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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolper und die Reichsgräfin von (Löset

und NUN geht ein hitziges Feuern auf vierzig, fünfzig Schritt Entfernung her¬
über und hinüber. Von drüben schießen sie mit Musketen auf die Schießlöcher,
von hüben krachen die Geschütze. Welcher Jubel, wenn eiuer der Angreifer
getroffen ist. Jetzt steckt ein fürwitziger Kroäk die Arme durch ein Loch heraus,
um einen Riegel aufzuschieben -- Blitz und Knall, und beide Hände sind ihm
von eiuer schweren Vollkugel abgeschossen. Ein Freudengeschrei hüben, ein
Wutgebrüll drüben. Der Hauptmann der Kroaten schreit durch den Lärm
herüber, er verspricht goldene Berge, wenn man ihn mit seiner Mannschaft ein¬
lassen wolle, und droht widrigenfalls keine Seele zu verschonen. Aber die
Stolpener kehren sich nicht daran und halten tapfer aus. Da versuchen's die
Feinde auf andere Weise zu erzwingen. An verschiedenen Punkten zugleich
stecken sie die ausgeraubte Stadt in Brand. Binnen einer Viertelstunde steht
alles in voller Glut. Ein starker Wind erhebt sich und treibt von der Kirche
her die Flammen übers Schloß. Heißer Qualm und Funkenregen bedrängt die
Verteidiger vom Rücken her. Nicht lange, da fängt der "Siebenspitzenturm",
die schönste Zierde der Burg, Feuer. Mit Windeseile greift es um sich. Die
ganze Festung brennt.

Inzwischen hatten sich die Feinde aus der allgemeinen Feuersbrunst zurück¬
gezogen und sahen von weitem gemächlich zu. Sie dachten, das ganze Schloß
würde draufgehen, und die Leute darin würden entweder verderben oder zu
einem Ausfall gezwungen werden. "Aber", so erzählt der Chronist"), "was
die Gottlosen gerne wollten, ist verloren. Das Gebet derer, so im freien Felde
herumgejagt, in Sträuchern beschädiget und ausgeplündert, oder sonst in Ängsten
waren, drang durch die Wolken. Gott erhörte das Seufzen und Weinen derer,
die in der kurfürstlichen Kapelle auf den Knien lagen und die Hände empor
huben. Er ließ wohlgeraten die Arbeit der munteren Weiber, die aus dem
Brunnen Wasser zum Löschen trugen, und derer Männer, die Wasser ins Feuer
gössen. Ja, er selbst half löschen und gab vom Himmel einen gnädigen Regen.
Und so ward die Flamme gedämpft, das Herz des Schlosses erhalten."


II.

Über all diese Stürme und Schicksale ist die Zeit dahingegangen. Wer
denkt noch daran! Aber eine Tragödie hat sich auf Schloß Stolper abgespielt,
die ist noch in aller Munde. Die hat Stolper zur Berühmtheit gemacht, und
niemand weilt heute in den romantischen Ruinen, der nicht ihren Nachklang
vernähme. Das ist die Gefangenschaft der Gräfin Cosel.

Ihre Lebensgeschichte ist schnell erzählt""). Anna Constance von Brockdorf
war ein armes holsteinisches Landedelfräulein und heiratete in jungen Jahren
den sächsischen Geheimen Rat von Honn. Die Ehe mit dem weit älteren,




") /V!, Carl Christian Gercke, "Historie der Stadt und Bergfcstung Stolper", 1764.
"*"
) Vgl. besonders Dr. Karl von Weber, "Anna Connstance Gräfin von Cosscl, Ares. f. d.
Sachs. Gesch. ", Band 1871.
Schloß Stolper und die Reichsgräfin von (Löset

und NUN geht ein hitziges Feuern auf vierzig, fünfzig Schritt Entfernung her¬
über und hinüber. Von drüben schießen sie mit Musketen auf die Schießlöcher,
von hüben krachen die Geschütze. Welcher Jubel, wenn eiuer der Angreifer
getroffen ist. Jetzt steckt ein fürwitziger Kroäk die Arme durch ein Loch heraus,
um einen Riegel aufzuschieben — Blitz und Knall, und beide Hände sind ihm
von eiuer schweren Vollkugel abgeschossen. Ein Freudengeschrei hüben, ein
Wutgebrüll drüben. Der Hauptmann der Kroaten schreit durch den Lärm
herüber, er verspricht goldene Berge, wenn man ihn mit seiner Mannschaft ein¬
lassen wolle, und droht widrigenfalls keine Seele zu verschonen. Aber die
Stolpener kehren sich nicht daran und halten tapfer aus. Da versuchen's die
Feinde auf andere Weise zu erzwingen. An verschiedenen Punkten zugleich
stecken sie die ausgeraubte Stadt in Brand. Binnen einer Viertelstunde steht
alles in voller Glut. Ein starker Wind erhebt sich und treibt von der Kirche
her die Flammen übers Schloß. Heißer Qualm und Funkenregen bedrängt die
Verteidiger vom Rücken her. Nicht lange, da fängt der „Siebenspitzenturm",
die schönste Zierde der Burg, Feuer. Mit Windeseile greift es um sich. Die
ganze Festung brennt.

Inzwischen hatten sich die Feinde aus der allgemeinen Feuersbrunst zurück¬
gezogen und sahen von weitem gemächlich zu. Sie dachten, das ganze Schloß
würde draufgehen, und die Leute darin würden entweder verderben oder zu
einem Ausfall gezwungen werden. „Aber", so erzählt der Chronist"), „was
die Gottlosen gerne wollten, ist verloren. Das Gebet derer, so im freien Felde
herumgejagt, in Sträuchern beschädiget und ausgeplündert, oder sonst in Ängsten
waren, drang durch die Wolken. Gott erhörte das Seufzen und Weinen derer,
die in der kurfürstlichen Kapelle auf den Knien lagen und die Hände empor
huben. Er ließ wohlgeraten die Arbeit der munteren Weiber, die aus dem
Brunnen Wasser zum Löschen trugen, und derer Männer, die Wasser ins Feuer
gössen. Ja, er selbst half löschen und gab vom Himmel einen gnädigen Regen.
Und so ward die Flamme gedämpft, das Herz des Schlosses erhalten."


II.

Über all diese Stürme und Schicksale ist die Zeit dahingegangen. Wer
denkt noch daran! Aber eine Tragödie hat sich auf Schloß Stolper abgespielt,
die ist noch in aller Munde. Die hat Stolper zur Berühmtheit gemacht, und
niemand weilt heute in den romantischen Ruinen, der nicht ihren Nachklang
vernähme. Das ist die Gefangenschaft der Gräfin Cosel.

Ihre Lebensgeschichte ist schnell erzählt""). Anna Constance von Brockdorf
war ein armes holsteinisches Landedelfräulein und heiratete in jungen Jahren
den sächsischen Geheimen Rat von Honn. Die Ehe mit dem weit älteren,




") /V!, Carl Christian Gercke, „Historie der Stadt und Bergfcstung Stolper", 1764.
"*"
) Vgl. besonders Dr. Karl von Weber, „Anna Connstance Gräfin von Cosscl, Ares. f. d.
Sachs. Gesch. », Band 1871.
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[0022] Schloß Stolper und die Reichsgräfin von (Löset und NUN geht ein hitziges Feuern auf vierzig, fünfzig Schritt Entfernung her¬ über und hinüber. Von drüben schießen sie mit Musketen auf die Schießlöcher, von hüben krachen die Geschütze. Welcher Jubel, wenn eiuer der Angreifer getroffen ist. Jetzt steckt ein fürwitziger Kroäk die Arme durch ein Loch heraus, um einen Riegel aufzuschieben — Blitz und Knall, und beide Hände sind ihm von eiuer schweren Vollkugel abgeschossen. Ein Freudengeschrei hüben, ein Wutgebrüll drüben. Der Hauptmann der Kroaten schreit durch den Lärm herüber, er verspricht goldene Berge, wenn man ihn mit seiner Mannschaft ein¬ lassen wolle, und droht widrigenfalls keine Seele zu verschonen. Aber die Stolpener kehren sich nicht daran und halten tapfer aus. Da versuchen's die Feinde auf andere Weise zu erzwingen. An verschiedenen Punkten zugleich stecken sie die ausgeraubte Stadt in Brand. Binnen einer Viertelstunde steht alles in voller Glut. Ein starker Wind erhebt sich und treibt von der Kirche her die Flammen übers Schloß. Heißer Qualm und Funkenregen bedrängt die Verteidiger vom Rücken her. Nicht lange, da fängt der „Siebenspitzenturm", die schönste Zierde der Burg, Feuer. Mit Windeseile greift es um sich. Die ganze Festung brennt. Inzwischen hatten sich die Feinde aus der allgemeinen Feuersbrunst zurück¬ gezogen und sahen von weitem gemächlich zu. Sie dachten, das ganze Schloß würde draufgehen, und die Leute darin würden entweder verderben oder zu einem Ausfall gezwungen werden. „Aber", so erzählt der Chronist"), „was die Gottlosen gerne wollten, ist verloren. Das Gebet derer, so im freien Felde herumgejagt, in Sträuchern beschädiget und ausgeplündert, oder sonst in Ängsten waren, drang durch die Wolken. Gott erhörte das Seufzen und Weinen derer, die in der kurfürstlichen Kapelle auf den Knien lagen und die Hände empor huben. Er ließ wohlgeraten die Arbeit der munteren Weiber, die aus dem Brunnen Wasser zum Löschen trugen, und derer Männer, die Wasser ins Feuer gössen. Ja, er selbst half löschen und gab vom Himmel einen gnädigen Regen. Und so ward die Flamme gedämpft, das Herz des Schlosses erhalten." II. Über all diese Stürme und Schicksale ist die Zeit dahingegangen. Wer denkt noch daran! Aber eine Tragödie hat sich auf Schloß Stolper abgespielt, die ist noch in aller Munde. Die hat Stolper zur Berühmtheit gemacht, und niemand weilt heute in den romantischen Ruinen, der nicht ihren Nachklang vernähme. Das ist die Gefangenschaft der Gräfin Cosel. Ihre Lebensgeschichte ist schnell erzählt""). Anna Constance von Brockdorf war ein armes holsteinisches Landedelfräulein und heiratete in jungen Jahren den sächsischen Geheimen Rat von Honn. Die Ehe mit dem weit älteren, ") /V!, Carl Christian Gercke, „Historie der Stadt und Bergfcstung Stolper", 1764. "*" ) Vgl. besonders Dr. Karl von Weber, „Anna Connstance Gräfin von Cosscl, Ares. f. d. Sachs. Gesch. », Band 1871.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/22>, abgerufen am 07.05.2024.