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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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(Lonstantin Brunner

^ öret und staunet! Habemus papam. Stimnien klingen an unser
lOhr, daß die Deutschen wieder einen großen Philosophen besitzen"
der zugleich ein großer Schriftsteller ist, ein Fechter mit haarscharfer
Klinge, ein Dialektiker von unvergleichlicher Art, ein Revolutionär
j im edelsten Sinne, dem die freieren Geister zujubeln und über den
alle Obskuranten in maßlosen Zorn geraten. Der neue große Philosoph nennt sich
Constantin Brunner und schrieb ein "Die Lehre von den Geistigen und vom Volke" be¬
titeltes weitschweifiges Werk von -- 1142 Seiten, das mit einer "Ankündigung" be¬
ginnt, in der der Verfasser das Neue seiner philosophischen Erkenntnis darlegt. Diese
Ankündigung wird in überschwenglicher Weise mit Spinozas wundervoller Ein¬
leitung zu der Abhandlung über die Vervollkommnung des Verstandes verglichen.
Ein Auszug des so voluminösen Werkes, das nach des Verfassers eigenen Worten
"die allerwichtigsten Interessen der Menschheit in erneuter Betrachtung zu umgreifen
hat", ist die gleichfalls im Verlag Karl Schnabel in Berlin (1910) erschienene
eckige, verzopfte Schrift "Spinoza gegen Kant und die Sache der geistigen Wahr¬
heit". Sie ist ein Denkmal für Spinoza, kein wuchtigeres und erhabeneres
Denkmal wird man ihm setzen können. Sie ist aber auch ein ungualifizierbares,
bodenloses Pamphlet auf Kant.

Um Spinoza und Kant dreht sich Brunners ganzes Denken und Sinnen, sie
stehen im Mittelpunkte seines ganzen Philosophierens. Der leidenschaftliche,
beispiellose, unerhört schroffe Kampf gegen den Weisen von Königsberg und die
maßlose Glorifizierung des vom amor vel intelleLtuglis erfüllten holländischen
Denkers sind die Leitmotive seines Hauptwerkes. Brunner stellt Spinoza und
.Kant einander gegenüber und erhebt das Feldgeschrei: Spinoza oder Kant! Sein
Gedankengang gipfelt darin, daß dem Denken von Spinoza das Vorteilhafteste
und von Kant das Nachteiligste widerfährt. "Immanuel Kant," so apostrophierter
ihn, "der große Scholastiker -- größer als Duns Scotus, OoLtor subtillZ --
größer als Thomas Aquinas, Doctor anZeliLUs -- größer als Albertus, der den
Beinamen ,der Große' führte -- Immanuel der Größte, Scholastizissimus, Doctor
inexpliLabilis!" Ein Scholastiker der Mann, der weit entfernt davon, ein abstruser,
auf dialektischen Nadelspitzen sich mühsam hinschleppender Philosoph zu sein, viel-
mehr ganz Anschauung, ganz Beobachtung, ganz Naturforscher ist, nur daß sein
Schauen vornehmlich auf das Ich, seine Beobachtung auf die Zerlegung des


Gronzbvton IV 1910 so


(Lonstantin Brunner

^ öret und staunet! Habemus papam. Stimnien klingen an unser
lOhr, daß die Deutschen wieder einen großen Philosophen besitzen»
der zugleich ein großer Schriftsteller ist, ein Fechter mit haarscharfer
Klinge, ein Dialektiker von unvergleichlicher Art, ein Revolutionär
j im edelsten Sinne, dem die freieren Geister zujubeln und über den
alle Obskuranten in maßlosen Zorn geraten. Der neue große Philosoph nennt sich
Constantin Brunner und schrieb ein „Die Lehre von den Geistigen und vom Volke" be¬
titeltes weitschweifiges Werk von — 1142 Seiten, das mit einer „Ankündigung" be¬
ginnt, in der der Verfasser das Neue seiner philosophischen Erkenntnis darlegt. Diese
Ankündigung wird in überschwenglicher Weise mit Spinozas wundervoller Ein¬
leitung zu der Abhandlung über die Vervollkommnung des Verstandes verglichen.
Ein Auszug des so voluminösen Werkes, das nach des Verfassers eigenen Worten
„die allerwichtigsten Interessen der Menschheit in erneuter Betrachtung zu umgreifen
hat", ist die gleichfalls im Verlag Karl Schnabel in Berlin (1910) erschienene
eckige, verzopfte Schrift „Spinoza gegen Kant und die Sache der geistigen Wahr¬
heit". Sie ist ein Denkmal für Spinoza, kein wuchtigeres und erhabeneres
Denkmal wird man ihm setzen können. Sie ist aber auch ein ungualifizierbares,
bodenloses Pamphlet auf Kant.

Um Spinoza und Kant dreht sich Brunners ganzes Denken und Sinnen, sie
stehen im Mittelpunkte seines ganzen Philosophierens. Der leidenschaftliche,
beispiellose, unerhört schroffe Kampf gegen den Weisen von Königsberg und die
maßlose Glorifizierung des vom amor vel intelleLtuglis erfüllten holländischen
Denkers sind die Leitmotive seines Hauptwerkes. Brunner stellt Spinoza und
.Kant einander gegenüber und erhebt das Feldgeschrei: Spinoza oder Kant! Sein
Gedankengang gipfelt darin, daß dem Denken von Spinoza das Vorteilhafteste
und von Kant das Nachteiligste widerfährt. „Immanuel Kant," so apostrophierter
ihn, „der große Scholastiker — größer als Duns Scotus, OoLtor subtillZ —
größer als Thomas Aquinas, Doctor anZeliLUs — größer als Albertus, der den
Beinamen ,der Große' führte — Immanuel der Größte, Scholastizissimus, Doctor
inexpliLabilis!" Ein Scholastiker der Mann, der weit entfernt davon, ein abstruser,
auf dialektischen Nadelspitzen sich mühsam hinschleppender Philosoph zu sein, viel-
mehr ganz Anschauung, ganz Beobachtung, ganz Naturforscher ist, nur daß sein
Schauen vornehmlich auf das Ich, seine Beobachtung auf die Zerlegung des


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[0405] [Abbildung] (Lonstantin Brunner ^ öret und staunet! Habemus papam. Stimnien klingen an unser lOhr, daß die Deutschen wieder einen großen Philosophen besitzen» der zugleich ein großer Schriftsteller ist, ein Fechter mit haarscharfer Klinge, ein Dialektiker von unvergleichlicher Art, ein Revolutionär j im edelsten Sinne, dem die freieren Geister zujubeln und über den alle Obskuranten in maßlosen Zorn geraten. Der neue große Philosoph nennt sich Constantin Brunner und schrieb ein „Die Lehre von den Geistigen und vom Volke" be¬ titeltes weitschweifiges Werk von — 1142 Seiten, das mit einer „Ankündigung" be¬ ginnt, in der der Verfasser das Neue seiner philosophischen Erkenntnis darlegt. Diese Ankündigung wird in überschwenglicher Weise mit Spinozas wundervoller Ein¬ leitung zu der Abhandlung über die Vervollkommnung des Verstandes verglichen. Ein Auszug des so voluminösen Werkes, das nach des Verfassers eigenen Worten „die allerwichtigsten Interessen der Menschheit in erneuter Betrachtung zu umgreifen hat", ist die gleichfalls im Verlag Karl Schnabel in Berlin (1910) erschienene eckige, verzopfte Schrift „Spinoza gegen Kant und die Sache der geistigen Wahr¬ heit". Sie ist ein Denkmal für Spinoza, kein wuchtigeres und erhabeneres Denkmal wird man ihm setzen können. Sie ist aber auch ein ungualifizierbares, bodenloses Pamphlet auf Kant. Um Spinoza und Kant dreht sich Brunners ganzes Denken und Sinnen, sie stehen im Mittelpunkte seines ganzen Philosophierens. Der leidenschaftliche, beispiellose, unerhört schroffe Kampf gegen den Weisen von Königsberg und die maßlose Glorifizierung des vom amor vel intelleLtuglis erfüllten holländischen Denkers sind die Leitmotive seines Hauptwerkes. Brunner stellt Spinoza und .Kant einander gegenüber und erhebt das Feldgeschrei: Spinoza oder Kant! Sein Gedankengang gipfelt darin, daß dem Denken von Spinoza das Vorteilhafteste und von Kant das Nachteiligste widerfährt. „Immanuel Kant," so apostrophierter ihn, „der große Scholastiker — größer als Duns Scotus, OoLtor subtillZ — größer als Thomas Aquinas, Doctor anZeliLUs — größer als Albertus, der den Beinamen ,der Große' führte — Immanuel der Größte, Scholastizissimus, Doctor inexpliLabilis!" Ein Scholastiker der Mann, der weit entfernt davon, ein abstruser, auf dialektischen Nadelspitzen sich mühsam hinschleppender Philosoph zu sein, viel- mehr ganz Anschauung, ganz Beobachtung, ganz Naturforscher ist, nur daß sein Schauen vornehmlich auf das Ich, seine Beobachtung auf die Zerlegung des Gronzbvton IV 1910 so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/405>, abgerufen am 29.04.2024.