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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Vom Wesen des Schlagworts

chlagworte haben schon so oft die Begriffe verdunkelt und die Werte
vergröbert, und ihre schwirrende Aufdringlichkeit wirkt gerade auf
feinere Naturen so peinlich, daß man ihnen selten gerecht zu werden
sich bemüht hat. Und doch winkt auch hier eine Pflicht und eine
Aufgabe. Denn es ist noch keineswegs ausgemacht, daß jedes
Schlagwort nur eine taube Nuß oder eine tönende Schelle zu sein braucht.
Demagogisch herausgebrüllte Phrasen erschüttern schließlich nur die Luft und ver¬
puffen ohne jeglichen Effekt -- während es im Gegenteil gerade die Art des
rechten Schlagwortes ist, über seine direkte Stoßrichtung hinaus und neben ihr
her halb unbeabsichtigte und unkontrollierbare Wirkungen auszulösen. Phrase und
Schlagwort sind eben zweierlei. Eine Zeit der Phrasen wird entwicklungs¬
geschichtlich immer belanglos bleiben, und gerade epigonenhafte Vcrtrocknung der
Lebenssäfte führt zur Phrase, die sich aufbläht, a's ob sie Wunder was zu sagen
hätte, gerade weil sie nichts zu sagen hat. Kernhafte Worte sind ja immer Wesens¬
ballungen, Jnhaltsverdichtungen, und nur aus Fülle und Überfülle des Physio¬
logischen wie des geistig-seelischen Lebens quellen die markigen wciterzeugenden
Worte und Wortfügungen. Freilich liegt auch noch eine Kluft zwischen dem
bloßen Schlagwort und dein gesiebt-goldhaltigen, wohlgebauten und wohlgewogener
Wort. Aber so schlechthin verächtlich ist darum doch auch das Schlngwvrt nicht --
und nicht die Zeit, in der es vorzugsweise gedeiht. Im Gegenteil, man sollte
aufmerken, wenn in einer Zeit die Schlagworte erregt durcheinandertönen; es
Pflegt sich darin zumeist viel noch in sich selbst unklare und suchende Sehnsucht
zusammenzupressen,, und der Zeitseelenforscher mag daraus seine Rückschlüsse ziehen,
wohin die zukunftstrcbigen Wege des Tages weisen. Natürlich gibt es Abtönungen
und Wertunterschiede unter den Schlagworten selbst, und die Klippe der Phrase
droht allerdings immer mehr oder minder nah. Wie denn das Schlagwort als
solches immer in der Mitte einer Skala steht, deren Gegenpole die Phrase und
das vollwertige Wort sind, und fließend bald dem einen, bald dem anderen Pole
entgegenzugleiten liebt. Wie das Schlagwort zum agitatorischen Kriegsruf herab¬
sinken kann, so kann es sich anderseits zum Kunstausdruck adeln, der einer ganzen
zeitbestimmenden Richtung den sinnvollen Namen gibt. Darum ist es für eine
Epoche nicht ohne weiteres ein Ruhmestitel, wenn es ihr an sinnfälligen Schlag¬
worten gebricht, und das Vermissen des Schlagworts, daS Bedürfnis nach ihm
kann auf geistige Stockung, aber auch auf den selbst schon schöpferischen Wunsch
nach neuer geistiger Bewegtheit deuten. Die Leute vom "Ban", sei es nun vom




Vom Wesen des Schlagworts

chlagworte haben schon so oft die Begriffe verdunkelt und die Werte
vergröbert, und ihre schwirrende Aufdringlichkeit wirkt gerade auf
feinere Naturen so peinlich, daß man ihnen selten gerecht zu werden
sich bemüht hat. Und doch winkt auch hier eine Pflicht und eine
Aufgabe. Denn es ist noch keineswegs ausgemacht, daß jedes
Schlagwort nur eine taube Nuß oder eine tönende Schelle zu sein braucht.
Demagogisch herausgebrüllte Phrasen erschüttern schließlich nur die Luft und ver¬
puffen ohne jeglichen Effekt — während es im Gegenteil gerade die Art des
rechten Schlagwortes ist, über seine direkte Stoßrichtung hinaus und neben ihr
her halb unbeabsichtigte und unkontrollierbare Wirkungen auszulösen. Phrase und
Schlagwort sind eben zweierlei. Eine Zeit der Phrasen wird entwicklungs¬
geschichtlich immer belanglos bleiben, und gerade epigonenhafte Vcrtrocknung der
Lebenssäfte führt zur Phrase, die sich aufbläht, a's ob sie Wunder was zu sagen
hätte, gerade weil sie nichts zu sagen hat. Kernhafte Worte sind ja immer Wesens¬
ballungen, Jnhaltsverdichtungen, und nur aus Fülle und Überfülle des Physio¬
logischen wie des geistig-seelischen Lebens quellen die markigen wciterzeugenden
Worte und Wortfügungen. Freilich liegt auch noch eine Kluft zwischen dem
bloßen Schlagwort und dein gesiebt-goldhaltigen, wohlgebauten und wohlgewogener
Wort. Aber so schlechthin verächtlich ist darum doch auch das Schlngwvrt nicht —
und nicht die Zeit, in der es vorzugsweise gedeiht. Im Gegenteil, man sollte
aufmerken, wenn in einer Zeit die Schlagworte erregt durcheinandertönen; es
Pflegt sich darin zumeist viel noch in sich selbst unklare und suchende Sehnsucht
zusammenzupressen,, und der Zeitseelenforscher mag daraus seine Rückschlüsse ziehen,
wohin die zukunftstrcbigen Wege des Tages weisen. Natürlich gibt es Abtönungen
und Wertunterschiede unter den Schlagworten selbst, und die Klippe der Phrase
droht allerdings immer mehr oder minder nah. Wie denn das Schlagwort als
solches immer in der Mitte einer Skala steht, deren Gegenpole die Phrase und
das vollwertige Wort sind, und fließend bald dem einen, bald dem anderen Pole
entgegenzugleiten liebt. Wie das Schlagwort zum agitatorischen Kriegsruf herab¬
sinken kann, so kann es sich anderseits zum Kunstausdruck adeln, der einer ganzen
zeitbestimmenden Richtung den sinnvollen Namen gibt. Darum ist es für eine
Epoche nicht ohne weiteres ein Ruhmestitel, wenn es ihr an sinnfälligen Schlag¬
worten gebricht, und das Vermissen des Schlagworts, daS Bedürfnis nach ihm
kann auf geistige Stockung, aber auch auf den selbst schon schöpferischen Wunsch
nach neuer geistiger Bewegtheit deuten. Die Leute vom „Ban", sei es nun vom


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[0153] [Abbildung] Vom Wesen des Schlagworts chlagworte haben schon so oft die Begriffe verdunkelt und die Werte vergröbert, und ihre schwirrende Aufdringlichkeit wirkt gerade auf feinere Naturen so peinlich, daß man ihnen selten gerecht zu werden sich bemüht hat. Und doch winkt auch hier eine Pflicht und eine Aufgabe. Denn es ist noch keineswegs ausgemacht, daß jedes Schlagwort nur eine taube Nuß oder eine tönende Schelle zu sein braucht. Demagogisch herausgebrüllte Phrasen erschüttern schließlich nur die Luft und ver¬ puffen ohne jeglichen Effekt — während es im Gegenteil gerade die Art des rechten Schlagwortes ist, über seine direkte Stoßrichtung hinaus und neben ihr her halb unbeabsichtigte und unkontrollierbare Wirkungen auszulösen. Phrase und Schlagwort sind eben zweierlei. Eine Zeit der Phrasen wird entwicklungs¬ geschichtlich immer belanglos bleiben, und gerade epigonenhafte Vcrtrocknung der Lebenssäfte führt zur Phrase, die sich aufbläht, a's ob sie Wunder was zu sagen hätte, gerade weil sie nichts zu sagen hat. Kernhafte Worte sind ja immer Wesens¬ ballungen, Jnhaltsverdichtungen, und nur aus Fülle und Überfülle des Physio¬ logischen wie des geistig-seelischen Lebens quellen die markigen wciterzeugenden Worte und Wortfügungen. Freilich liegt auch noch eine Kluft zwischen dem bloßen Schlagwort und dein gesiebt-goldhaltigen, wohlgebauten und wohlgewogener Wort. Aber so schlechthin verächtlich ist darum doch auch das Schlngwvrt nicht — und nicht die Zeit, in der es vorzugsweise gedeiht. Im Gegenteil, man sollte aufmerken, wenn in einer Zeit die Schlagworte erregt durcheinandertönen; es Pflegt sich darin zumeist viel noch in sich selbst unklare und suchende Sehnsucht zusammenzupressen,, und der Zeitseelenforscher mag daraus seine Rückschlüsse ziehen, wohin die zukunftstrcbigen Wege des Tages weisen. Natürlich gibt es Abtönungen und Wertunterschiede unter den Schlagworten selbst, und die Klippe der Phrase droht allerdings immer mehr oder minder nah. Wie denn das Schlagwort als solches immer in der Mitte einer Skala steht, deren Gegenpole die Phrase und das vollwertige Wort sind, und fließend bald dem einen, bald dem anderen Pole entgegenzugleiten liebt. Wie das Schlagwort zum agitatorischen Kriegsruf herab¬ sinken kann, so kann es sich anderseits zum Kunstausdruck adeln, der einer ganzen zeitbestimmenden Richtung den sinnvollen Namen gibt. Darum ist es für eine Epoche nicht ohne weiteres ein Ruhmestitel, wenn es ihr an sinnfälligen Schlag¬ worten gebricht, und das Vermissen des Schlagworts, daS Bedürfnis nach ihm kann auf geistige Stockung, aber auch auf den selbst schon schöpferischen Wunsch nach neuer geistiger Bewegtheit deuten. Die Leute vom „Ban", sei es nun vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/153>, abgerufen am 29.04.2024.