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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Lin Dichtcrgemüt

strengstens vorbehalten", stünde nicht unter geradezu erschütternden Nichtigkeiten
der fußnotpeinliche Vermerk: "Vom Verfasser verlöre", schrie nicht aus all dem
zusammengeschusterten Zeilengeklingel banalster Art der unverstandene Gram des
Einsamen, kein Mensch in aller Welt würde die Sache komisch finden, keiner eine
Zeile darüber schreiben. Wer so ein richtiger friderieianischer Poet, ein echter
Nachfahre der Kempnerin sein will, der nutz es erreichen, daß wir bei seiner
Tragik aus vollem Halse lachen können, daß uns aber der Menschheit ganzer
Jammer anpackt, will er uns einmal komisch kommen. Es ist erreicht, und die
urkomischen Prätensionen dieses Dichters lassen eine gesättigte stille Heiterkeit zurück.
"Zyklus" schreibt er großspurig über drei komische Trauerlieder an die tote Geliebte,
und der "Zyklus" beginnt:

Aber ihm wohnt offenbar nicht allzuviel "im Herz". Einer über die Maßen
rührsamen Kinderweihnachtstragödie gibt er den Untertitel: "Dichterische Skizze".
Das schafft dem Ganzen dann gleich eine ganz andere literarische Folie, und man
weiß, hier redet ein richtiger Dichter.

"Im Volkston" setzt er über ein anderes Opus, und weiß Gott, es ist nötig,
das herüberzuschreiben. Die Sache vollzieht sich nämlich so:

Robert Johannes würde verständig sein und hier schließen: "aus!" Unserem
Dichter fällt das nicht ein. Es ist zum Ratschlägen komisch, wie er von sich selbst
berichtet, daß er "jodeskühn" gegen eine Welt von Tücke, Verrat und Heuchelei
zu kämpfen habe, wie sein Geist "stolz und klar" bleibt. Das ist stets Ehrensache
bei solchen Dichtern. Zu einem nach Form und Inhalt glänzenden Schilderer des
mondänen und demimondänen Grotzstadtlebens schwingt er sich auf. Irgendwo
staut sich eine Menschenmenge:

Gegen die Gräßlichkeit dieses Unglücksfalls ist freilich jede Feuerwehr und
der resoluteste Schutzmann wehrlos, und wollten sie auch "unabliißlich" spritzen
und dreinhauen. Den Reim weiß er sich auch sonst souverän zu unterwerfen.
So singt in einem der höchsteigenhändig vertonten Stücke der "Schwerenöter Spatz":


Lin Dichtcrgemüt

strengstens vorbehalten", stünde nicht unter geradezu erschütternden Nichtigkeiten
der fußnotpeinliche Vermerk: „Vom Verfasser verlöre", schrie nicht aus all dem
zusammengeschusterten Zeilengeklingel banalster Art der unverstandene Gram des
Einsamen, kein Mensch in aller Welt würde die Sache komisch finden, keiner eine
Zeile darüber schreiben. Wer so ein richtiger friderieianischer Poet, ein echter
Nachfahre der Kempnerin sein will, der nutz es erreichen, daß wir bei seiner
Tragik aus vollem Halse lachen können, daß uns aber der Menschheit ganzer
Jammer anpackt, will er uns einmal komisch kommen. Es ist erreicht, und die
urkomischen Prätensionen dieses Dichters lassen eine gesättigte stille Heiterkeit zurück.
„Zyklus" schreibt er großspurig über drei komische Trauerlieder an die tote Geliebte,
und der „Zyklus" beginnt:

Aber ihm wohnt offenbar nicht allzuviel „im Herz". Einer über die Maßen
rührsamen Kinderweihnachtstragödie gibt er den Untertitel: „Dichterische Skizze".
Das schafft dem Ganzen dann gleich eine ganz andere literarische Folie, und man
weiß, hier redet ein richtiger Dichter.

„Im Volkston" setzt er über ein anderes Opus, und weiß Gott, es ist nötig,
das herüberzuschreiben. Die Sache vollzieht sich nämlich so:

Robert Johannes würde verständig sein und hier schließen: „aus!" Unserem
Dichter fällt das nicht ein. Es ist zum Ratschlägen komisch, wie er von sich selbst
berichtet, daß er „jodeskühn" gegen eine Welt von Tücke, Verrat und Heuchelei
zu kämpfen habe, wie sein Geist „stolz und klar" bleibt. Das ist stets Ehrensache
bei solchen Dichtern. Zu einem nach Form und Inhalt glänzenden Schilderer des
mondänen und demimondänen Grotzstadtlebens schwingt er sich auf. Irgendwo
staut sich eine Menschenmenge:

Gegen die Gräßlichkeit dieses Unglücksfalls ist freilich jede Feuerwehr und
der resoluteste Schutzmann wehrlos, und wollten sie auch „unabliißlich" spritzen
und dreinhauen. Den Reim weiß er sich auch sonst souverän zu unterwerfen.
So singt in einem der höchsteigenhändig vertonten Stücke der „Schwerenöter Spatz":


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[0602] Lin Dichtcrgemüt strengstens vorbehalten", stünde nicht unter geradezu erschütternden Nichtigkeiten der fußnotpeinliche Vermerk: „Vom Verfasser verlöre", schrie nicht aus all dem zusammengeschusterten Zeilengeklingel banalster Art der unverstandene Gram des Einsamen, kein Mensch in aller Welt würde die Sache komisch finden, keiner eine Zeile darüber schreiben. Wer so ein richtiger friderieianischer Poet, ein echter Nachfahre der Kempnerin sein will, der nutz es erreichen, daß wir bei seiner Tragik aus vollem Halse lachen können, daß uns aber der Menschheit ganzer Jammer anpackt, will er uns einmal komisch kommen. Es ist erreicht, und die urkomischen Prätensionen dieses Dichters lassen eine gesättigte stille Heiterkeit zurück. „Zyklus" schreibt er großspurig über drei komische Trauerlieder an die tote Geliebte, und der „Zyklus" beginnt: Aber ihm wohnt offenbar nicht allzuviel „im Herz". Einer über die Maßen rührsamen Kinderweihnachtstragödie gibt er den Untertitel: „Dichterische Skizze". Das schafft dem Ganzen dann gleich eine ganz andere literarische Folie, und man weiß, hier redet ein richtiger Dichter. „Im Volkston" setzt er über ein anderes Opus, und weiß Gott, es ist nötig, das herüberzuschreiben. Die Sache vollzieht sich nämlich so: Robert Johannes würde verständig sein und hier schließen: „aus!" Unserem Dichter fällt das nicht ein. Es ist zum Ratschlägen komisch, wie er von sich selbst berichtet, daß er „jodeskühn" gegen eine Welt von Tücke, Verrat und Heuchelei zu kämpfen habe, wie sein Geist „stolz und klar" bleibt. Das ist stets Ehrensache bei solchen Dichtern. Zu einem nach Form und Inhalt glänzenden Schilderer des mondänen und demimondänen Grotzstadtlebens schwingt er sich auf. Irgendwo staut sich eine Menschenmenge: Gegen die Gräßlichkeit dieses Unglücksfalls ist freilich jede Feuerwehr und der resoluteste Schutzmann wehrlos, und wollten sie auch „unabliißlich" spritzen und dreinhauen. Den Reim weiß er sich auch sonst souverän zu unterwerfen. So singt in einem der höchsteigenhändig vertonten Stücke der „Schwerenöter Spatz":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/602>, abgerufen am 15.05.2024.