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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Parlamentarismus, weil, wie die Hamburger Nachrichten durchaus zutreffend aus¬
führen, die sozialdemokratische Partei im Reich und in Preußen ein Agitations-
material in die Hand bekommen hat, wie es schöner für sie gar nicht gedacht
werden kann. Das wichtigste scheint mir in Gefühlsmomenten zu liegen, die das
preußische Volk gegen die Staatsregierung aufbringen müssen. Wenn die Elsaß-
Lothringer für das Reichstagswahlrecht reif sind, so fragt sich wohl mancher,
der nicht alle Konsequenzen überschaut, warum sollen wir, die eigentlichen Reichs¬
gründer, dazu nicht befähigt sein? Die demokratische Agitation wird hier ein¬
setzen und viele Bedenken um so leichter zerstören, als ja auch die Regierung von
ihnen abläßt. Unser wichtigstes Argument gegen die Einführung des Reichstags¬
wahlrechts in Preußen war immer der Hinweis auf die dadurch gesteigerte
Macht der Polen und des Zentrums, denen andere Separatisten, wie Welsen
und Dänen, folgen würden; daneben stand die Sorge um die Fortsetzung
des Ansiedlungswerks. Nachdem die Negierung aber ihren früheren Standpunkt
verlassen hat, sich das Zentrum zum Hebel für ihre Politik gewählt, das Sied¬
lungswerk im Stiche läßt und in den Polen keine Gefahr mehr sieht, muß ich
offen bekennen, daß sich die Gründe für die Einführung des Reichstags-
Wahlrechts in Preußen auf Kosten der Gegengründe mehren. Beim allgemeinen
und gleichen Wahlrecht haben wir im Falle der Not größere Aussicht, die national
gesinnten Kreise zur Geltung zu bringen und eine schwache Exekutive zur Erfüllung
ihrer nationalen Aufgaben zu zwingen, als bei dem bestehenden Klassenwahlrecht,
wo die Gesamtheit der Nation nicht mobil gemacht werden kann. Dann besteht
auch die Hoffnung, daß unser großes mit so viel Mitteln und Selbstverleugnung
begonnenes Kolonisationswerk -- vielleicht auf breiterer Basis -- wieder auf¬
genommen und bis zu Ende durchgeführt wird. -- Das ist der Weg, über den
G. <Li, der Parlamentarismus in Deutschland anmarschiert.


Bank und Geld

Das Urteil gegen den Tabaktrust -- Amerikanische Rechtsprechung und Politik --
New-Uorker Börse und Wirtschaftslage in Amerika -- Situation und Börse in Deutsch¬
land -- Berliner Terrain- und Baugesellschaft -- Der Fürstentrust und seine Engagements

Dem Urteil gegen die Standard Oil Co. hat der oberste Bundesgerichtshof
in Washington nun ein gleiches gegen den Tabaktrust folgen lassen und die
Auflösung auch dieser mächtigen Monopolgesellschaft verfügt. Ging aber schon
aus dem Urteil gegen die Standard Oil hervor, daß der amerikanische Areopag
Mittel und Wege suchte, formell dem Gesetz zu entsprechen, materiell aber den
Finanzmagnaten nicht wehe zu tun, so tritt dieses Bestreben in dem jüngsten Urteile
ganz offensichtlich und unverhüllt zutage. Darob natürlich große Freude in den Hallen
vom Wallstreet und in den Bureaus der Dollarfürsten! Der Gerichtshof hat sich
aus den Standpunkt gestellt, daß das Shermangesetz nur eine "unvernünftige"
(unressonabls) Beschränkung des Handelsvertrages verbiete. Eine solche hat es
zwar im Falle der Standard Oil angenommen, aber mit dieser Begründung allen
Trustgesellschaften das Hintertürchen geöffnet, durch welches sie wieder als legitime


Reichsspiegel

Parlamentarismus, weil, wie die Hamburger Nachrichten durchaus zutreffend aus¬
führen, die sozialdemokratische Partei im Reich und in Preußen ein Agitations-
material in die Hand bekommen hat, wie es schöner für sie gar nicht gedacht
werden kann. Das wichtigste scheint mir in Gefühlsmomenten zu liegen, die das
preußische Volk gegen die Staatsregierung aufbringen müssen. Wenn die Elsaß-
Lothringer für das Reichstagswahlrecht reif sind, so fragt sich wohl mancher,
der nicht alle Konsequenzen überschaut, warum sollen wir, die eigentlichen Reichs¬
gründer, dazu nicht befähigt sein? Die demokratische Agitation wird hier ein¬
setzen und viele Bedenken um so leichter zerstören, als ja auch die Regierung von
ihnen abläßt. Unser wichtigstes Argument gegen die Einführung des Reichstags¬
wahlrechts in Preußen war immer der Hinweis auf die dadurch gesteigerte
Macht der Polen und des Zentrums, denen andere Separatisten, wie Welsen
und Dänen, folgen würden; daneben stand die Sorge um die Fortsetzung
des Ansiedlungswerks. Nachdem die Negierung aber ihren früheren Standpunkt
verlassen hat, sich das Zentrum zum Hebel für ihre Politik gewählt, das Sied¬
lungswerk im Stiche läßt und in den Polen keine Gefahr mehr sieht, muß ich
offen bekennen, daß sich die Gründe für die Einführung des Reichstags-
Wahlrechts in Preußen auf Kosten der Gegengründe mehren. Beim allgemeinen
und gleichen Wahlrecht haben wir im Falle der Not größere Aussicht, die national
gesinnten Kreise zur Geltung zu bringen und eine schwache Exekutive zur Erfüllung
ihrer nationalen Aufgaben zu zwingen, als bei dem bestehenden Klassenwahlrecht,
wo die Gesamtheit der Nation nicht mobil gemacht werden kann. Dann besteht
auch die Hoffnung, daß unser großes mit so viel Mitteln und Selbstverleugnung
begonnenes Kolonisationswerk — vielleicht auf breiterer Basis — wieder auf¬
genommen und bis zu Ende durchgeführt wird. — Das ist der Weg, über den
G. <Li, der Parlamentarismus in Deutschland anmarschiert.


Bank und Geld

Das Urteil gegen den Tabaktrust — Amerikanische Rechtsprechung und Politik —
New-Uorker Börse und Wirtschaftslage in Amerika — Situation und Börse in Deutsch¬
land — Berliner Terrain- und Baugesellschaft — Der Fürstentrust und seine Engagements

Dem Urteil gegen die Standard Oil Co. hat der oberste Bundesgerichtshof
in Washington nun ein gleiches gegen den Tabaktrust folgen lassen und die
Auflösung auch dieser mächtigen Monopolgesellschaft verfügt. Ging aber schon
aus dem Urteil gegen die Standard Oil hervor, daß der amerikanische Areopag
Mittel und Wege suchte, formell dem Gesetz zu entsprechen, materiell aber den
Finanzmagnaten nicht wehe zu tun, so tritt dieses Bestreben in dem jüngsten Urteile
ganz offensichtlich und unverhüllt zutage. Darob natürlich große Freude in den Hallen
vom Wallstreet und in den Bureaus der Dollarfürsten! Der Gerichtshof hat sich
aus den Standpunkt gestellt, daß das Shermangesetz nur eine „unvernünftige"
(unressonabls) Beschränkung des Handelsvertrages verbiete. Eine solche hat es
zwar im Falle der Standard Oil angenommen, aber mit dieser Begründung allen
Trustgesellschaften das Hintertürchen geöffnet, durch welches sie wieder als legitime


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[0488] Reichsspiegel Parlamentarismus, weil, wie die Hamburger Nachrichten durchaus zutreffend aus¬ führen, die sozialdemokratische Partei im Reich und in Preußen ein Agitations- material in die Hand bekommen hat, wie es schöner für sie gar nicht gedacht werden kann. Das wichtigste scheint mir in Gefühlsmomenten zu liegen, die das preußische Volk gegen die Staatsregierung aufbringen müssen. Wenn die Elsaß- Lothringer für das Reichstagswahlrecht reif sind, so fragt sich wohl mancher, der nicht alle Konsequenzen überschaut, warum sollen wir, die eigentlichen Reichs¬ gründer, dazu nicht befähigt sein? Die demokratische Agitation wird hier ein¬ setzen und viele Bedenken um so leichter zerstören, als ja auch die Regierung von ihnen abläßt. Unser wichtigstes Argument gegen die Einführung des Reichstags¬ wahlrechts in Preußen war immer der Hinweis auf die dadurch gesteigerte Macht der Polen und des Zentrums, denen andere Separatisten, wie Welsen und Dänen, folgen würden; daneben stand die Sorge um die Fortsetzung des Ansiedlungswerks. Nachdem die Negierung aber ihren früheren Standpunkt verlassen hat, sich das Zentrum zum Hebel für ihre Politik gewählt, das Sied¬ lungswerk im Stiche läßt und in den Polen keine Gefahr mehr sieht, muß ich offen bekennen, daß sich die Gründe für die Einführung des Reichstags- Wahlrechts in Preußen auf Kosten der Gegengründe mehren. Beim allgemeinen und gleichen Wahlrecht haben wir im Falle der Not größere Aussicht, die national gesinnten Kreise zur Geltung zu bringen und eine schwache Exekutive zur Erfüllung ihrer nationalen Aufgaben zu zwingen, als bei dem bestehenden Klassenwahlrecht, wo die Gesamtheit der Nation nicht mobil gemacht werden kann. Dann besteht auch die Hoffnung, daß unser großes mit so viel Mitteln und Selbstverleugnung begonnenes Kolonisationswerk — vielleicht auf breiterer Basis — wieder auf¬ genommen und bis zu Ende durchgeführt wird. — Das ist der Weg, über den G. <Li, der Parlamentarismus in Deutschland anmarschiert. Bank und Geld Das Urteil gegen den Tabaktrust — Amerikanische Rechtsprechung und Politik — New-Uorker Börse und Wirtschaftslage in Amerika — Situation und Börse in Deutsch¬ land — Berliner Terrain- und Baugesellschaft — Der Fürstentrust und seine Engagements Dem Urteil gegen die Standard Oil Co. hat der oberste Bundesgerichtshof in Washington nun ein gleiches gegen den Tabaktrust folgen lassen und die Auflösung auch dieser mächtigen Monopolgesellschaft verfügt. Ging aber schon aus dem Urteil gegen die Standard Oil hervor, daß der amerikanische Areopag Mittel und Wege suchte, formell dem Gesetz zu entsprechen, materiell aber den Finanzmagnaten nicht wehe zu tun, so tritt dieses Bestreben in dem jüngsten Urteile ganz offensichtlich und unverhüllt zutage. Darob natürlich große Freude in den Hallen vom Wallstreet und in den Bureaus der Dollarfürsten! Der Gerichtshof hat sich aus den Standpunkt gestellt, daß das Shermangesetz nur eine „unvernünftige" (unressonabls) Beschränkung des Handelsvertrages verbiete. Eine solche hat es zwar im Falle der Standard Oil angenommen, aber mit dieser Begründung allen Trustgesellschaften das Hintertürchen geöffnet, durch welches sie wieder als legitime

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/488>, abgerufen am 19.05.2024.