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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Ankaufsgeschäftc der Ansiedlungskommission

Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission
I. Die ersten zwei Jahrzehnte

is durch Königliche Verordnung vom 21. Juni 1886 zur Durch¬
führung des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April jenes Jahres die
Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen geschaffen
worden war, machte sie es sich gemäß dem Sinne des Gesetzes
zur Aufgabe, das zur Errichtung neuer bäuerlicher Stellen und
Landgemeinden in den Ostmarken erforderliche Land vorerst durch Landankauf
und außerdem durch Verwendung geeigneter Grundstücke des staatlichen Domänen-
und Forstbesitzes zu gewinnen. Schon in der Begründung des Ansiedlungs¬
gesetzes war aber gesagt, daß eine Parzellierung von Staatsdomänen und die
Verwendung sonstiger Domänen und forstfiskalischer Grundstücke für die Zwecke
des Gesetzes nur in beschränktem Umfange in Frage kommen könnten. Neben
anderen Erwägungen war hervorgehoben, daß die Domänen vielfach Muster¬
wirtschaften seien, deren Auflösung schädlich wirken könne, und daß viele von
ihnen sich wegen ihrer Boden- und sonstigen Verhältnisse überhaupt nicht zur
Parzellierung eigneten.

Tatsächlich hat die Ansiedlungskommission während der ersten beiden Jahr¬
zehnte ihrer Tätigkeit denn auch nur in wenigen Fällen von der Möglichkeit
Gebrauch gemacht, Domänen und forstfiskalische Grundstücke zur Besiedlung zu
verwenden. Sie hat im ganzen bis Ende 1906 nur neun Staatsdomänen zur
Aufteilung übernommen und ein Grundstück der Staatsforstverwaltung. Der
neuesten Zeit erst war es vorbehalten, von diesem Grundsatze abzuweichen und
angesichts der herrschenden Landnot stärker auf die Domänen zurückzugreifen --
wovon später noch zu sprechen sein wird.

Im wesentlichen hat die Ansiedlungskommission von Anfang an der ihr
gestellten Aufgabe gemäß darauf Bedacht genommen, fast das gesamte Siedlungs¬
land durch Erwerbung fremder Grundstücke zu beschaffen, und zwar freihändig
auf dein Grundstücksmarkt. Trotzdem ursprünglich an dieser Politik des frei¬
händigen Erwerbs festgehalten wurde, sähen die zuständigen Minister sich doch
schon in der Denkschrift "Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit", die sie nach
Ablauf' der ersten beiden Jahrzehnte seit Inkrafttreten des Ansiedlungsgesetzes
dem Landtag unterbreiteten, veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Staats¬
regierung "einen Eingriff in die Eigentumsverhältnisse", der nach Lage der Gesetz¬
gebung möglich gewesen wäre und in den Verhandlungen des Abgeordneten¬
hauses vor und bei Einbringung des Gesetzes von 1886 zur Erwägung gestellt
worden war, "damals für zunächst nicht erforderlich erklärt" hatte.

Sowohl Fürst Bismarck wie der damalige Landwirtschaftsminister v. Lucius
hatten in ihren Reden bei der Beratung des Ansiedlungsgesetzes im Abgeordneten¬
hause die Möglichkeit der Enteignung bereits ins Auge gefaßt. Ein Vorgehen
in diesem Sinne wurde nur "damals sür zunächst nicht erforderlich erklärt".


Die Ankaufsgeschäftc der Ansiedlungskommission

Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission
I. Die ersten zwei Jahrzehnte

is durch Königliche Verordnung vom 21. Juni 1886 zur Durch¬
führung des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April jenes Jahres die
Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen geschaffen
worden war, machte sie es sich gemäß dem Sinne des Gesetzes
zur Aufgabe, das zur Errichtung neuer bäuerlicher Stellen und
Landgemeinden in den Ostmarken erforderliche Land vorerst durch Landankauf
und außerdem durch Verwendung geeigneter Grundstücke des staatlichen Domänen-
und Forstbesitzes zu gewinnen. Schon in der Begründung des Ansiedlungs¬
gesetzes war aber gesagt, daß eine Parzellierung von Staatsdomänen und die
Verwendung sonstiger Domänen und forstfiskalischer Grundstücke für die Zwecke
des Gesetzes nur in beschränktem Umfange in Frage kommen könnten. Neben
anderen Erwägungen war hervorgehoben, daß die Domänen vielfach Muster¬
wirtschaften seien, deren Auflösung schädlich wirken könne, und daß viele von
ihnen sich wegen ihrer Boden- und sonstigen Verhältnisse überhaupt nicht zur
Parzellierung eigneten.

Tatsächlich hat die Ansiedlungskommission während der ersten beiden Jahr¬
zehnte ihrer Tätigkeit denn auch nur in wenigen Fällen von der Möglichkeit
Gebrauch gemacht, Domänen und forstfiskalische Grundstücke zur Besiedlung zu
verwenden. Sie hat im ganzen bis Ende 1906 nur neun Staatsdomänen zur
Aufteilung übernommen und ein Grundstück der Staatsforstverwaltung. Der
neuesten Zeit erst war es vorbehalten, von diesem Grundsatze abzuweichen und
angesichts der herrschenden Landnot stärker auf die Domänen zurückzugreifen —
wovon später noch zu sprechen sein wird.

Im wesentlichen hat die Ansiedlungskommission von Anfang an der ihr
gestellten Aufgabe gemäß darauf Bedacht genommen, fast das gesamte Siedlungs¬
land durch Erwerbung fremder Grundstücke zu beschaffen, und zwar freihändig
auf dein Grundstücksmarkt. Trotzdem ursprünglich an dieser Politik des frei¬
händigen Erwerbs festgehalten wurde, sähen die zuständigen Minister sich doch
schon in der Denkschrift „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit", die sie nach
Ablauf' der ersten beiden Jahrzehnte seit Inkrafttreten des Ansiedlungsgesetzes
dem Landtag unterbreiteten, veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Staats¬
regierung „einen Eingriff in die Eigentumsverhältnisse", der nach Lage der Gesetz¬
gebung möglich gewesen wäre und in den Verhandlungen des Abgeordneten¬
hauses vor und bei Einbringung des Gesetzes von 1886 zur Erwägung gestellt
worden war, „damals für zunächst nicht erforderlich erklärt" hatte.

Sowohl Fürst Bismarck wie der damalige Landwirtschaftsminister v. Lucius
hatten in ihren Reden bei der Beratung des Ansiedlungsgesetzes im Abgeordneten¬
hause die Möglichkeit der Enteignung bereits ins Auge gefaßt. Ein Vorgehen
in diesem Sinne wurde nur „damals sür zunächst nicht erforderlich erklärt".


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[0172] Die Ankaufsgeschäftc der Ansiedlungskommission Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission I. Die ersten zwei Jahrzehnte is durch Königliche Verordnung vom 21. Juni 1886 zur Durch¬ führung des Ansiedlungsgesetzes vom 26. April jenes Jahres die Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen geschaffen worden war, machte sie es sich gemäß dem Sinne des Gesetzes zur Aufgabe, das zur Errichtung neuer bäuerlicher Stellen und Landgemeinden in den Ostmarken erforderliche Land vorerst durch Landankauf und außerdem durch Verwendung geeigneter Grundstücke des staatlichen Domänen- und Forstbesitzes zu gewinnen. Schon in der Begründung des Ansiedlungs¬ gesetzes war aber gesagt, daß eine Parzellierung von Staatsdomänen und die Verwendung sonstiger Domänen und forstfiskalischer Grundstücke für die Zwecke des Gesetzes nur in beschränktem Umfange in Frage kommen könnten. Neben anderen Erwägungen war hervorgehoben, daß die Domänen vielfach Muster¬ wirtschaften seien, deren Auflösung schädlich wirken könne, und daß viele von ihnen sich wegen ihrer Boden- und sonstigen Verhältnisse überhaupt nicht zur Parzellierung eigneten. Tatsächlich hat die Ansiedlungskommission während der ersten beiden Jahr¬ zehnte ihrer Tätigkeit denn auch nur in wenigen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Domänen und forstfiskalische Grundstücke zur Besiedlung zu verwenden. Sie hat im ganzen bis Ende 1906 nur neun Staatsdomänen zur Aufteilung übernommen und ein Grundstück der Staatsforstverwaltung. Der neuesten Zeit erst war es vorbehalten, von diesem Grundsatze abzuweichen und angesichts der herrschenden Landnot stärker auf die Domänen zurückzugreifen — wovon später noch zu sprechen sein wird. Im wesentlichen hat die Ansiedlungskommission von Anfang an der ihr gestellten Aufgabe gemäß darauf Bedacht genommen, fast das gesamte Siedlungs¬ land durch Erwerbung fremder Grundstücke zu beschaffen, und zwar freihändig auf dein Grundstücksmarkt. Trotzdem ursprünglich an dieser Politik des frei¬ händigen Erwerbs festgehalten wurde, sähen die zuständigen Minister sich doch schon in der Denkschrift „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit", die sie nach Ablauf' der ersten beiden Jahrzehnte seit Inkrafttreten des Ansiedlungsgesetzes dem Landtag unterbreiteten, veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß die Staats¬ regierung „einen Eingriff in die Eigentumsverhältnisse", der nach Lage der Gesetz¬ gebung möglich gewesen wäre und in den Verhandlungen des Abgeordneten¬ hauses vor und bei Einbringung des Gesetzes von 1886 zur Erwägung gestellt worden war, „damals für zunächst nicht erforderlich erklärt" hatte. Sowohl Fürst Bismarck wie der damalige Landwirtschaftsminister v. Lucius hatten in ihren Reden bei der Beratung des Ansiedlungsgesetzes im Abgeordneten¬ hause die Möglichkeit der Enteignung bereits ins Auge gefaßt. Ein Vorgehen in diesem Sinne wurde nur „damals sür zunächst nicht erforderlich erklärt".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/172>, abgerufen am 26.05.2024.