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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Gin Dichtergemüt
(Lin Beitrag zur Pathologie der poetiasis)

MM^>aum gibt es ein erbarmungswürdigeres Opfer eigener Narrheit,
einen Ritter traurigerer Gestalt, als den Helden jener uralten
Tragikomödie vom "poets iniÄZirmire", die trotz ihrer Betagtheit
immer noch ihres Molieres harrt. Der skrupellose Verleger, der
>wie ein Geier an diesem verstörten Herzen frißt, mästet sich ja oft
genug an der Legion trostloser Dichterlinge. Und so ein Papiersilo und Vers¬
warenhaus wirft zuweilen auf einmal ganze Schubkarren von Gedichtbänden auf
den Schutthaufen der Redaktionen. "Zur gefälligen Besprechung." Harmlose
Irre soll man an sich in Frieden lassen und nicht ernst nehmen. Erst dann fängt
die Sache an- bedenklich zu werden, wenn ihr dreistes Auftreten, ihre selbstgefällige
Geniepose und eine gewisse geschickte Mache die Gefahr mit sich bringen, daß sie
von anderen ernst genommen werden und mit dazu beitragen könnten, das
Kulturniveau herabzudrücken. Dann mag man einen solchen Fall als typisch
herausgreifen und brandmarken. Aber man soll darüber auch nicht vergessen,
aus jeder Blüte Honig zu saugen und die unfreiwilligen Humore eines solchen
Parnassauers therapeutisch für die Mitmenschen zu verwerten.

Denn diese unfreiwilligen Humore, die wie der Schatten der seligen Friederike
Brun durch dies Buch*) huschen, wirken heilkräftig und verdauungsfördernd. Eine
Kraft, die nicht einmal das Böse will und doch das Gute schafft, wird lebendig in diesen
faden und seichten Gemeinplätzen, die etwas euphemistisch "Gedanken" genannt
werden. Eine Null wird erst in dem Augenblick interessant, wo sie sich bläht.
Man paßt gespannt auf, ob sie aufplatzen wird. Ein Dichterling erwirbt sich
vollen Anspruch auf Dank erst dann, wenn er seinen Quark gewissermaßen ex
cstnecZra mit Prophetengeste vom Kothurn in die Lande ruft.

In diesem Fall scheint eine Ausbeutung seitens des Verlegers gar nicht
einmal vorzuliegen. Die Trostlosigkeit der Dichtungen eint sich aber mit der
felsenfesten Überzeugung des Dichters von seiner Sendung zu einer höchst reizvollen
Kakophonie, zu einer Quelle behaglichen und grausamen Vergnügens. Dieses
Durchdrungensein von sich selbst ist eben unbedingtestes Mußrequisit für den
ästhetischen Wert solcher Gedichte. Stunde nicht an der Spitze: "Alle Rechte



*) Hubert PntÄy, "Wie sie träumen, die Gedanken." (Gedichte.) Verlegt bei Otto
Jonasson -- Eckermann, Berlin.


Gin Dichtergemüt
(Lin Beitrag zur Pathologie der poetiasis)

MM^>aum gibt es ein erbarmungswürdigeres Opfer eigener Narrheit,
einen Ritter traurigerer Gestalt, als den Helden jener uralten
Tragikomödie vom „poets iniÄZirmire", die trotz ihrer Betagtheit
immer noch ihres Molieres harrt. Der skrupellose Verleger, der
>wie ein Geier an diesem verstörten Herzen frißt, mästet sich ja oft
genug an der Legion trostloser Dichterlinge. Und so ein Papiersilo und Vers¬
warenhaus wirft zuweilen auf einmal ganze Schubkarren von Gedichtbänden auf
den Schutthaufen der Redaktionen. „Zur gefälligen Besprechung." Harmlose
Irre soll man an sich in Frieden lassen und nicht ernst nehmen. Erst dann fängt
die Sache an- bedenklich zu werden, wenn ihr dreistes Auftreten, ihre selbstgefällige
Geniepose und eine gewisse geschickte Mache die Gefahr mit sich bringen, daß sie
von anderen ernst genommen werden und mit dazu beitragen könnten, das
Kulturniveau herabzudrücken. Dann mag man einen solchen Fall als typisch
herausgreifen und brandmarken. Aber man soll darüber auch nicht vergessen,
aus jeder Blüte Honig zu saugen und die unfreiwilligen Humore eines solchen
Parnassauers therapeutisch für die Mitmenschen zu verwerten.

Denn diese unfreiwilligen Humore, die wie der Schatten der seligen Friederike
Brun durch dies Buch*) huschen, wirken heilkräftig und verdauungsfördernd. Eine
Kraft, die nicht einmal das Böse will und doch das Gute schafft, wird lebendig in diesen
faden und seichten Gemeinplätzen, die etwas euphemistisch „Gedanken" genannt
werden. Eine Null wird erst in dem Augenblick interessant, wo sie sich bläht.
Man paßt gespannt auf, ob sie aufplatzen wird. Ein Dichterling erwirbt sich
vollen Anspruch auf Dank erst dann, wenn er seinen Quark gewissermaßen ex
cstnecZra mit Prophetengeste vom Kothurn in die Lande ruft.

In diesem Fall scheint eine Ausbeutung seitens des Verlegers gar nicht
einmal vorzuliegen. Die Trostlosigkeit der Dichtungen eint sich aber mit der
felsenfesten Überzeugung des Dichters von seiner Sendung zu einer höchst reizvollen
Kakophonie, zu einer Quelle behaglichen und grausamen Vergnügens. Dieses
Durchdrungensein von sich selbst ist eben unbedingtestes Mußrequisit für den
ästhetischen Wert solcher Gedichte. Stunde nicht an der Spitze: „Alle Rechte



*) Hubert PntÄy, „Wie sie träumen, die Gedanken." (Gedichte.) Verlegt bei Otto
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/601>, abgerufen am 29.04.2024.