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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Freiheit der Wissenschaft

der Pilgerarzt Dr. Bolle und die Gruppenführer zur Seite stehen . . . In einer
Pilgerversammlung wurden gestern durch Pastor Scheidtweiler die Legitimations-
und Jnformationsbücher verteilt. Es heißt darin: Die Lourdes-Fahrt ist eine
Wallfahrt und keine Lustfahrt und bezweckt Huldigung für die unbefleckte
Empfängnis, eigene Erbauung und Heilung der Kranken. Die Kranken werden
vormittags 4 Uhr und nachmittags 2 Uhr in der Piszine gebadet. Auch
Gesunde können baden." Wenn es sich nur um eine Weltanschauung handelte,
so wäre ja die ganze Sache ziemlich ungefährlich, aber hier tritt doch die neue
Gefahr einer körperlichen Schädigung hinzu, und die Angelegenheit von Lourdes
steht gar nicht anders als jede Art der Kurpfuscherei, das Gesundbeten, die
Homöopathie, die Naturheilkunde und viele andere ähnliche Richtungen, die um
so bedenklicher sind, als bei allen ein sehr starker industrieller Einschlag vor¬
handen ist, als die Unkenntnis, die Vorurteile, der Aberglaube und auch die
Notlage, in der sich die Kranken befinden, zum Gelderwerb in gröbster Weise
ausgenutzt werden. Wenn sich nun gar Ärzte oder andere Leute, die im Ruf
der Wissenschaftlichkeit stehen, mit der Beglaubigung der Wunder beschäftigen,
dann ist es ganz natürlich, daß die Laien, die von allen diesen Dingen nichts
kennen und auf die Glaubwürdigkeit dieser Menschen vertrauen, die Wunder als
wohlbezeugt annehmen. Es ist ja oft sehr schwer, den positiven Nachweis zu
führen, daß solche .Wunder' nicht stattgefunden haben. Aber in manchen Fällen
gelingt das doch, und gerade bei vielen sogenannten Heilungen von Lourdes
ist der Beweis durchaus gelungen, daß es sich um keinerlei Wunder handelte.
Worum es sich aber eigentlich handeln sollte, nämlich den Beweis, daß wirklich
ein Wunder vorliegt, der ist niemals erbracht, sondern nur .konstatiert'. Auch
in dem Falle, den der Jesuitenpater Wasmann im Jahre 1890 in den
"Stimmen von Maria Laach" veröffentlichte, ist die Sache ziemlich durchsichtig.
Denn es handelt sich hier um ein Vorkommnis, das sechsundzwanzig Jahre
vor der Konstatierung geschehen sein soll, und es wird behauptet, daß ein
komplizierter Beinbruch, bei dem die Knochen aus der Wunde herausragten
und abgestorben waren, und eine verjauchte Wunde sieben Jahre lang bestanden
hatte, nach dreimaligem Rundgang um die Grotte der belgischen Mutter Gottes
von Lourdes in Oostacker geheilt worden sei. Von irgendeinem Beweis fehlt
auch jede Spur, und man fragt sich, warum hat man dieses Wunder nicht
publiziert, als der Mann noch am Leben war und als Beweisstück vorgezeigt
werden konnte? Erst längere Zeit nach seinem Tode ist man dazu geschritten,
das Märchen in die Welt zu setzen. Welchen Glauben aber Herr Wasmann
verdient, der doch als Naturforscher an Wahrhaftigkeit der Darstellung
ganz besonders gebunden sein sollte, das ergibt sich aus anderem. Als
Wasmann seine Vorträge in Berlin hielt und daran sich eine Diskussion
anschließen sollte, da war er zuerst nicht abgeneigt, seine Vorträge zusammen
mit den Diskussionen drucken zu lassen. Als aber diese Diskussionen fast aus¬
nahmslos zu Ungunsten der Wasmcmnschen Anschauungen verliefen, da ließ er


Die Freiheit der Wissenschaft

der Pilgerarzt Dr. Bolle und die Gruppenführer zur Seite stehen . . . In einer
Pilgerversammlung wurden gestern durch Pastor Scheidtweiler die Legitimations-
und Jnformationsbücher verteilt. Es heißt darin: Die Lourdes-Fahrt ist eine
Wallfahrt und keine Lustfahrt und bezweckt Huldigung für die unbefleckte
Empfängnis, eigene Erbauung und Heilung der Kranken. Die Kranken werden
vormittags 4 Uhr und nachmittags 2 Uhr in der Piszine gebadet. Auch
Gesunde können baden." Wenn es sich nur um eine Weltanschauung handelte,
so wäre ja die ganze Sache ziemlich ungefährlich, aber hier tritt doch die neue
Gefahr einer körperlichen Schädigung hinzu, und die Angelegenheit von Lourdes
steht gar nicht anders als jede Art der Kurpfuscherei, das Gesundbeten, die
Homöopathie, die Naturheilkunde und viele andere ähnliche Richtungen, die um
so bedenklicher sind, als bei allen ein sehr starker industrieller Einschlag vor¬
handen ist, als die Unkenntnis, die Vorurteile, der Aberglaube und auch die
Notlage, in der sich die Kranken befinden, zum Gelderwerb in gröbster Weise
ausgenutzt werden. Wenn sich nun gar Ärzte oder andere Leute, die im Ruf
der Wissenschaftlichkeit stehen, mit der Beglaubigung der Wunder beschäftigen,
dann ist es ganz natürlich, daß die Laien, die von allen diesen Dingen nichts
kennen und auf die Glaubwürdigkeit dieser Menschen vertrauen, die Wunder als
wohlbezeugt annehmen. Es ist ja oft sehr schwer, den positiven Nachweis zu
führen, daß solche .Wunder' nicht stattgefunden haben. Aber in manchen Fällen
gelingt das doch, und gerade bei vielen sogenannten Heilungen von Lourdes
ist der Beweis durchaus gelungen, daß es sich um keinerlei Wunder handelte.
Worum es sich aber eigentlich handeln sollte, nämlich den Beweis, daß wirklich
ein Wunder vorliegt, der ist niemals erbracht, sondern nur .konstatiert'. Auch
in dem Falle, den der Jesuitenpater Wasmann im Jahre 1890 in den
„Stimmen von Maria Laach" veröffentlichte, ist die Sache ziemlich durchsichtig.
Denn es handelt sich hier um ein Vorkommnis, das sechsundzwanzig Jahre
vor der Konstatierung geschehen sein soll, und es wird behauptet, daß ein
komplizierter Beinbruch, bei dem die Knochen aus der Wunde herausragten
und abgestorben waren, und eine verjauchte Wunde sieben Jahre lang bestanden
hatte, nach dreimaligem Rundgang um die Grotte der belgischen Mutter Gottes
von Lourdes in Oostacker geheilt worden sei. Von irgendeinem Beweis fehlt
auch jede Spur, und man fragt sich, warum hat man dieses Wunder nicht
publiziert, als der Mann noch am Leben war und als Beweisstück vorgezeigt
werden konnte? Erst längere Zeit nach seinem Tode ist man dazu geschritten,
das Märchen in die Welt zu setzen. Welchen Glauben aber Herr Wasmann
verdient, der doch als Naturforscher an Wahrhaftigkeit der Darstellung
ganz besonders gebunden sein sollte, das ergibt sich aus anderem. Als
Wasmann seine Vorträge in Berlin hielt und daran sich eine Diskussion
anschließen sollte, da war er zuerst nicht abgeneigt, seine Vorträge zusammen
mit den Diskussionen drucken zu lassen. Als aber diese Diskussionen fast aus¬
nahmslos zu Ungunsten der Wasmcmnschen Anschauungen verliefen, da ließ er


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[0406] Die Freiheit der Wissenschaft der Pilgerarzt Dr. Bolle und die Gruppenführer zur Seite stehen . . . In einer Pilgerversammlung wurden gestern durch Pastor Scheidtweiler die Legitimations- und Jnformationsbücher verteilt. Es heißt darin: Die Lourdes-Fahrt ist eine Wallfahrt und keine Lustfahrt und bezweckt Huldigung für die unbefleckte Empfängnis, eigene Erbauung und Heilung der Kranken. Die Kranken werden vormittags 4 Uhr und nachmittags 2 Uhr in der Piszine gebadet. Auch Gesunde können baden." Wenn es sich nur um eine Weltanschauung handelte, so wäre ja die ganze Sache ziemlich ungefährlich, aber hier tritt doch die neue Gefahr einer körperlichen Schädigung hinzu, und die Angelegenheit von Lourdes steht gar nicht anders als jede Art der Kurpfuscherei, das Gesundbeten, die Homöopathie, die Naturheilkunde und viele andere ähnliche Richtungen, die um so bedenklicher sind, als bei allen ein sehr starker industrieller Einschlag vor¬ handen ist, als die Unkenntnis, die Vorurteile, der Aberglaube und auch die Notlage, in der sich die Kranken befinden, zum Gelderwerb in gröbster Weise ausgenutzt werden. Wenn sich nun gar Ärzte oder andere Leute, die im Ruf der Wissenschaftlichkeit stehen, mit der Beglaubigung der Wunder beschäftigen, dann ist es ganz natürlich, daß die Laien, die von allen diesen Dingen nichts kennen und auf die Glaubwürdigkeit dieser Menschen vertrauen, die Wunder als wohlbezeugt annehmen. Es ist ja oft sehr schwer, den positiven Nachweis zu führen, daß solche .Wunder' nicht stattgefunden haben. Aber in manchen Fällen gelingt das doch, und gerade bei vielen sogenannten Heilungen von Lourdes ist der Beweis durchaus gelungen, daß es sich um keinerlei Wunder handelte. Worum es sich aber eigentlich handeln sollte, nämlich den Beweis, daß wirklich ein Wunder vorliegt, der ist niemals erbracht, sondern nur .konstatiert'. Auch in dem Falle, den der Jesuitenpater Wasmann im Jahre 1890 in den „Stimmen von Maria Laach" veröffentlichte, ist die Sache ziemlich durchsichtig. Denn es handelt sich hier um ein Vorkommnis, das sechsundzwanzig Jahre vor der Konstatierung geschehen sein soll, und es wird behauptet, daß ein komplizierter Beinbruch, bei dem die Knochen aus der Wunde herausragten und abgestorben waren, und eine verjauchte Wunde sieben Jahre lang bestanden hatte, nach dreimaligem Rundgang um die Grotte der belgischen Mutter Gottes von Lourdes in Oostacker geheilt worden sei. Von irgendeinem Beweis fehlt auch jede Spur, und man fragt sich, warum hat man dieses Wunder nicht publiziert, als der Mann noch am Leben war und als Beweisstück vorgezeigt werden konnte? Erst längere Zeit nach seinem Tode ist man dazu geschritten, das Märchen in die Welt zu setzen. Welchen Glauben aber Herr Wasmann verdient, der doch als Naturforscher an Wahrhaftigkeit der Darstellung ganz besonders gebunden sein sollte, das ergibt sich aus anderem. Als Wasmann seine Vorträge in Berlin hielt und daran sich eine Diskussion anschließen sollte, da war er zuerst nicht abgeneigt, seine Vorträge zusammen mit den Diskussionen drucken zu lassen. Als aber diese Diskussionen fast aus¬ nahmslos zu Ungunsten der Wasmcmnschen Anschauungen verliefen, da ließ er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/406>, abgerufen am 18.05.2024.