Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Freiheit der Wissenschaft von Geh. Med.-Rat mit Universitätsprofessor von Hansemann II.

le Wunder konstatiert werden, das haben die neueren Unter¬
suchungen über Lourdes aufs deutlichste gezeigt. Zwar der Sach¬
verständige konnte schon bei anderen Gelegenheiten erkennen, daß
die Feststellung der Wunder in durchaus leichtfertiger Weise vor
sich gehe. Man lese nur das Buch des Bischofs Korum über
die Heilung durch den heiligen Rock von Trier, man erinnere sich des Falles
der Louise Lateau, der seinerzeit als grober Schwindel aufgedeckt wurde.
Aber ganz besonders traten diese Erscheinungen hervor, als ein charakteristischer
Fall von angeblich in Lourdes geheilten Lupus großes Aufsehen erregte. Es
hat sich herausgestellt, daß nicht bloß Laien unrichtige Urteile über diesen
Fall abgegeben haben, sondern daß sich sogar ultramontan gesinnte Ärzte
bereit gefunden haben, ihn als Heilung hinzustellen. Die Versammlungen in der
Metzer ärztlichen Gesellschaft und die Prozesse, die durch das dankenswerte
Auftreten des Herrn Dr. Aigner in München im November 1909 stattfanden,
haben gezeigt, daß es sich erstens nicht um eine Heilung des Lupus handelte,
daß der Lupus vielmehr in gleicher Stärke wie vorher bestand, daß es sich
ferner auch gar nicht um einen reinen Fall von Lupus, sondern um eine
Kombination dieser tuberkulösen Hauterkrankung mit einer Syphilis handelte.

Man könnte denken, daß die Pilgerfahrten nach Lourdes den protestantischen
Osten Deutschlands weniger angingen. Das ist aber ganz unrichtig. Ich ver¬
weise auf eine Zeitungsnotiz vom 30. Juni 1909 ("Berliner Börsenzeitung"
Ur. 299): "An der Berliner Lourdes-Pilgerfahrt nehmen 265 Personen teil,
darunter 27 Geistliche, etwa 100 Damen und auch einige mit Pilgern verwandte
Evangelische. Leiter der Fahrt ist der Pastor Scheidtweiler in Reinickendorf, den:


Grenzboten II 1910 60


Die Freiheit der Wissenschaft von Geh. Med.-Rat mit Universitätsprofessor von Hansemann II.

le Wunder konstatiert werden, das haben die neueren Unter¬
suchungen über Lourdes aufs deutlichste gezeigt. Zwar der Sach¬
verständige konnte schon bei anderen Gelegenheiten erkennen, daß
die Feststellung der Wunder in durchaus leichtfertiger Weise vor
sich gehe. Man lese nur das Buch des Bischofs Korum über
die Heilung durch den heiligen Rock von Trier, man erinnere sich des Falles
der Louise Lateau, der seinerzeit als grober Schwindel aufgedeckt wurde.
Aber ganz besonders traten diese Erscheinungen hervor, als ein charakteristischer
Fall von angeblich in Lourdes geheilten Lupus großes Aufsehen erregte. Es
hat sich herausgestellt, daß nicht bloß Laien unrichtige Urteile über diesen
Fall abgegeben haben, sondern daß sich sogar ultramontan gesinnte Ärzte
bereit gefunden haben, ihn als Heilung hinzustellen. Die Versammlungen in der
Metzer ärztlichen Gesellschaft und die Prozesse, die durch das dankenswerte
Auftreten des Herrn Dr. Aigner in München im November 1909 stattfanden,
haben gezeigt, daß es sich erstens nicht um eine Heilung des Lupus handelte,
daß der Lupus vielmehr in gleicher Stärke wie vorher bestand, daß es sich
ferner auch gar nicht um einen reinen Fall von Lupus, sondern um eine
Kombination dieser tuberkulösen Hauterkrankung mit einer Syphilis handelte.

Man könnte denken, daß die Pilgerfahrten nach Lourdes den protestantischen
Osten Deutschlands weniger angingen. Das ist aber ganz unrichtig. Ich ver¬
weise auf eine Zeitungsnotiz vom 30. Juni 1909 („Berliner Börsenzeitung"
Ur. 299): „An der Berliner Lourdes-Pilgerfahrt nehmen 265 Personen teil,
darunter 27 Geistliche, etwa 100 Damen und auch einige mit Pilgern verwandte
Evangelische. Leiter der Fahrt ist der Pastor Scheidtweiler in Reinickendorf, den:


Grenzboten II 1910 60
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316044"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341891_315638/figures/grenzboten_341891_315638_316044_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Freiheit der Wissenschaft <note type="byline"> von Geh. Med.-Rat mit Universitätsprofessor   von Hansemann</note> II. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2187"> le Wunder konstatiert werden, das haben die neueren Unter¬<lb/>
suchungen über Lourdes aufs deutlichste gezeigt. Zwar der Sach¬<lb/>
verständige konnte schon bei anderen Gelegenheiten erkennen, daß<lb/>
die Feststellung der Wunder in durchaus leichtfertiger Weise vor<lb/>
sich gehe. Man lese nur das Buch des Bischofs Korum über<lb/>
die Heilung durch den heiligen Rock von Trier, man erinnere sich des Falles<lb/>
der Louise Lateau, der seinerzeit als grober Schwindel aufgedeckt wurde.<lb/>
Aber ganz besonders traten diese Erscheinungen hervor, als ein charakteristischer<lb/>
Fall von angeblich in Lourdes geheilten Lupus großes Aufsehen erregte. Es<lb/>
hat sich herausgestellt, daß nicht bloß Laien unrichtige Urteile über diesen<lb/>
Fall abgegeben haben, sondern daß sich sogar ultramontan gesinnte Ärzte<lb/>
bereit gefunden haben, ihn als Heilung hinzustellen. Die Versammlungen in der<lb/>
Metzer ärztlichen Gesellschaft und die Prozesse, die durch das dankenswerte<lb/>
Auftreten des Herrn Dr. Aigner in München im November 1909 stattfanden,<lb/>
haben gezeigt, daß es sich erstens nicht um eine Heilung des Lupus handelte,<lb/>
daß der Lupus vielmehr in gleicher Stärke wie vorher bestand, daß es sich<lb/>
ferner auch gar nicht um einen reinen Fall von Lupus, sondern um eine<lb/>
Kombination dieser tuberkulösen Hauterkrankung mit einer Syphilis handelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2188" next="#ID_2189"> Man könnte denken, daß die Pilgerfahrten nach Lourdes den protestantischen<lb/>
Osten Deutschlands weniger angingen. Das ist aber ganz unrichtig. Ich ver¬<lb/>
weise auf eine Zeitungsnotiz vom 30. Juni 1909 (&#x201E;Berliner Börsenzeitung"<lb/>
Ur. 299): &#x201E;An der Berliner Lourdes-Pilgerfahrt nehmen 265 Personen teil,<lb/>
darunter 27 Geistliche, etwa 100 Damen und auch einige mit Pilgern verwandte<lb/>
Evangelische. Leiter der Fahrt ist der Pastor Scheidtweiler in Reinickendorf, den:</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1910 60</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] [Abbildung] Die Freiheit der Wissenschaft von Geh. Med.-Rat mit Universitätsprofessor von Hansemann II. le Wunder konstatiert werden, das haben die neueren Unter¬ suchungen über Lourdes aufs deutlichste gezeigt. Zwar der Sach¬ verständige konnte schon bei anderen Gelegenheiten erkennen, daß die Feststellung der Wunder in durchaus leichtfertiger Weise vor sich gehe. Man lese nur das Buch des Bischofs Korum über die Heilung durch den heiligen Rock von Trier, man erinnere sich des Falles der Louise Lateau, der seinerzeit als grober Schwindel aufgedeckt wurde. Aber ganz besonders traten diese Erscheinungen hervor, als ein charakteristischer Fall von angeblich in Lourdes geheilten Lupus großes Aufsehen erregte. Es hat sich herausgestellt, daß nicht bloß Laien unrichtige Urteile über diesen Fall abgegeben haben, sondern daß sich sogar ultramontan gesinnte Ärzte bereit gefunden haben, ihn als Heilung hinzustellen. Die Versammlungen in der Metzer ärztlichen Gesellschaft und die Prozesse, die durch das dankenswerte Auftreten des Herrn Dr. Aigner in München im November 1909 stattfanden, haben gezeigt, daß es sich erstens nicht um eine Heilung des Lupus handelte, daß der Lupus vielmehr in gleicher Stärke wie vorher bestand, daß es sich ferner auch gar nicht um einen reinen Fall von Lupus, sondern um eine Kombination dieser tuberkulösen Hauterkrankung mit einer Syphilis handelte. Man könnte denken, daß die Pilgerfahrten nach Lourdes den protestantischen Osten Deutschlands weniger angingen. Das ist aber ganz unrichtig. Ich ver¬ weise auf eine Zeitungsnotiz vom 30. Juni 1909 („Berliner Börsenzeitung" Ur. 299): „An der Berliner Lourdes-Pilgerfahrt nehmen 265 Personen teil, darunter 27 Geistliche, etwa 100 Damen und auch einige mit Pilgern verwandte Evangelische. Leiter der Fahrt ist der Pastor Scheidtweiler in Reinickendorf, den: Grenzboten II 1910 60

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/405>, abgerufen am 05.05.2024.