstverwaltung zu beglücken versuchte,
und daß die Organe dieser farbigen Selbstverwaltung praktisch einen gewissen
Einfluß auf die Gemeindeverwaltung der Europäer gewonnen hätten. Der
Widerstand, den Dernburg mit seiner Eingeborenenpolitik bei der weißen Bevölke¬
rung Ostafrikas gefunden hatte, ließ es der Regierung wohl ratsam erscheinen,
die Entwickelung der Selbstverwaltung der Europäer etwas hintanzuhalten.
In absehbarer Zeit wird sie von selbst wieder aufleben, wenn die Einwanderung
deutscher Ansiedler einen stärkeren Umfang annimmt. Die Negierung hat ja
selbst in der Denkschrift über den Weiterbau der Usambarabahn nach demi
Kilimandscharo die Besiedlung des Nordens der Kolonie aus politischen Gründen
als notwendig erklärt. Sie muß sich darüber klar sein, daß sie damit gesagt
hat und baldigst wird K sagen müssen. Denn eine planmäßige Besiedlung
kann nur auf der Basis wohldurchdachter und verständnisvoll den Verhältnissen
angepaßter Selbstverwaltung durchgeführt werden.

Ein derart summarisches Verfahren, wie es in Ostafrika angewandt worden
ist, war in Südwestafrika natürlich nicht möglich, obwohl die Regierung auch
dort dafür gesorgt hat, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Als es
nach dem Kriege galt, die Kolonie wieder aufzubauen und neu zu organisieren,
kam man bald dahinter, daß dies ohne die verantwortliche Mitarbeit und ein
gewisses Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung nicht möglich sei. Mit der teil¬
weisen Entschädigung der ruinierten Ansiedler war es nicht getan, es harrten
der Verwaltung vielmehr allerlei Aufgaben wirtschaftlicher Natur, die eine rein
büreaukratische Organisation nicht zu lösen vermochte. Die Beamten kamen
ohne die Mitwirkung der Ansiedler nicht weiter und anderseits drohte die Neu¬
besiedlung des durch den Krieg freigewordenen Landes ins Stocken zu geraten,
obwohl man sich auf die Vorarbeiten, die vor dein Kriege und während des


Die neuere Rolonialpolitik

Zu planmäßiger Entwickelung ist der Selbstverwaltungsgedanke erst während
der Ära Dernburg gediehen. Aber nicht etwa wegen, sondern trotz der Dern-
burgschen Politik. Denn wenn Dernburg den Kolonien auch zu einer wesentlich
freieren Stellung im Rahmen der Gesamtpolitik des Reichs verholfen hat, so
lag ihm die Absicht, ihre innere Selbständigkeit zu fördern, völlig fern. Im
Gegenteil, an Stelle des früheren Strebens der Kolonialverwaltung nach
Dezentralisierung ist wieder das ausgesprochene Streben nach Zentralisierung
getreten. Alle Fäden sollen wieder in Berlin zusammenlaufen und jede Ent¬
scheidung von irgendwelcher wirtschaftlichen oder finanzpolitischen Bedeutung soll
in Berlin getroffen werden.

Mit diesem autokratischen Charakter der Dernburgschen Politik stimmt es
vollkommen überein, daß im verflossenen Jahre z. B. in Ostafrika die einzigen
praktisch brauchbaren Anfänge einer Selbstverwaltung, die Kommunalverbände,
von der Kolonialverwaltung kurzerhand aufgehoben wurden. In ein besonders
eigenartiges Licht wird dieses Vorgehen dadurch gerückt, daß die Negierung
gleichzeitig die farbige Bevölkerung der beiden einzigen anerkannten Kommunen,
Daressalam und Tanga, mit einer Art Selbstverwaltung zu beglücken versuchte,
und daß die Organe dieser farbigen Selbstverwaltung praktisch einen gewissen
Einfluß auf die Gemeindeverwaltung der Europäer gewonnen hätten. Der
Widerstand, den Dernburg mit seiner Eingeborenenpolitik bei der weißen Bevölke¬
rung Ostafrikas gefunden hatte, ließ es der Regierung wohl ratsam erscheinen,
die Entwickelung der Selbstverwaltung der Europäer etwas hintanzuhalten.
In absehbarer Zeit wird sie von selbst wieder aufleben, wenn die Einwanderung
deutscher Ansiedler einen stärkeren Umfang annimmt. Die Negierung hat ja
selbst in der Denkschrift über den Weiterbau der Usambarabahn nach demi
Kilimandscharo die Besiedlung des Nordens der Kolonie aus politischen Gründen
als notwendig erklärt. Sie muß sich darüber klar sein, daß sie damit gesagt
hat und baldigst wird K sagen müssen. Denn eine planmäßige Besiedlung
kann nur auf der Basis wohldurchdachter und verständnisvoll den Verhältnissen
angepaßter Selbstverwaltung durchgeführt werden.

Ein derart summarisches Verfahren, wie es in Ostafrika angewandt worden
ist, war in Südwestafrika natürlich nicht möglich, obwohl die Regierung auch
dort dafür gesorgt hat, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Als es
nach dem Kriege galt, die Kolonie wieder aufzubauen und neu zu organisieren,
kam man bald dahinter, daß dies ohne die verantwortliche Mitarbeit und ein
gewisses Mitbestimmungsrecht der Bevölkerung nicht möglich sei. Mit der teil¬
weisen Entschädigung der ruinierten Ansiedler war es nicht getan, es harrten
der Verwaltung vielmehr allerlei Aufgaben wirtschaftlicher Natur, die eine rein
büreaukratische Organisation nicht zu lösen vermochte. Die Beamten kamen
ohne die Mitwirkung der Ansiedler nicht weiter und anderseits drohte die Neu¬
besiedlung des durch den Krieg freigewordenen Landes ins Stocken zu geraten,
obwohl man sich auf die Vorarbeiten, die vor dein Kriege und während des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/110>, abgerufen am 25.05.2024.