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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Ankanfsgeschäfte der Ansiedlungskommission

Bei Abfassung der erwähnten Denkschrift hingegen war sich die Regierung bereits
vollkommen bewußt, daß, was "damals zunächst" nicht erforderlich gewesen,
nun doch zu einem dringenden Erfordernis geworden. Auch davon später.

Die Anstedlungskommission sah sich auf dem freien Gütermarkte einem zwar
schwankenden, im großen und ganzen aber doch recht beträchtlichen Güterangebot
gegenüber, das bis auf 230000 Hektar jährlich stieg. Von dem gesamten An¬
gebot, das der Ansiedlungskommission bis 1906 zur Auswahl vorgelegen,
entfielen 70 Prozent auf den deutschen Grundbesitz und 30 Prozent auf den
polnischen.

Ein Abflauen des Güterangebots wurde vorübergehend herbeigeführt durch
die Einwirkung der Rentengutsgesetzgebung von 1890/91; um so stärker aber
stieg das Angebot später wieder, als in den Jahren 1898 und 1902 beträchtlich
gesteigerte Mittel für die Ansiedlungszwecke flüssig gemacht wurden. Von 1904
ab dagegen begann dann wieder ein neues Nachlassen des Güterangebots, und
zwar in merkbarer Weise namentlich des Angebotes aus polnischer Hand --
ein Nachlassen, das auf nationalpolitische Beweggründe und die wesentlich
gesteigerte Tätigkeit der polnischen Landbanken zurückzuführen war.

Die mehrfach erwähnte Denkschrift über die Tätigkeit der Ansiedlungs¬
kommission bis 1906 sprach unter dem Eindrucke dieser zunehmenden Zurück¬
haltung des polnischen Landangebots bereits aus, es sei "das Bedenken nicht
von der Hand zu weisen, daß in absehbarer Zeit Siedlungsland, das sich zur
Erfüllung der wesentlichsten Aufgabe: der Bildung großer und geschlossener
Ansiedlungsbezirke, eignet, aus dem Güterangebot nicht mehr zu entnehmen
sein" werde. Es wurde weiter hingewiesen auf die wachsende Schwierigkeit,
Güter aus polnischer Hand zu erwerben, so daß künftig, wenn nicht besondere
Maßnahmen getroffen würden, im wesentlichen nur noch der Ankauf deutschen
Großgrundbesitzes in Aussicht stehen würde.

Bis Ende 1906 hatte die Ansiedlungskommission in ganzen 590 Güter
mit rund 306 000 Hektar und 398 bäuerliche Wirtschaften mit rund 20000 Hektar
erworben. Von der Gesamtfläche der Güter stammten 29,5 Prozent aus
polnischer Hand, von der Gesamtfläche der Bauernwirtschaften 2,1 Prozent aus
polnischer Hand. In: ganzen war an dem Landerwerb der Ansiedlungs¬
kommission bis Ende 1906 der polnische Besitz mit 31,6 Prozent, der deutsche
Privatbesitz mit 66,2 Prozent und der Staatsbesitz mit 2,2 Prozent beteiligt.

Gemäß den schon in der Denkschrift der Ansiedlungskommission für 1886
aufgestellten Grundgedanken und den dann weiter in der praktischen Arbeit
gemachten Erfahrungen ging die Ansiedlungskommission in ihrer Ankaufspolitik
von folgenden Hauptgesichtspunkten aus:

1. die Ankäufe hauptsächlich in den national gemischten Kreisen zu machen,
um dort der deutschen Bevölkerung das Übergewicht zu verschaffen,

2. Erwerbungen in den überwiegend deutschen Kreisen zwar nicht voll¬
ständig auszuschließen, aber doch nur ausnahmsweise und nur da aus-


Grenzboten II 1811 21
Die Ankanfsgeschäfte der Ansiedlungskommission

Bei Abfassung der erwähnten Denkschrift hingegen war sich die Regierung bereits
vollkommen bewußt, daß, was „damals zunächst" nicht erforderlich gewesen,
nun doch zu einem dringenden Erfordernis geworden. Auch davon später.

Die Anstedlungskommission sah sich auf dem freien Gütermarkte einem zwar
schwankenden, im großen und ganzen aber doch recht beträchtlichen Güterangebot
gegenüber, das bis auf 230000 Hektar jährlich stieg. Von dem gesamten An¬
gebot, das der Ansiedlungskommission bis 1906 zur Auswahl vorgelegen,
entfielen 70 Prozent auf den deutschen Grundbesitz und 30 Prozent auf den
polnischen.

Ein Abflauen des Güterangebots wurde vorübergehend herbeigeführt durch
die Einwirkung der Rentengutsgesetzgebung von 1890/91; um so stärker aber
stieg das Angebot später wieder, als in den Jahren 1898 und 1902 beträchtlich
gesteigerte Mittel für die Ansiedlungszwecke flüssig gemacht wurden. Von 1904
ab dagegen begann dann wieder ein neues Nachlassen des Güterangebots, und
zwar in merkbarer Weise namentlich des Angebotes aus polnischer Hand —
ein Nachlassen, das auf nationalpolitische Beweggründe und die wesentlich
gesteigerte Tätigkeit der polnischen Landbanken zurückzuführen war.

Die mehrfach erwähnte Denkschrift über die Tätigkeit der Ansiedlungs¬
kommission bis 1906 sprach unter dem Eindrucke dieser zunehmenden Zurück¬
haltung des polnischen Landangebots bereits aus, es sei „das Bedenken nicht
von der Hand zu weisen, daß in absehbarer Zeit Siedlungsland, das sich zur
Erfüllung der wesentlichsten Aufgabe: der Bildung großer und geschlossener
Ansiedlungsbezirke, eignet, aus dem Güterangebot nicht mehr zu entnehmen
sein" werde. Es wurde weiter hingewiesen auf die wachsende Schwierigkeit,
Güter aus polnischer Hand zu erwerben, so daß künftig, wenn nicht besondere
Maßnahmen getroffen würden, im wesentlichen nur noch der Ankauf deutschen
Großgrundbesitzes in Aussicht stehen würde.

Bis Ende 1906 hatte die Ansiedlungskommission in ganzen 590 Güter
mit rund 306 000 Hektar und 398 bäuerliche Wirtschaften mit rund 20000 Hektar
erworben. Von der Gesamtfläche der Güter stammten 29,5 Prozent aus
polnischer Hand, von der Gesamtfläche der Bauernwirtschaften 2,1 Prozent aus
polnischer Hand. In: ganzen war an dem Landerwerb der Ansiedlungs¬
kommission bis Ende 1906 der polnische Besitz mit 31,6 Prozent, der deutsche
Privatbesitz mit 66,2 Prozent und der Staatsbesitz mit 2,2 Prozent beteiligt.

Gemäß den schon in der Denkschrift der Ansiedlungskommission für 1886
aufgestellten Grundgedanken und den dann weiter in der praktischen Arbeit
gemachten Erfahrungen ging die Ansiedlungskommission in ihrer Ankaufspolitik
von folgenden Hauptgesichtspunkten aus:

1. die Ankäufe hauptsächlich in den national gemischten Kreisen zu machen,
um dort der deutschen Bevölkerung das Übergewicht zu verschaffen,

2. Erwerbungen in den überwiegend deutschen Kreisen zwar nicht voll¬
ständig auszuschließen, aber doch nur ausnahmsweise und nur da aus-


Grenzboten II 1811 21
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[0173] Die Ankanfsgeschäfte der Ansiedlungskommission Bei Abfassung der erwähnten Denkschrift hingegen war sich die Regierung bereits vollkommen bewußt, daß, was „damals zunächst" nicht erforderlich gewesen, nun doch zu einem dringenden Erfordernis geworden. Auch davon später. Die Anstedlungskommission sah sich auf dem freien Gütermarkte einem zwar schwankenden, im großen und ganzen aber doch recht beträchtlichen Güterangebot gegenüber, das bis auf 230000 Hektar jährlich stieg. Von dem gesamten An¬ gebot, das der Ansiedlungskommission bis 1906 zur Auswahl vorgelegen, entfielen 70 Prozent auf den deutschen Grundbesitz und 30 Prozent auf den polnischen. Ein Abflauen des Güterangebots wurde vorübergehend herbeigeführt durch die Einwirkung der Rentengutsgesetzgebung von 1890/91; um so stärker aber stieg das Angebot später wieder, als in den Jahren 1898 und 1902 beträchtlich gesteigerte Mittel für die Ansiedlungszwecke flüssig gemacht wurden. Von 1904 ab dagegen begann dann wieder ein neues Nachlassen des Güterangebots, und zwar in merkbarer Weise namentlich des Angebotes aus polnischer Hand — ein Nachlassen, das auf nationalpolitische Beweggründe und die wesentlich gesteigerte Tätigkeit der polnischen Landbanken zurückzuführen war. Die mehrfach erwähnte Denkschrift über die Tätigkeit der Ansiedlungs¬ kommission bis 1906 sprach unter dem Eindrucke dieser zunehmenden Zurück¬ haltung des polnischen Landangebots bereits aus, es sei „das Bedenken nicht von der Hand zu weisen, daß in absehbarer Zeit Siedlungsland, das sich zur Erfüllung der wesentlichsten Aufgabe: der Bildung großer und geschlossener Ansiedlungsbezirke, eignet, aus dem Güterangebot nicht mehr zu entnehmen sein" werde. Es wurde weiter hingewiesen auf die wachsende Schwierigkeit, Güter aus polnischer Hand zu erwerben, so daß künftig, wenn nicht besondere Maßnahmen getroffen würden, im wesentlichen nur noch der Ankauf deutschen Großgrundbesitzes in Aussicht stehen würde. Bis Ende 1906 hatte die Ansiedlungskommission in ganzen 590 Güter mit rund 306 000 Hektar und 398 bäuerliche Wirtschaften mit rund 20000 Hektar erworben. Von der Gesamtfläche der Güter stammten 29,5 Prozent aus polnischer Hand, von der Gesamtfläche der Bauernwirtschaften 2,1 Prozent aus polnischer Hand. In: ganzen war an dem Landerwerb der Ansiedlungs¬ kommission bis Ende 1906 der polnische Besitz mit 31,6 Prozent, der deutsche Privatbesitz mit 66,2 Prozent und der Staatsbesitz mit 2,2 Prozent beteiligt. Gemäß den schon in der Denkschrift der Ansiedlungskommission für 1886 aufgestellten Grundgedanken und den dann weiter in der praktischen Arbeit gemachten Erfahrungen ging die Ansiedlungskommission in ihrer Ankaufspolitik von folgenden Hauptgesichtspunkten aus: 1. die Ankäufe hauptsächlich in den national gemischten Kreisen zu machen, um dort der deutschen Bevölkerung das Übergewicht zu verschaffen, 2. Erwerbungen in den überwiegend deutschen Kreisen zwar nicht voll¬ ständig auszuschließen, aber doch nur ausnahmsweise und nur da aus- Grenzboten II 1811 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/173>, abgerufen am 09.06.2024.