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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches

Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht
des Reiches
von Justizrat Bamberger-

! le auf 5 Milliarden angewachsene Schuld des Reiches, die jährlich
200 Millionen an Zinsen verschlingt, ist eine drückende Last in
Friedenszeiten, sie untergräbt den Kredit des Reiches für den
Kriegsfall und bildet so einen wertvollen Bundesgenossen für
Deutschlands Gegner. Jeder, der aus hohen oder egoistischen
Beweggründen die Erhaltung des Friedens und im Falle eines Krieges den
Sieg der deutschen Waffen wünscht, muß in diesem Feind des Landes seinen
eigenen Feind erblicken, der nicht nachdrücklich genug bekämpft, nicht schnell
genug aus der Welt geschafft werden kann. Darum erscheint die schleunige
Tilgung der Schuld als die dringendste, vornehmste Aufgabe der deutschen
Finanzpolitik. Solange sie ungelöst bleibt, ist es vollkommen unrichtig und
eine gefährliche Selbsttäuschung, zu behaupten, die Fincmzreform sei abgeschlossen,
man dürfe beruhigt ihre Ergebnisse abwarten. Das Reformwerk ist in Angriff
genommen, indem man versucht hat, für die Deckung des Fehlbetrages der
laufenden Ausgaben zu sorgen, -- aber der größte, dauernde Übelstand der
deutschen Finanzen, die 5 Milliarden Schulden, dauert fort.

Nach einer verbreiteten Ansicht ist der Finanzplan von 1908 an dem
bösen Willen der Mehrheitsparteien gescheitert; in diesem Sinne spricht man
vorwurfsvoll davon, daß die .Konservativen und das Zentrum den Fürsten
Bülow im Stich gelassen und damit seinen Sturz verschuldet hätten. Als wenn
der Finanzplan derart gewesen wäre, daß die große Mehrheit der Bevölkerung
ihni hätte zustimmen können, als wenn der Reichskanzler sich das VerKauen der
Nation auf dem Gebiete der Finanzpolitik erworben hätte! Tatsächlich hat
Fürst Bülow während seiner ganzen Amtsführung in die verworrenen Finanz¬
verhältnisse wenig eingegriffen. Er hat es jahrelang mit angesehen, wie die
Finanzen immer schlechter wurden, wie die Schuld des Reiches unheimlich
anschwoll. Eine "Finanzreform" folgte der anderen, keine hielt länger als
zwei Jahre vor. Da nachgerade die Beunruhigung in der Bevölkerung mit den
Schwierigkeiten der auswärtigen Lage wuchs, so wurde zugesichert, nun solle
endlich ganze Arbeit gemacht werden, an Stelle kleiner Palliativmittel werde ein
großangelegtes Reformwerk treten zur dauernden Heilung der finanziellen Schäden.
Allein der Entwurf der verbündeten Regierungen vom 3. November 1908 brachte
schwere Enttäuschungen. Daß vier Fünftel des ganzen Bedarfs von der Masse des
Volkes und nur ein Fünftel vom Besitz getragen werden sollten, war so ungerecht
und willkürlich, daß es die Zustimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung
unmöglich finden konnte. Anderseits erregte die unselige Nachlaßsteuer einen
Sturm des Unwillens, nicht etwa nur um deswillen, weil sie eine Besteuerung


Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches

Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht
des Reiches
von Justizrat Bamberger-

! le auf 5 Milliarden angewachsene Schuld des Reiches, die jährlich
200 Millionen an Zinsen verschlingt, ist eine drückende Last in
Friedenszeiten, sie untergräbt den Kredit des Reiches für den
Kriegsfall und bildet so einen wertvollen Bundesgenossen für
Deutschlands Gegner. Jeder, der aus hohen oder egoistischen
Beweggründen die Erhaltung des Friedens und im Falle eines Krieges den
Sieg der deutschen Waffen wünscht, muß in diesem Feind des Landes seinen
eigenen Feind erblicken, der nicht nachdrücklich genug bekämpft, nicht schnell
genug aus der Welt geschafft werden kann. Darum erscheint die schleunige
Tilgung der Schuld als die dringendste, vornehmste Aufgabe der deutschen
Finanzpolitik. Solange sie ungelöst bleibt, ist es vollkommen unrichtig und
eine gefährliche Selbsttäuschung, zu behaupten, die Fincmzreform sei abgeschlossen,
man dürfe beruhigt ihre Ergebnisse abwarten. Das Reformwerk ist in Angriff
genommen, indem man versucht hat, für die Deckung des Fehlbetrages der
laufenden Ausgaben zu sorgen, — aber der größte, dauernde Übelstand der
deutschen Finanzen, die 5 Milliarden Schulden, dauert fort.

Nach einer verbreiteten Ansicht ist der Finanzplan von 1908 an dem
bösen Willen der Mehrheitsparteien gescheitert; in diesem Sinne spricht man
vorwurfsvoll davon, daß die .Konservativen und das Zentrum den Fürsten
Bülow im Stich gelassen und damit seinen Sturz verschuldet hätten. Als wenn
der Finanzplan derart gewesen wäre, daß die große Mehrheit der Bevölkerung
ihni hätte zustimmen können, als wenn der Reichskanzler sich das VerKauen der
Nation auf dem Gebiete der Finanzpolitik erworben hätte! Tatsächlich hat
Fürst Bülow während seiner ganzen Amtsführung in die verworrenen Finanz¬
verhältnisse wenig eingegriffen. Er hat es jahrelang mit angesehen, wie die
Finanzen immer schlechter wurden, wie die Schuld des Reiches unheimlich
anschwoll. Eine „Finanzreform" folgte der anderen, keine hielt länger als
zwei Jahre vor. Da nachgerade die Beunruhigung in der Bevölkerung mit den
Schwierigkeiten der auswärtigen Lage wuchs, so wurde zugesichert, nun solle
endlich ganze Arbeit gemacht werden, an Stelle kleiner Palliativmittel werde ein
großangelegtes Reformwerk treten zur dauernden Heilung der finanziellen Schäden.
Allein der Entwurf der verbündeten Regierungen vom 3. November 1908 brachte
schwere Enttäuschungen. Daß vier Fünftel des ganzen Bedarfs von der Masse des
Volkes und nur ein Fünftel vom Besitz getragen werden sollten, war so ungerecht
und willkürlich, daß es die Zustimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung
unmöglich finden konnte. Anderseits erregte die unselige Nachlaßsteuer einen
Sturm des Unwillens, nicht etwa nur um deswillen, weil sie eine Besteuerung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/194>, abgerufen am 06.05.2024.