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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Theologie und die "Lhristusmythe"

Die deutsche Theologie und die "(Lhristusmythe"
Line Zurückweisung der Angriffe des Herrn Professor Böthlingk
von Professor Dr. Laut-

in ersten und zweiten Aprilheft der Zeitschrift "Das freie Wort"
hat der Karlsruher Kollege des Verfassers der Christusmythe,
Drews, Professor Böthlingk, bekannt als Vorkämpfer gegen den
Ultramontanismus, das Verhalten der deutschen Theologen gegen¬
über den Drewsschen Vorträgen einer scharfen Kritik unterzogen,
die geeignet ist, die Wissenschaftlichkeit der deutschen Theologie zu diskreditieren.
Diese Kritik bedarf der entschiedensten Zurückweisung. Es wird der Schein
erweckt, als wären die deutschen Theologen durch die Drewssche These ganz
rabiat geworden. In Jena wurde ein "akademischer Rummel" inszeniert;
Drews wurde "niedergetobt". Das sind Ausdrücke, die dem Sachverhalt
sicherlich nicht entsprechen; anch der Fernstehende wird sagen müssen: Wenn
Drews ni Jena auf solche Weise entgegengetreten wurde, dann ist es unbegreiflich,
daß er schließlich seine Bereitwilligkeit kundgab, auf sein Buch zu verzichten.
Einstweilen sehen wir in jenen Ausdrücken Böthlingks eine Entstellung des
Tatbestandes und eine gröbliche Beleidigung der Jenenser Theologen. Das
Buch des Frankfurter Seniors Professor Bornemann wird als "Schmähschrift"
charakterisiert; das von Beth ist voll von "Unverschämtheiten"; der Veröffent¬
lichung v. Sodens wird jeder wissenschaftliche Wert abgesprochen; seine Beurteilung
der Tell-Sage wird mit einem Hinweis auf die offenbar mangelhafte literarische
Bildung abgetan. Nun die Hauptsache. Böthlingk schreibt: "Um einer ufer¬
losen Diskussion und der Vermengung von Wissenschaft und Glauben vor¬
zubeugen, hat Drews bei seinen öffentlichen Vorträgen das Thema aus die
geschichtswissenschaftliche Frage: .Ist Jesus eine historische Person?' beschränkt.
Die Theologen haben die Diskussion trotzdem alsbald auf das Glaubensgebiet
übergeleitet." Damit hat Böthlingk die Tatsachen auf den Kopf gestellt. Bald
nach Drews' Auftreten sagte mir ein Lehrer der Mathematik: Mag diese
Drewssche Ansicht auch begründet sein, warum tritt er in Volksversammlungen
auf? Geschichtswissenschaftliche Streitfragen trägt man doch nicht vor Volks¬
versammlungen! In der Tat: in dem Augenblick, wo Drews das tat, hat er
den Standpunkt der geschichtsivissenschaftlichen Untersuchung verlassen und
die Frage zu einer Religionsfrage gemacht! Zudem er im Auftrag des
Monistenbundes sprach. Wie hier die Stimmung ist, geht aus einem Artikel
von E. Dosenheimer im "Mürz" hervor. Da heißt es: "Die Frage, ob Jesus
gelebt hat oder nicht, hat für den Monisten als solchen wenig Bedeutung, weil
für ihn Christus immer nur ein Mensch bleibt, niemals zum Gott wird.
Der Nachweis, daß Christus nicht gelebt hat, hätte nur insofern Bedeutung,
als dadurch der christlichen Orthodoxie, die sich an Christus als den Gottessohn
klammert, ein furchtbarer Schlag versetzt würde. Man will sich seinen Gott


Die deutsche Theologie und die „Lhristusmythe"

Die deutsche Theologie und die „(Lhristusmythe"
Line Zurückweisung der Angriffe des Herrn Professor Böthlingk
von Professor Dr. Laut-

in ersten und zweiten Aprilheft der Zeitschrift „Das freie Wort"
hat der Karlsruher Kollege des Verfassers der Christusmythe,
Drews, Professor Böthlingk, bekannt als Vorkämpfer gegen den
Ultramontanismus, das Verhalten der deutschen Theologen gegen¬
über den Drewsschen Vorträgen einer scharfen Kritik unterzogen,
die geeignet ist, die Wissenschaftlichkeit der deutschen Theologie zu diskreditieren.
Diese Kritik bedarf der entschiedensten Zurückweisung. Es wird der Schein
erweckt, als wären die deutschen Theologen durch die Drewssche These ganz
rabiat geworden. In Jena wurde ein „akademischer Rummel" inszeniert;
Drews wurde „niedergetobt". Das sind Ausdrücke, die dem Sachverhalt
sicherlich nicht entsprechen; anch der Fernstehende wird sagen müssen: Wenn
Drews ni Jena auf solche Weise entgegengetreten wurde, dann ist es unbegreiflich,
daß er schließlich seine Bereitwilligkeit kundgab, auf sein Buch zu verzichten.
Einstweilen sehen wir in jenen Ausdrücken Böthlingks eine Entstellung des
Tatbestandes und eine gröbliche Beleidigung der Jenenser Theologen. Das
Buch des Frankfurter Seniors Professor Bornemann wird als „Schmähschrift"
charakterisiert; das von Beth ist voll von „Unverschämtheiten"; der Veröffent¬
lichung v. Sodens wird jeder wissenschaftliche Wert abgesprochen; seine Beurteilung
der Tell-Sage wird mit einem Hinweis auf die offenbar mangelhafte literarische
Bildung abgetan. Nun die Hauptsache. Böthlingk schreibt: „Um einer ufer¬
losen Diskussion und der Vermengung von Wissenschaft und Glauben vor¬
zubeugen, hat Drews bei seinen öffentlichen Vorträgen das Thema aus die
geschichtswissenschaftliche Frage: .Ist Jesus eine historische Person?' beschränkt.
Die Theologen haben die Diskussion trotzdem alsbald auf das Glaubensgebiet
übergeleitet." Damit hat Böthlingk die Tatsachen auf den Kopf gestellt. Bald
nach Drews' Auftreten sagte mir ein Lehrer der Mathematik: Mag diese
Drewssche Ansicht auch begründet sein, warum tritt er in Volksversammlungen
auf? Geschichtswissenschaftliche Streitfragen trägt man doch nicht vor Volks¬
versammlungen! In der Tat: in dem Augenblick, wo Drews das tat, hat er
den Standpunkt der geschichtsivissenschaftlichen Untersuchung verlassen und
die Frage zu einer Religionsfrage gemacht! Zudem er im Auftrag des
Monistenbundes sprach. Wie hier die Stimmung ist, geht aus einem Artikel
von E. Dosenheimer im „Mürz" hervor. Da heißt es: „Die Frage, ob Jesus
gelebt hat oder nicht, hat für den Monisten als solchen wenig Bedeutung, weil
für ihn Christus immer nur ein Mensch bleibt, niemals zum Gott wird.
Der Nachweis, daß Christus nicht gelebt hat, hätte nur insofern Bedeutung,
als dadurch der christlichen Orthodoxie, die sich an Christus als den Gottessohn
klammert, ein furchtbarer Schlag versetzt würde. Man will sich seinen Gott


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[0275] Die deutsche Theologie und die „Lhristusmythe" Die deutsche Theologie und die „(Lhristusmythe" Line Zurückweisung der Angriffe des Herrn Professor Böthlingk von Professor Dr. Laut- in ersten und zweiten Aprilheft der Zeitschrift „Das freie Wort" hat der Karlsruher Kollege des Verfassers der Christusmythe, Drews, Professor Böthlingk, bekannt als Vorkämpfer gegen den Ultramontanismus, das Verhalten der deutschen Theologen gegen¬ über den Drewsschen Vorträgen einer scharfen Kritik unterzogen, die geeignet ist, die Wissenschaftlichkeit der deutschen Theologie zu diskreditieren. Diese Kritik bedarf der entschiedensten Zurückweisung. Es wird der Schein erweckt, als wären die deutschen Theologen durch die Drewssche These ganz rabiat geworden. In Jena wurde ein „akademischer Rummel" inszeniert; Drews wurde „niedergetobt". Das sind Ausdrücke, die dem Sachverhalt sicherlich nicht entsprechen; anch der Fernstehende wird sagen müssen: Wenn Drews ni Jena auf solche Weise entgegengetreten wurde, dann ist es unbegreiflich, daß er schließlich seine Bereitwilligkeit kundgab, auf sein Buch zu verzichten. Einstweilen sehen wir in jenen Ausdrücken Böthlingks eine Entstellung des Tatbestandes und eine gröbliche Beleidigung der Jenenser Theologen. Das Buch des Frankfurter Seniors Professor Bornemann wird als „Schmähschrift" charakterisiert; das von Beth ist voll von „Unverschämtheiten"; der Veröffent¬ lichung v. Sodens wird jeder wissenschaftliche Wert abgesprochen; seine Beurteilung der Tell-Sage wird mit einem Hinweis auf die offenbar mangelhafte literarische Bildung abgetan. Nun die Hauptsache. Böthlingk schreibt: „Um einer ufer¬ losen Diskussion und der Vermengung von Wissenschaft und Glauben vor¬ zubeugen, hat Drews bei seinen öffentlichen Vorträgen das Thema aus die geschichtswissenschaftliche Frage: .Ist Jesus eine historische Person?' beschränkt. Die Theologen haben die Diskussion trotzdem alsbald auf das Glaubensgebiet übergeleitet." Damit hat Böthlingk die Tatsachen auf den Kopf gestellt. Bald nach Drews' Auftreten sagte mir ein Lehrer der Mathematik: Mag diese Drewssche Ansicht auch begründet sein, warum tritt er in Volksversammlungen auf? Geschichtswissenschaftliche Streitfragen trägt man doch nicht vor Volks¬ versammlungen! In der Tat: in dem Augenblick, wo Drews das tat, hat er den Standpunkt der geschichtsivissenschaftlichen Untersuchung verlassen und die Frage zu einer Religionsfrage gemacht! Zudem er im Auftrag des Monistenbundes sprach. Wie hier die Stimmung ist, geht aus einem Artikel von E. Dosenheimer im „Mürz" hervor. Da heißt es: „Die Frage, ob Jesus gelebt hat oder nicht, hat für den Monisten als solchen wenig Bedeutung, weil für ihn Christus immer nur ein Mensch bleibt, niemals zum Gott wird. Der Nachweis, daß Christus nicht gelebt hat, hätte nur insofern Bedeutung, als dadurch der christlichen Orthodoxie, die sich an Christus als den Gottessohn klammert, ein furchtbarer Schlag versetzt würde. Man will sich seinen Gott

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/275>, abgerufen am 05.05.2024.