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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Unfug des Sterbens
v L, v, K, on

Vollende dicht --
Dehmel

us dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten ist uns ein Buch
herübergeschickt worden: "Der Unfug des Sterbens". -- Der
Autor, Prentice Mulford, gibt uns in diesem echt amerikanischen
Buch, einer Sammlung seiner Vorträge und Essays, eine Anleitung
zur endgültigen Veredlung des Menschengeschlechts. Das Werkklein
erinnert mich an die Lehre des Genfer Pathologen Prof. Dr. Dubois, der
vor vier Jahren eine liebenswürdige kleine Broschüre "Über den Einfluß des
Geistes auf den Körper" veröffentlichte. Prof. Dubois sieht in der Selbst¬
erziehung und dem Glauben an die eigene Widerstandskraft gegen erbliche
Belastungen, gegen nervöse Störungen, gegen Angst und Einbildungen eine
geistige Hygiene. Seelische Affektionen lösen körperliche Funktionen aus. Er
zitiert den Zustand der Trunkenheit und der Narkose sowie den Einfluß belebender
Medikamente, die Stimmung, Sinne und Organe gleichzeitig anregen. Geistige
Vorstellungen und seelische Aufregungen bewirken körperliche Veränderungen:
plötzliches Versagen der Glieder, Weißwerden der Haare nach einem Schrecken,
Magen- und Darmverstimmungen, umgekehrt das Verschwinden körperlicher
Schmerzen während einer den Geist anregenden Unterhaltung.

Wie eine Krankheit durch Gemütserregung entstehen kann, sollten wir auch
seelische Kräfte gegen sie ins Feld führen, anstatt sie durch ängstliche Aufmerk¬
samkeit zu vergrößern. Gedanken und Gefühle modifizieren heißt die moralische
Widerstandskraft vergrößern zur Veredelung der Persönlichkeit.

Im Lande Emersons Thoreaus, der hundert verschiedenen religiösen
Sekten, begnügt man sich nicht mit diesen kantianischen Möglichkeiten. Unser
amerikanischer Philosoph will die Macht der Gedanken nicht nur auf die
Gesundheit der Menschen, sondern auch auf deren geistige und körperliche
Schönheit und das persönliche Schicksal ausdehnen. Mulford spricht unserer
Gedankenwelt eine gleich allmächtige Kraft wie den großen Naturkräften zu.




Der Unfug des Sterbens
v L, v, K, on

Vollende dicht —
Dehmel

us dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten ist uns ein Buch
herübergeschickt worden: „Der Unfug des Sterbens". — Der
Autor, Prentice Mulford, gibt uns in diesem echt amerikanischen
Buch, einer Sammlung seiner Vorträge und Essays, eine Anleitung
zur endgültigen Veredlung des Menschengeschlechts. Das Werkklein
erinnert mich an die Lehre des Genfer Pathologen Prof. Dr. Dubois, der
vor vier Jahren eine liebenswürdige kleine Broschüre „Über den Einfluß des
Geistes auf den Körper" veröffentlichte. Prof. Dubois sieht in der Selbst¬
erziehung und dem Glauben an die eigene Widerstandskraft gegen erbliche
Belastungen, gegen nervöse Störungen, gegen Angst und Einbildungen eine
geistige Hygiene. Seelische Affektionen lösen körperliche Funktionen aus. Er
zitiert den Zustand der Trunkenheit und der Narkose sowie den Einfluß belebender
Medikamente, die Stimmung, Sinne und Organe gleichzeitig anregen. Geistige
Vorstellungen und seelische Aufregungen bewirken körperliche Veränderungen:
plötzliches Versagen der Glieder, Weißwerden der Haare nach einem Schrecken,
Magen- und Darmverstimmungen, umgekehrt das Verschwinden körperlicher
Schmerzen während einer den Geist anregenden Unterhaltung.

Wie eine Krankheit durch Gemütserregung entstehen kann, sollten wir auch
seelische Kräfte gegen sie ins Feld führen, anstatt sie durch ängstliche Aufmerk¬
samkeit zu vergrößern. Gedanken und Gefühle modifizieren heißt die moralische
Widerstandskraft vergrößern zur Veredelung der Persönlichkeit.

Im Lande Emersons Thoreaus, der hundert verschiedenen religiösen
Sekten, begnügt man sich nicht mit diesen kantianischen Möglichkeiten. Unser
amerikanischer Philosoph will die Macht der Gedanken nicht nur auf die
Gesundheit der Menschen, sondern auch auf deren geistige und körperliche
Schönheit und das persönliche Schicksal ausdehnen. Mulford spricht unserer
Gedankenwelt eine gleich allmächtige Kraft wie den großen Naturkräften zu.


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[0294] [Abbildung] Der Unfug des Sterbens v L, v, K, on Vollende dicht — Dehmel us dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten ist uns ein Buch herübergeschickt worden: „Der Unfug des Sterbens". — Der Autor, Prentice Mulford, gibt uns in diesem echt amerikanischen Buch, einer Sammlung seiner Vorträge und Essays, eine Anleitung zur endgültigen Veredlung des Menschengeschlechts. Das Werkklein erinnert mich an die Lehre des Genfer Pathologen Prof. Dr. Dubois, der vor vier Jahren eine liebenswürdige kleine Broschüre „Über den Einfluß des Geistes auf den Körper" veröffentlichte. Prof. Dubois sieht in der Selbst¬ erziehung und dem Glauben an die eigene Widerstandskraft gegen erbliche Belastungen, gegen nervöse Störungen, gegen Angst und Einbildungen eine geistige Hygiene. Seelische Affektionen lösen körperliche Funktionen aus. Er zitiert den Zustand der Trunkenheit und der Narkose sowie den Einfluß belebender Medikamente, die Stimmung, Sinne und Organe gleichzeitig anregen. Geistige Vorstellungen und seelische Aufregungen bewirken körperliche Veränderungen: plötzliches Versagen der Glieder, Weißwerden der Haare nach einem Schrecken, Magen- und Darmverstimmungen, umgekehrt das Verschwinden körperlicher Schmerzen während einer den Geist anregenden Unterhaltung. Wie eine Krankheit durch Gemütserregung entstehen kann, sollten wir auch seelische Kräfte gegen sie ins Feld führen, anstatt sie durch ängstliche Aufmerk¬ samkeit zu vergrößern. Gedanken und Gefühle modifizieren heißt die moralische Widerstandskraft vergrößern zur Veredelung der Persönlichkeit. Im Lande Emersons Thoreaus, der hundert verschiedenen religiösen Sekten, begnügt man sich nicht mit diesen kantianischen Möglichkeiten. Unser amerikanischer Philosoph will die Macht der Gedanken nicht nur auf die Gesundheit der Menschen, sondern auch auf deren geistige und körperliche Schönheit und das persönliche Schicksal ausdehnen. Mulford spricht unserer Gedankenwelt eine gleich allmächtige Kraft wie den großen Naturkräften zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/294>, abgerufen am 29.04.2024.