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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Schulen mögen also vorsichtig sein und nicht den Vorwurf der Rückständigkeit
erheben gegen den Oberlehrerstand, der geschlossen gegen eine Erweiterung der
Rechte der Patronate eingetreten ist. Beschränkung der Staatsaufsicht und
Erweiterung der Rechte und Pflichten der kommunalen Selbstverwaltungskörper --
das ist der Rückschritt, und zwar ein Rückschritt bis ins achtzehnte Jahrhundert.
Der Fortschritt liegt hier auf dem Wege, den schon die Verfassungsurkunde vom
Jahre 1850 gewiesen hat. Durch den Erlaß eines Unterrichtsgesetzes sind die
höheren Schulen den Zuständen des Polizeistaates mit seinen Ministerialerlassen,
die den verfügenden Faktor selbst nicht binden, zu entrücken und durch feste
gesetzliche Bestimmungen auf den Boden des Rechtsstaates zu stellen. Ob die
Gesetze dann den höheren Schulen und den Universitäten, welche ähnliche
Forderungen ja schon lange erheben, den Charakter von selbständigen Korpo¬
rationen, also eigenen Selbstverwaltungskörpern, verleihen oder die höheren
Schulen völlig in die Verwaltung des Staates nehmen -- beides entspricht dem
Sinne der preußischen Verfassung, und nur eine Regelung in diesem Sinne kann
einen Fortschritt bilden, nicht aber eine Rückbildung des höheren Unterrichts¬
wesens zu einer Angelegenheit selbständiger und selbstherrlicher Patronate.




Im Flecken
Erzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyher von
Elftes Kapitel: Okolitsch auf der Jagd.

Die zweite Hälfte des März war im Gange. Die Sonne wärmte, ja an
manchen Tagen um die Mittagzeit brannte sie, wie man zu sagen pflegt. Unter
ihren Strahlen schmolz der Schnee von den Dächern und Hügeln. Im Flecken
und auf der Chaussee gab es nicht allein frühjährlichen Schmutz im Überfluß,
sondern sogar schon sommerlich betrocknete Stellen und Streifen. Draußen in der
Umgegend aber lagen die Wälder und Schluchten meist noch ganz unter der
weißen Winterhülle. Die Bäche und Flüsse dachten nicht daran, die Eisdecke
abzuwerfen, denn in der Nacht fror es regelmäßig, und an jedem Morgen mußte
die Sonne erst auskauen, was von der Kälte neu erstarrt war, ehe sie ihre Schmelz¬
arbeit vom vorigen Tage aufnehmen konnte.

Daher kam es, daß Mariä Verkündigung vor der Tür war und Okolitsch
trotzdem keinen Gebrauch von den Patronen machen konnte, welche er seit Wochen
zum Empfang der ersehnten Schnepfen instant gesetzt hatte. Er war wieder
einmal am Abend durch den Vorstecker ins freie Feld hinausgegangen, um sich
von neuem zu überzeugen, daß an das Vorhandensein der Langschnäbel auch noch
nicht zu denken sei. Da kam eben ein Kronsforstwächter auf seinem Pferdchen


Im Llccken

Schulen mögen also vorsichtig sein und nicht den Vorwurf der Rückständigkeit
erheben gegen den Oberlehrerstand, der geschlossen gegen eine Erweiterung der
Rechte der Patronate eingetreten ist. Beschränkung der Staatsaufsicht und
Erweiterung der Rechte und Pflichten der kommunalen Selbstverwaltungskörper —
das ist der Rückschritt, und zwar ein Rückschritt bis ins achtzehnte Jahrhundert.
Der Fortschritt liegt hier auf dem Wege, den schon die Verfassungsurkunde vom
Jahre 1850 gewiesen hat. Durch den Erlaß eines Unterrichtsgesetzes sind die
höheren Schulen den Zuständen des Polizeistaates mit seinen Ministerialerlassen,
die den verfügenden Faktor selbst nicht binden, zu entrücken und durch feste
gesetzliche Bestimmungen auf den Boden des Rechtsstaates zu stellen. Ob die
Gesetze dann den höheren Schulen und den Universitäten, welche ähnliche
Forderungen ja schon lange erheben, den Charakter von selbständigen Korpo¬
rationen, also eigenen Selbstverwaltungskörpern, verleihen oder die höheren
Schulen völlig in die Verwaltung des Staates nehmen — beides entspricht dem
Sinne der preußischen Verfassung, und nur eine Regelung in diesem Sinne kann
einen Fortschritt bilden, nicht aber eine Rückbildung des höheren Unterrichts¬
wesens zu einer Angelegenheit selbständiger und selbstherrlicher Patronate.




Im Flecken
Erzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-v, Reyher von
Elftes Kapitel: Okolitsch auf der Jagd.

Die zweite Hälfte des März war im Gange. Die Sonne wärmte, ja an
manchen Tagen um die Mittagzeit brannte sie, wie man zu sagen pflegt. Unter
ihren Strahlen schmolz der Schnee von den Dächern und Hügeln. Im Flecken
und auf der Chaussee gab es nicht allein frühjährlichen Schmutz im Überfluß,
sondern sogar schon sommerlich betrocknete Stellen und Streifen. Draußen in der
Umgegend aber lagen die Wälder und Schluchten meist noch ganz unter der
weißen Winterhülle. Die Bäche und Flüsse dachten nicht daran, die Eisdecke
abzuwerfen, denn in der Nacht fror es regelmäßig, und an jedem Morgen mußte
die Sonne erst auskauen, was von der Kälte neu erstarrt war, ehe sie ihre Schmelz¬
arbeit vom vorigen Tage aufnehmen konnte.

Daher kam es, daß Mariä Verkündigung vor der Tür war und Okolitsch
trotzdem keinen Gebrauch von den Patronen machen konnte, welche er seit Wochen
zum Empfang der ersehnten Schnepfen instant gesetzt hatte. Er war wieder
einmal am Abend durch den Vorstecker ins freie Feld hinausgegangen, um sich
von neuem zu überzeugen, daß an das Vorhandensein der Langschnäbel auch noch
nicht zu denken sei. Da kam eben ein Kronsforstwächter auf seinem Pferdchen


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[0092] Im Llccken Schulen mögen also vorsichtig sein und nicht den Vorwurf der Rückständigkeit erheben gegen den Oberlehrerstand, der geschlossen gegen eine Erweiterung der Rechte der Patronate eingetreten ist. Beschränkung der Staatsaufsicht und Erweiterung der Rechte und Pflichten der kommunalen Selbstverwaltungskörper — das ist der Rückschritt, und zwar ein Rückschritt bis ins achtzehnte Jahrhundert. Der Fortschritt liegt hier auf dem Wege, den schon die Verfassungsurkunde vom Jahre 1850 gewiesen hat. Durch den Erlaß eines Unterrichtsgesetzes sind die höheren Schulen den Zuständen des Polizeistaates mit seinen Ministerialerlassen, die den verfügenden Faktor selbst nicht binden, zu entrücken und durch feste gesetzliche Bestimmungen auf den Boden des Rechtsstaates zu stellen. Ob die Gesetze dann den höheren Schulen und den Universitäten, welche ähnliche Forderungen ja schon lange erheben, den Charakter von selbständigen Korpo¬ rationen, also eigenen Selbstverwaltungskörpern, verleihen oder die höheren Schulen völlig in die Verwaltung des Staates nehmen — beides entspricht dem Sinne der preußischen Verfassung, und nur eine Regelung in diesem Sinne kann einen Fortschritt bilden, nicht aber eine Rückbildung des höheren Unterrichts¬ wesens zu einer Angelegenheit selbständiger und selbstherrlicher Patronate. Im Flecken Erzählung aus der russischen Provinz Alexander Andreas-v, Reyher von Elftes Kapitel: Okolitsch auf der Jagd. Die zweite Hälfte des März war im Gange. Die Sonne wärmte, ja an manchen Tagen um die Mittagzeit brannte sie, wie man zu sagen pflegt. Unter ihren Strahlen schmolz der Schnee von den Dächern und Hügeln. Im Flecken und auf der Chaussee gab es nicht allein frühjährlichen Schmutz im Überfluß, sondern sogar schon sommerlich betrocknete Stellen und Streifen. Draußen in der Umgegend aber lagen die Wälder und Schluchten meist noch ganz unter der weißen Winterhülle. Die Bäche und Flüsse dachten nicht daran, die Eisdecke abzuwerfen, denn in der Nacht fror es regelmäßig, und an jedem Morgen mußte die Sonne erst auskauen, was von der Kälte neu erstarrt war, ehe sie ihre Schmelz¬ arbeit vom vorigen Tage aufnehmen konnte. Daher kam es, daß Mariä Verkündigung vor der Tür war und Okolitsch trotzdem keinen Gebrauch von den Patronen machen konnte, welche er seit Wochen zum Empfang der ersehnten Schnepfen instant gesetzt hatte. Er war wieder einmal am Abend durch den Vorstecker ins freie Feld hinausgegangen, um sich von neuem zu überzeugen, daß an das Vorhandensein der Langschnäbel auch noch nicht zu denken sei. Da kam eben ein Kronsforstwächter auf seinem Pferdchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/92>, abgerufen am 03.05.2024.