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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches
von Justizrat Bamberger-
6. Die Wissenschaft

nsere Betrachtung in Heft 44 der Grenzboten vom Jahre 1910
verfolgte das Ziel, im Hinblick auf eine neue Vorlage über das
Reichserbrecht den Nachweis zu führen, daß der Reformgedanke
sowohl bei der Regierung wie bei Angehörigen aller Parteien,
in der Presse wie im Reichstage freundliche Aufnahme gefunden
hat. Wiederholt ist dabei bemerkt worden, daß es sich um eine Frage handelt,
die nicht etwa heute aufgeworfen wird, sondern die seit mehr als einem Jahr¬
hundert die Wissenschaft beschäftigt hat. Die Reform des Erbrechts hat eine
ganze Literatur hervorgerufen, deren Kenntnis Belehrung und Anregung in
Fülle bietet. Hervorragende Lehrer der Volkswirtschaft und Staatswissenschaft
der Vergangenheit wie der Gegenwart sind bei ihren Forschungen überein¬
stimmend zu dein Ergebnis gelangt, daß die unbegrenzte Verwandtenerbfolge
eingeschränkt werden müsse zugunsten der Gesamtheit.

John Stuart Mill, der große britische Denker, spricht sich in den "Grund¬
sätzen der politischen Ökonomie" Band I S. 258 ohne Umschweife dahin aus:
Entferntere Verwandte stehen gemeiniglich der Familie und deren Interessen
fast ebenso fern, als wenn sie gar nicht damit verknüpft wären. Mir scheint
kein Grund vorzuliegen, weshalb ein Erbrecht der Seitenverwandten überhaupt
bestehen soll. Bentham hat es schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, und andere
bedeutende Autoritäten haben sich dieser Meinung angeschlossen, daß, wenn weder
in absteigender, noch in aufsteigender Linie Erben vorhanden sind und keine
letztwillige Verfügung getroffen ist, das Eigentum dem Staate zufallen solle.


Grenzboten II 1911 Ki


Für das Erbrecht des Reiches
von Justizrat Bamberger-
6. Die Wissenschaft

nsere Betrachtung in Heft 44 der Grenzboten vom Jahre 1910
verfolgte das Ziel, im Hinblick auf eine neue Vorlage über das
Reichserbrecht den Nachweis zu führen, daß der Reformgedanke
sowohl bei der Regierung wie bei Angehörigen aller Parteien,
in der Presse wie im Reichstage freundliche Aufnahme gefunden
hat. Wiederholt ist dabei bemerkt worden, daß es sich um eine Frage handelt,
die nicht etwa heute aufgeworfen wird, sondern die seit mehr als einem Jahr¬
hundert die Wissenschaft beschäftigt hat. Die Reform des Erbrechts hat eine
ganze Literatur hervorgerufen, deren Kenntnis Belehrung und Anregung in
Fülle bietet. Hervorragende Lehrer der Volkswirtschaft und Staatswissenschaft
der Vergangenheit wie der Gegenwart sind bei ihren Forschungen überein¬
stimmend zu dein Ergebnis gelangt, daß die unbegrenzte Verwandtenerbfolge
eingeschränkt werden müsse zugunsten der Gesamtheit.

John Stuart Mill, der große britische Denker, spricht sich in den „Grund¬
sätzen der politischen Ökonomie" Band I S. 258 ohne Umschweife dahin aus:
Entferntere Verwandte stehen gemeiniglich der Familie und deren Interessen
fast ebenso fern, als wenn sie gar nicht damit verknüpft wären. Mir scheint
kein Grund vorzuliegen, weshalb ein Erbrecht der Seitenverwandten überhaupt
bestehen soll. Bentham hat es schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, und andere
bedeutende Autoritäten haben sich dieser Meinung angeschlossen, daß, wenn weder
in absteigender, noch in aufsteigender Linie Erben vorhanden sind und keine
letztwillige Verfügung getroffen ist, das Eigentum dem Staate zufallen solle.


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[0493] [Abbildung] Für das Erbrecht des Reiches von Justizrat Bamberger- 6. Die Wissenschaft nsere Betrachtung in Heft 44 der Grenzboten vom Jahre 1910 verfolgte das Ziel, im Hinblick auf eine neue Vorlage über das Reichserbrecht den Nachweis zu führen, daß der Reformgedanke sowohl bei der Regierung wie bei Angehörigen aller Parteien, in der Presse wie im Reichstage freundliche Aufnahme gefunden hat. Wiederholt ist dabei bemerkt worden, daß es sich um eine Frage handelt, die nicht etwa heute aufgeworfen wird, sondern die seit mehr als einem Jahr¬ hundert die Wissenschaft beschäftigt hat. Die Reform des Erbrechts hat eine ganze Literatur hervorgerufen, deren Kenntnis Belehrung und Anregung in Fülle bietet. Hervorragende Lehrer der Volkswirtschaft und Staatswissenschaft der Vergangenheit wie der Gegenwart sind bei ihren Forschungen überein¬ stimmend zu dein Ergebnis gelangt, daß die unbegrenzte Verwandtenerbfolge eingeschränkt werden müsse zugunsten der Gesamtheit. John Stuart Mill, der große britische Denker, spricht sich in den „Grund¬ sätzen der politischen Ökonomie" Band I S. 258 ohne Umschweife dahin aus: Entferntere Verwandte stehen gemeiniglich der Familie und deren Interessen fast ebenso fern, als wenn sie gar nicht damit verknüpft wären. Mir scheint kein Grund vorzuliegen, weshalb ein Erbrecht der Seitenverwandten überhaupt bestehen soll. Bentham hat es schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, und andere bedeutende Autoritäten haben sich dieser Meinung angeschlossen, daß, wenn weder in absteigender, noch in aufsteigender Linie Erben vorhanden sind und keine letztwillige Verfügung getroffen ist, das Eigentum dem Staate zufallen solle. Grenzboten II 1911 Ki

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/493>, abgerufen am 18.05.2024.