Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rcichsspiegcl

Intelligenz und Initiative. Man wird einwenden, beide Eigenschaften seien auch
der Masse eigen durch ihre Führer, dnrch die Gewerkschaftsbeamten oder die
Gewerkschaftsbureaukratie. Gewiß, in einem späteren Stadium der "Ver¬
gesellschaftung" der Produktionsmittel, wenn nämlich die heutigen Unternehmer
Staatsangestellte sein werden, mag man von einer wirtschaftlichen Initiative der
Masse sprechen dürfen, einstweilen nur von Instinkten, die einer taktvollen Leitung
bedürfen, sollen sie nicht schädlich wirken. Damit aber sinken auch die letzten
Reste eines moralischen Grundes in sich zusammen, der seinerzeit die Sympathien
vieler Gebildeten auf die Seite der organisierten Arbeiter führte. Solange
diese lediglich ihren Anteil am steigenden Wohlstand forderten, lagen ihre
Bestrebungen auch im Interesse der Nation. Nun sie aber den ganzen Volks¬
körper auszusaugen drohen, und noch dazu für eine Minderheit, erweisen sie sich
als eine nationale Gefahr, der die Nation entgegentreten muß, will sie sich
nicht an jüngere, in ihren Anforderungen ans Leben bescheidenere Völker verlieren.


Aolonialfragen

Keine Eisenbahnen -- Eingcborenenpolitik -- Ponape.

In der Kolonialpolitik hat der Wechsel an der Spitze der Kolonial¬
verwaltung bis jetzt noch keine erkennbaren Veränderungen hervorgebracht. Der
neue Staatssekretär hat vielmehr bei seiner Jungfernrede ziemlich deutlich zu
verstehen gegeben, daß er auf den bewährten Dernburgschen Bahnen weiter¬
wandeln will. Im übrigen hat er sich hinsichtlich der Hauptfragen der Kolonial¬
politik mit großer -- uns will dünken, mit etwas zu großer-- Zurückhaltung aus¬
gesprochen. Da Herr v. Lindequist in den Fußstapfen seines Vorgängers wandeln
will, so möchten wir bescheidentlich daran erinnern, daß zu dessen Rüstzeug auch
ein gut Teil Draufgängertum gehörte.

In kolonialen Kreisen ist man da und dort etwas enttäuscht, daß der Herbst
auch nicht die kleinste koloniale Eisenbahnvorlage gebracht hat. Man sagt
sich nicht ganz mit Unrecht, daß wir vom kommenden Reichstag in dieser Richtung
vorläufig nicht allzuviel erwarten dürfenlund deshalb das Eisen schmieden sollten,
solange es noch heiß ist. Aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Vielleicht
will auch Herr v. Lindequist sein Ressort beim nächsten Reichstag nicht durch ein
zu forsches Vorgehen im voraus in Mißkredit bringen. Wenn man über diesen
Punkt zweierlei Meinung sein kann, so hätten wir doch gewünscht, daß Herr
v. Lindequist sich wenigstens über seine Anschauungen in der Frage der Ein¬
geborenenpolitik und der Besiedlung der Kolonien einigermaßen pro¬
grammatisch ausgesprochen hätte. Denn in diesen beiden Fragen erwartet man in
kolonialen Kreisen von dem neuen Staatssekretär mancherlei Wandlungen und
hat gerade deswegen seine Wahl sympathisch begrüßt. Bestimmte Vorgänge
in den Kolonien hätten sogar einen unmittelbaren Anlaß zur Aussprache geboten.
Doch vielleicht holt der Staatssekretär dies bei der zweiten Lesung des Etats nach.


Rcichsspiegcl

Intelligenz und Initiative. Man wird einwenden, beide Eigenschaften seien auch
der Masse eigen durch ihre Führer, dnrch die Gewerkschaftsbeamten oder die
Gewerkschaftsbureaukratie. Gewiß, in einem späteren Stadium der „Ver¬
gesellschaftung" der Produktionsmittel, wenn nämlich die heutigen Unternehmer
Staatsangestellte sein werden, mag man von einer wirtschaftlichen Initiative der
Masse sprechen dürfen, einstweilen nur von Instinkten, die einer taktvollen Leitung
bedürfen, sollen sie nicht schädlich wirken. Damit aber sinken auch die letzten
Reste eines moralischen Grundes in sich zusammen, der seinerzeit die Sympathien
vieler Gebildeten auf die Seite der organisierten Arbeiter führte. Solange
diese lediglich ihren Anteil am steigenden Wohlstand forderten, lagen ihre
Bestrebungen auch im Interesse der Nation. Nun sie aber den ganzen Volks¬
körper auszusaugen drohen, und noch dazu für eine Minderheit, erweisen sie sich
als eine nationale Gefahr, der die Nation entgegentreten muß, will sie sich
nicht an jüngere, in ihren Anforderungen ans Leben bescheidenere Völker verlieren.


Aolonialfragen

Keine Eisenbahnen — Eingcborenenpolitik — Ponape.

In der Kolonialpolitik hat der Wechsel an der Spitze der Kolonial¬
verwaltung bis jetzt noch keine erkennbaren Veränderungen hervorgebracht. Der
neue Staatssekretär hat vielmehr bei seiner Jungfernrede ziemlich deutlich zu
verstehen gegeben, daß er auf den bewährten Dernburgschen Bahnen weiter¬
wandeln will. Im übrigen hat er sich hinsichtlich der Hauptfragen der Kolonial¬
politik mit großer — uns will dünken, mit etwas zu großer— Zurückhaltung aus¬
gesprochen. Da Herr v. Lindequist in den Fußstapfen seines Vorgängers wandeln
will, so möchten wir bescheidentlich daran erinnern, daß zu dessen Rüstzeug auch
ein gut Teil Draufgängertum gehörte.

In kolonialen Kreisen ist man da und dort etwas enttäuscht, daß der Herbst
auch nicht die kleinste koloniale Eisenbahnvorlage gebracht hat. Man sagt
sich nicht ganz mit Unrecht, daß wir vom kommenden Reichstag in dieser Richtung
vorläufig nicht allzuviel erwarten dürfenlund deshalb das Eisen schmieden sollten,
solange es noch heiß ist. Aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Vielleicht
will auch Herr v. Lindequist sein Ressort beim nächsten Reichstag nicht durch ein
zu forsches Vorgehen im voraus in Mißkredit bringen. Wenn man über diesen
Punkt zweierlei Meinung sein kann, so hätten wir doch gewünscht, daß Herr
v. Lindequist sich wenigstens über seine Anschauungen in der Frage der Ein¬
geborenenpolitik und der Besiedlung der Kolonien einigermaßen pro¬
grammatisch ausgesprochen hätte. Denn in diesen beiden Fragen erwartet man in
kolonialen Kreisen von dem neuen Staatssekretär mancherlei Wandlungen und
hat gerade deswegen seine Wahl sympathisch begrüßt. Bestimmte Vorgänge
in den Kolonien hätten sogar einen unmittelbaren Anlaß zur Aussprache geboten.
Doch vielleicht holt der Staatssekretär dies bei der zweiten Lesung des Etats nach.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317728"/>
            <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegcl</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_538" prev="#ID_537"> Intelligenz und Initiative. Man wird einwenden, beide Eigenschaften seien auch<lb/>
der Masse eigen durch ihre Führer, dnrch die Gewerkschaftsbeamten oder die<lb/>
Gewerkschaftsbureaukratie. Gewiß, in einem späteren Stadium der &#x201E;Ver¬<lb/>
gesellschaftung" der Produktionsmittel, wenn nämlich die heutigen Unternehmer<lb/>
Staatsangestellte sein werden, mag man von einer wirtschaftlichen Initiative der<lb/>
Masse sprechen dürfen, einstweilen nur von Instinkten, die einer taktvollen Leitung<lb/>
bedürfen, sollen sie nicht schädlich wirken. Damit aber sinken auch die letzten<lb/>
Reste eines moralischen Grundes in sich zusammen, der seinerzeit die Sympathien<lb/>
vieler Gebildeten auf die Seite der organisierten Arbeiter führte. Solange<lb/>
diese lediglich ihren Anteil am steigenden Wohlstand forderten, lagen ihre<lb/>
Bestrebungen auch im Interesse der Nation. Nun sie aber den ganzen Volks¬<lb/>
körper auszusaugen drohen, und noch dazu für eine Minderheit, erweisen sie sich<lb/>
als eine nationale Gefahr, der die Nation entgegentreten muß, will sie sich<lb/>
nicht an jüngere, in ihren Anforderungen ans Leben bescheidenere Völker verlieren.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Aolonialfragen</head><lb/>
            <note type="argument"> Keine Eisenbahnen &#x2014; Eingcborenenpolitik &#x2014; Ponape.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_539"> In der Kolonialpolitik hat der Wechsel an der Spitze der Kolonial¬<lb/>
verwaltung bis jetzt noch keine erkennbaren Veränderungen hervorgebracht. Der<lb/>
neue Staatssekretär hat vielmehr bei seiner Jungfernrede ziemlich deutlich zu<lb/>
verstehen gegeben, daß er auf den bewährten Dernburgschen Bahnen weiter¬<lb/>
wandeln will. Im übrigen hat er sich hinsichtlich der Hauptfragen der Kolonial¬<lb/>
politik mit großer &#x2014; uns will dünken, mit etwas zu großer&#x2014; Zurückhaltung aus¬<lb/>
gesprochen. Da Herr v. Lindequist in den Fußstapfen seines Vorgängers wandeln<lb/>
will, so möchten wir bescheidentlich daran erinnern, daß zu dessen Rüstzeug auch<lb/>
ein gut Teil Draufgängertum gehörte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_540"> In kolonialen Kreisen ist man da und dort etwas enttäuscht, daß der Herbst<lb/>
auch nicht die kleinste koloniale Eisenbahnvorlage gebracht hat. Man sagt<lb/>
sich nicht ganz mit Unrecht, daß wir vom kommenden Reichstag in dieser Richtung<lb/>
vorläufig nicht allzuviel erwarten dürfenlund deshalb das Eisen schmieden sollten,<lb/>
solange es noch heiß ist. Aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Vielleicht<lb/>
will auch Herr v. Lindequist sein Ressort beim nächsten Reichstag nicht durch ein<lb/>
zu forsches Vorgehen im voraus in Mißkredit bringen. Wenn man über diesen<lb/>
Punkt zweierlei Meinung sein kann, so hätten wir doch gewünscht, daß Herr<lb/>
v. Lindequist sich wenigstens über seine Anschauungen in der Frage der Ein¬<lb/>
geborenenpolitik und der Besiedlung der Kolonien einigermaßen pro¬<lb/>
grammatisch ausgesprochen hätte. Denn in diesen beiden Fragen erwartet man in<lb/>
kolonialen Kreisen von dem neuen Staatssekretär mancherlei Wandlungen und<lb/>
hat gerade deswegen seine Wahl sympathisch begrüßt. Bestimmte Vorgänge<lb/>
in den Kolonien hätten sogar einen unmittelbaren Anlaß zur Aussprache geboten.<lb/>
Doch vielleicht holt der Staatssekretär dies bei der zweiten Lesung des Etats nach.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Rcichsspiegcl Intelligenz und Initiative. Man wird einwenden, beide Eigenschaften seien auch der Masse eigen durch ihre Führer, dnrch die Gewerkschaftsbeamten oder die Gewerkschaftsbureaukratie. Gewiß, in einem späteren Stadium der „Ver¬ gesellschaftung" der Produktionsmittel, wenn nämlich die heutigen Unternehmer Staatsangestellte sein werden, mag man von einer wirtschaftlichen Initiative der Masse sprechen dürfen, einstweilen nur von Instinkten, die einer taktvollen Leitung bedürfen, sollen sie nicht schädlich wirken. Damit aber sinken auch die letzten Reste eines moralischen Grundes in sich zusammen, der seinerzeit die Sympathien vieler Gebildeten auf die Seite der organisierten Arbeiter führte. Solange diese lediglich ihren Anteil am steigenden Wohlstand forderten, lagen ihre Bestrebungen auch im Interesse der Nation. Nun sie aber den ganzen Volks¬ körper auszusaugen drohen, und noch dazu für eine Minderheit, erweisen sie sich als eine nationale Gefahr, der die Nation entgegentreten muß, will sie sich nicht an jüngere, in ihren Anforderungen ans Leben bescheidenere Völker verlieren. Aolonialfragen Keine Eisenbahnen — Eingcborenenpolitik — Ponape. In der Kolonialpolitik hat der Wechsel an der Spitze der Kolonial¬ verwaltung bis jetzt noch keine erkennbaren Veränderungen hervorgebracht. Der neue Staatssekretär hat vielmehr bei seiner Jungfernrede ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, daß er auf den bewährten Dernburgschen Bahnen weiter¬ wandeln will. Im übrigen hat er sich hinsichtlich der Hauptfragen der Kolonial¬ politik mit großer — uns will dünken, mit etwas zu großer— Zurückhaltung aus¬ gesprochen. Da Herr v. Lindequist in den Fußstapfen seines Vorgängers wandeln will, so möchten wir bescheidentlich daran erinnern, daß zu dessen Rüstzeug auch ein gut Teil Draufgängertum gehörte. In kolonialen Kreisen ist man da und dort etwas enttäuscht, daß der Herbst auch nicht die kleinste koloniale Eisenbahnvorlage gebracht hat. Man sagt sich nicht ganz mit Unrecht, daß wir vom kommenden Reichstag in dieser Richtung vorläufig nicht allzuviel erwarten dürfenlund deshalb das Eisen schmieden sollten, solange es noch heiß ist. Aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Vielleicht will auch Herr v. Lindequist sein Ressort beim nächsten Reichstag nicht durch ein zu forsches Vorgehen im voraus in Mißkredit bringen. Wenn man über diesen Punkt zweierlei Meinung sein kann, so hätten wir doch gewünscht, daß Herr v. Lindequist sich wenigstens über seine Anschauungen in der Frage der Ein¬ geborenenpolitik und der Besiedlung der Kolonien einigermaßen pro¬ grammatisch ausgesprochen hätte. Denn in diesen beiden Fragen erwartet man in kolonialen Kreisen von dem neuen Staatssekretär mancherlei Wandlungen und hat gerade deswegen seine Wahl sympathisch begrüßt. Bestimmte Vorgänge in den Kolonien hätten sogar einen unmittelbaren Anlaß zur Aussprache geboten. Doch vielleicht holt der Staatssekretär dies bei der zweiten Lesung des Etats nach.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/115>, abgerufen am 03.05.2024.