Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission

zuführen, wo die Gefahr eines Überganges deutschen Besitzes in polnische Hand
vorlag, oder wo die Bcdrängung bestehender deutscher Schul- und Kirchen¬
systeme zu befürchten war,

3. die Gelegenheit zu benutzen, in ganz überwiegend polnischen Kreisen
größere Herrschaften oder mehrere einzelne Güter in zusammenhängender Lage
oder solche Besitzungen zu erwerben, die an bestehende deutsche Gemeinden in
der Vereinzelung angrenzen,

4. nur solche Besitzungen anzukaufen, die durch ihre bessere Bodenbeschaffen¬
heit einen erfolgreichen Betrieb der Landwirtschaft zuließen.

Im Vordergrunde aber stand immer -- mit mehr oder weniger starkem
Nachdruck betont -- der durch die Erfahrungen bestätigte Grundsatz: große
Güter, große, leistungsfähige Ansiedlergemeinden, große Ansiedlungskomplexe.

Selbstverständlich trachtete sie soviel wie möglich, ihr Augenmerk auf den
Erwerb polnischen Grundbesitzes zu richten; doch mußte sie ebensosehr darauf
bedacht sein, zu verhindern, daß deutscher Besitz an die polnische Hand verloren
gehe. Endlich aber war es auch ihre Aufgabe schlechthin, Land zu kaufen, um
jederzeit einen ausreichenden Vo.rrat an Siedlungsstellen für die Ansiedler zu
haben. In dieser Beziehung klagte die Denkschrift vom 3. Juni 1907: Die
Ansiedlungskommission "bekommt doch weder aus polnischer Hand etwas Nennens¬
wertes zu kaufen, noch soll sie deutschen Besitz auslaufen. Es leuchtet ein, daß
es nicht leicht ist, diesen Aufgaben zu gleicher Zeit gerecht zu werden."

Das Fazit der ersten beiden Jahrzehnte unter nationalpolitischen Gesichts¬
punkten bleibt, daß die Ansiedlungskommission bis 1906 doch wenigstens 31,6 Prozent
ihres Gesamterwerbs aus polnischer Hand beziehen konnte, nur in verschwindend
geringem Umfange auf den Staatsbesitz zurückzugreifen brauchte und dauernd
ein ausreichendes Maß siedlungsfähigen Landes in Händen hielt -- anderseits
aber zugleich die bedrohliche Aussicht, daß ohne die Gewährung neuer Hand¬
haben die Fortsetzung der alten Ankaufspolitik, insbesondere mit Bezug auf den
Erwerb polnischen Bodens, nicht mehr möglich sein würde.


II. Die Periode nach ^906

Die Lehren, die seitens der Ansiedlungskommission aus dem Ende der
ersten zwanzigjährigen Periode ihrer Tätigkeit gezogen wurden, blieben nicht
ohne Eindruck auf die leitenden, für die Fortführung des großen Siedlungs¬
werkes in der Ostmark verantwortlichen Stellen in Berlin. Noch war die große
Denkschrift "Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit" dem Abgeordnetenhause
nicht unterbreitet worden -- da verkündete bereits die Thronrede vom 8. Ja¬
nuar 1907: "Die gegenwärtige Lage in den östlichen Provinzen zeigt deutlicher
denn je, daß Preußens geschichtliche Aufgabe der Stärkung des Deutschtums in
diesen Landesteilen zu ihrer Lösung die ernstesten Anstrengungen erfordert.
Die Königliche Staatsregierung hält die kraftvolle und beharrliche Durchführung


Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission

zuführen, wo die Gefahr eines Überganges deutschen Besitzes in polnische Hand
vorlag, oder wo die Bcdrängung bestehender deutscher Schul- und Kirchen¬
systeme zu befürchten war,

3. die Gelegenheit zu benutzen, in ganz überwiegend polnischen Kreisen
größere Herrschaften oder mehrere einzelne Güter in zusammenhängender Lage
oder solche Besitzungen zu erwerben, die an bestehende deutsche Gemeinden in
der Vereinzelung angrenzen,

4. nur solche Besitzungen anzukaufen, die durch ihre bessere Bodenbeschaffen¬
heit einen erfolgreichen Betrieb der Landwirtschaft zuließen.

Im Vordergrunde aber stand immer — mit mehr oder weniger starkem
Nachdruck betont — der durch die Erfahrungen bestätigte Grundsatz: große
Güter, große, leistungsfähige Ansiedlergemeinden, große Ansiedlungskomplexe.

Selbstverständlich trachtete sie soviel wie möglich, ihr Augenmerk auf den
Erwerb polnischen Grundbesitzes zu richten; doch mußte sie ebensosehr darauf
bedacht sein, zu verhindern, daß deutscher Besitz an die polnische Hand verloren
gehe. Endlich aber war es auch ihre Aufgabe schlechthin, Land zu kaufen, um
jederzeit einen ausreichenden Vo.rrat an Siedlungsstellen für die Ansiedler zu
haben. In dieser Beziehung klagte die Denkschrift vom 3. Juni 1907: Die
Ansiedlungskommission „bekommt doch weder aus polnischer Hand etwas Nennens¬
wertes zu kaufen, noch soll sie deutschen Besitz auslaufen. Es leuchtet ein, daß
es nicht leicht ist, diesen Aufgaben zu gleicher Zeit gerecht zu werden."

Das Fazit der ersten beiden Jahrzehnte unter nationalpolitischen Gesichts¬
punkten bleibt, daß die Ansiedlungskommission bis 1906 doch wenigstens 31,6 Prozent
ihres Gesamterwerbs aus polnischer Hand beziehen konnte, nur in verschwindend
geringem Umfange auf den Staatsbesitz zurückzugreifen brauchte und dauernd
ein ausreichendes Maß siedlungsfähigen Landes in Händen hielt — anderseits
aber zugleich die bedrohliche Aussicht, daß ohne die Gewährung neuer Hand¬
haben die Fortsetzung der alten Ankaufspolitik, insbesondere mit Bezug auf den
Erwerb polnischen Bodens, nicht mehr möglich sein würde.


II. Die Periode nach ^906

Die Lehren, die seitens der Ansiedlungskommission aus dem Ende der
ersten zwanzigjährigen Periode ihrer Tätigkeit gezogen wurden, blieben nicht
ohne Eindruck auf die leitenden, für die Fortführung des großen Siedlungs¬
werkes in der Ostmark verantwortlichen Stellen in Berlin. Noch war die große
Denkschrift „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit" dem Abgeordnetenhause
nicht unterbreitet worden — da verkündete bereits die Thronrede vom 8. Ja¬
nuar 1907: „Die gegenwärtige Lage in den östlichen Provinzen zeigt deutlicher
denn je, daß Preußens geschichtliche Aufgabe der Stärkung des Deutschtums in
diesen Landesteilen zu ihrer Lösung die ernstesten Anstrengungen erfordert.
Die Königliche Staatsregierung hält die kraftvolle und beharrliche Durchführung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318457"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_747" prev="#ID_746"> zuführen, wo die Gefahr eines Überganges deutschen Besitzes in polnische Hand<lb/>
vorlag, oder wo die Bcdrängung bestehender deutscher Schul- und Kirchen¬<lb/>
systeme zu befürchten war,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_748"> 3. die Gelegenheit zu benutzen, in ganz überwiegend polnischen Kreisen<lb/>
größere Herrschaften oder mehrere einzelne Güter in zusammenhängender Lage<lb/>
oder solche Besitzungen zu erwerben, die an bestehende deutsche Gemeinden in<lb/>
der Vereinzelung angrenzen,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_749"> 4. nur solche Besitzungen anzukaufen, die durch ihre bessere Bodenbeschaffen¬<lb/>
heit einen erfolgreichen Betrieb der Landwirtschaft zuließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_750"> Im Vordergrunde aber stand immer &#x2014; mit mehr oder weniger starkem<lb/>
Nachdruck betont &#x2014; der durch die Erfahrungen bestätigte Grundsatz: große<lb/>
Güter, große, leistungsfähige Ansiedlergemeinden, große Ansiedlungskomplexe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_751"> Selbstverständlich trachtete sie soviel wie möglich, ihr Augenmerk auf den<lb/>
Erwerb polnischen Grundbesitzes zu richten; doch mußte sie ebensosehr darauf<lb/>
bedacht sein, zu verhindern, daß deutscher Besitz an die polnische Hand verloren<lb/>
gehe. Endlich aber war es auch ihre Aufgabe schlechthin, Land zu kaufen, um<lb/>
jederzeit einen ausreichenden Vo.rrat an Siedlungsstellen für die Ansiedler zu<lb/>
haben. In dieser Beziehung klagte die Denkschrift vom 3. Juni 1907: Die<lb/>
Ansiedlungskommission &#x201E;bekommt doch weder aus polnischer Hand etwas Nennens¬<lb/>
wertes zu kaufen, noch soll sie deutschen Besitz auslaufen. Es leuchtet ein, daß<lb/>
es nicht leicht ist, diesen Aufgaben zu gleicher Zeit gerecht zu werden."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_752"> Das Fazit der ersten beiden Jahrzehnte unter nationalpolitischen Gesichts¬<lb/>
punkten bleibt, daß die Ansiedlungskommission bis 1906 doch wenigstens 31,6 Prozent<lb/>
ihres Gesamterwerbs aus polnischer Hand beziehen konnte, nur in verschwindend<lb/>
geringem Umfange auf den Staatsbesitz zurückzugreifen brauchte und dauernd<lb/>
ein ausreichendes Maß siedlungsfähigen Landes in Händen hielt &#x2014; anderseits<lb/>
aber zugleich die bedrohliche Aussicht, daß ohne die Gewährung neuer Hand¬<lb/>
haben die Fortsetzung der alten Ankaufspolitik, insbesondere mit Bezug auf den<lb/>
Erwerb polnischen Bodens, nicht mehr möglich sein würde.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II. Die Periode nach ^906</head><lb/>
            <p xml:id="ID_753" next="#ID_754"> Die Lehren, die seitens der Ansiedlungskommission aus dem Ende der<lb/>
ersten zwanzigjährigen Periode ihrer Tätigkeit gezogen wurden, blieben nicht<lb/>
ohne Eindruck auf die leitenden, für die Fortführung des großen Siedlungs¬<lb/>
werkes in der Ostmark verantwortlichen Stellen in Berlin. Noch war die große<lb/>
Denkschrift &#x201E;Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit" dem Abgeordnetenhause<lb/>
nicht unterbreitet worden &#x2014; da verkündete bereits die Thronrede vom 8. Ja¬<lb/>
nuar 1907: &#x201E;Die gegenwärtige Lage in den östlichen Provinzen zeigt deutlicher<lb/>
denn je, daß Preußens geschichtliche Aufgabe der Stärkung des Deutschtums in<lb/>
diesen Landesteilen zu ihrer Lösung die ernstesten Anstrengungen erfordert.<lb/>
Die Königliche Staatsregierung hält die kraftvolle und beharrliche Durchführung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] Die Ankaufsgeschäfte der Ansiedlungskommission zuführen, wo die Gefahr eines Überganges deutschen Besitzes in polnische Hand vorlag, oder wo die Bcdrängung bestehender deutscher Schul- und Kirchen¬ systeme zu befürchten war, 3. die Gelegenheit zu benutzen, in ganz überwiegend polnischen Kreisen größere Herrschaften oder mehrere einzelne Güter in zusammenhängender Lage oder solche Besitzungen zu erwerben, die an bestehende deutsche Gemeinden in der Vereinzelung angrenzen, 4. nur solche Besitzungen anzukaufen, die durch ihre bessere Bodenbeschaffen¬ heit einen erfolgreichen Betrieb der Landwirtschaft zuließen. Im Vordergrunde aber stand immer — mit mehr oder weniger starkem Nachdruck betont — der durch die Erfahrungen bestätigte Grundsatz: große Güter, große, leistungsfähige Ansiedlergemeinden, große Ansiedlungskomplexe. Selbstverständlich trachtete sie soviel wie möglich, ihr Augenmerk auf den Erwerb polnischen Grundbesitzes zu richten; doch mußte sie ebensosehr darauf bedacht sein, zu verhindern, daß deutscher Besitz an die polnische Hand verloren gehe. Endlich aber war es auch ihre Aufgabe schlechthin, Land zu kaufen, um jederzeit einen ausreichenden Vo.rrat an Siedlungsstellen für die Ansiedler zu haben. In dieser Beziehung klagte die Denkschrift vom 3. Juni 1907: Die Ansiedlungskommission „bekommt doch weder aus polnischer Hand etwas Nennens¬ wertes zu kaufen, noch soll sie deutschen Besitz auslaufen. Es leuchtet ein, daß es nicht leicht ist, diesen Aufgaben zu gleicher Zeit gerecht zu werden." Das Fazit der ersten beiden Jahrzehnte unter nationalpolitischen Gesichts¬ punkten bleibt, daß die Ansiedlungskommission bis 1906 doch wenigstens 31,6 Prozent ihres Gesamterwerbs aus polnischer Hand beziehen konnte, nur in verschwindend geringem Umfange auf den Staatsbesitz zurückzugreifen brauchte und dauernd ein ausreichendes Maß siedlungsfähigen Landes in Händen hielt — anderseits aber zugleich die bedrohliche Aussicht, daß ohne die Gewährung neuer Hand¬ haben die Fortsetzung der alten Ankaufspolitik, insbesondere mit Bezug auf den Erwerb polnischen Bodens, nicht mehr möglich sein würde. II. Die Periode nach ^906 Die Lehren, die seitens der Ansiedlungskommission aus dem Ende der ersten zwanzigjährigen Periode ihrer Tätigkeit gezogen wurden, blieben nicht ohne Eindruck auf die leitenden, für die Fortführung des großen Siedlungs¬ werkes in der Ostmark verantwortlichen Stellen in Berlin. Noch war die große Denkschrift „Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit" dem Abgeordnetenhause nicht unterbreitet worden — da verkündete bereits die Thronrede vom 8. Ja¬ nuar 1907: „Die gegenwärtige Lage in den östlichen Provinzen zeigt deutlicher denn je, daß Preußens geschichtliche Aufgabe der Stärkung des Deutschtums in diesen Landesteilen zu ihrer Lösung die ernstesten Anstrengungen erfordert. Die Königliche Staatsregierung hält die kraftvolle und beharrliche Durchführung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/174>, abgerufen am 19.05.2024.