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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rassedienst

Nation unterschätzen. Aufgabe der Regierung und der Volksvertretung wird es
sein, für eine gute deutsche Fassung des Gesetzes über das Erbrecht des Reiches
zu sorgen. Durch diese Maßregel wird eine gründliche, stetig fortschreitende
Besserung der Finanzen gewährleistet. Innerhalb einer kurzen Frist ist die
Abstoßung der ganzen Reichsschuld möglich. Daß dies zur Stärkung der Finanz¬
lage Deutschlands, zur Erhöhung seiner Bewegungsfreiheit und zur Sicherung
des Friedens beitragen wird, das ist nicht zu bezweifeln.




Rassedienst
von Prof. Ol-. Lrich Becher-
(Schluß.)

Wir können und wollen die Umstände, welche die Wirkung der Selektion
im Kulturzustande ungünstig beeinflussen und zum Teil direkt umkehren, nicht
alle beseitigen, weil wir nicht Kultur mit Barbarei vertauschen wollen. Von
einer Abschaffung der Krankenfürsorge usw., von einer Beseitigung der Hygiene
und der allgemeinen Wehrpflicht im Interesse günstig wirksamer Auslese kann
selbstverständlich nicht die Rede sein. Die Kultur wird und soll fortfahren, dem
Daseinskämpfe seine brutale Härte immer mehr zu nehmen. Wohin aber kann
das führen? Stehen etwa jenen ungünstigen Wirkungen des Kulturfortschritts
auf den Erbwertschatz der Völker günstige Beeinflussungen ausgleichend gegenüber?

Die Antwort auf diese bedeutsame Frage ist leider nicht unabhängig vom
unentschiedenen Streit naturwissenschaftlicher Hypothesen. Der moderne Vitalist
wird vielleicht hoffen, daß seelenartige Triebkräfte die Entwicklung der organischen
Erbwerte der Menschheit trotz aller kulturellen Hemmungen vorwärts treiben.
Schallmayer lehnt den Neuvitalismus ohne Prüfung als mystisch ab. Ein solches
Verfahren ist auf Grund mancher Entgleisungen dieser Lebenshypothese verständlich;
doch ist der Vitalismus, d. h. die Lehre, daß im Lebewesen noch andere als
physikalische und chemische Faktoren wirken, nicht und der Bezeichnung "mystisch"
abzutun, mag er sich schließlich als verfehlt oder richtig erweisen. Zurzeit steigt
jedenfalls seine Beachtung in den Kreisen sehr ernst zu nehmender Naturforscher.

Wie wichtig für unser Problem die Frage nach der Erblichkeit im Einzel¬
leben erworbener Eigenschaften ist, die Schallmayer allzu leicht beiseite schiebt,
wurde schon betont. Wir sehen aber davon ab, hier diese oder naheliegende
andere Hypothesen gegen Schallmayer weiterhin ins Feld zu führen. Viel
Sicheres käme doch nicht dabei zutage. So folgen wir Schallmayers Dar¬
legungen, indem wir freilich daran festhalten, daß die Dinge zum Teil von
anderen naturwissenschaftlichen Hypothesen aus ein etwas anderes Aussehen
gewinnen können. Die Überlegungen Schallmayers würden immerhin ihre


Rassedienst

Nation unterschätzen. Aufgabe der Regierung und der Volksvertretung wird es
sein, für eine gute deutsche Fassung des Gesetzes über das Erbrecht des Reiches
zu sorgen. Durch diese Maßregel wird eine gründliche, stetig fortschreitende
Besserung der Finanzen gewährleistet. Innerhalb einer kurzen Frist ist die
Abstoßung der ganzen Reichsschuld möglich. Daß dies zur Stärkung der Finanz¬
lage Deutschlands, zur Erhöhung seiner Bewegungsfreiheit und zur Sicherung
des Friedens beitragen wird, das ist nicht zu bezweifeln.




Rassedienst
von Prof. Ol-. Lrich Becher-
(Schluß.)

Wir können und wollen die Umstände, welche die Wirkung der Selektion
im Kulturzustande ungünstig beeinflussen und zum Teil direkt umkehren, nicht
alle beseitigen, weil wir nicht Kultur mit Barbarei vertauschen wollen. Von
einer Abschaffung der Krankenfürsorge usw., von einer Beseitigung der Hygiene
und der allgemeinen Wehrpflicht im Interesse günstig wirksamer Auslese kann
selbstverständlich nicht die Rede sein. Die Kultur wird und soll fortfahren, dem
Daseinskämpfe seine brutale Härte immer mehr zu nehmen. Wohin aber kann
das führen? Stehen etwa jenen ungünstigen Wirkungen des Kulturfortschritts
auf den Erbwertschatz der Völker günstige Beeinflussungen ausgleichend gegenüber?

Die Antwort auf diese bedeutsame Frage ist leider nicht unabhängig vom
unentschiedenen Streit naturwissenschaftlicher Hypothesen. Der moderne Vitalist
wird vielleicht hoffen, daß seelenartige Triebkräfte die Entwicklung der organischen
Erbwerte der Menschheit trotz aller kulturellen Hemmungen vorwärts treiben.
Schallmayer lehnt den Neuvitalismus ohne Prüfung als mystisch ab. Ein solches
Verfahren ist auf Grund mancher Entgleisungen dieser Lebenshypothese verständlich;
doch ist der Vitalismus, d. h. die Lehre, daß im Lebewesen noch andere als
physikalische und chemische Faktoren wirken, nicht und der Bezeichnung „mystisch"
abzutun, mag er sich schließlich als verfehlt oder richtig erweisen. Zurzeit steigt
jedenfalls seine Beachtung in den Kreisen sehr ernst zu nehmender Naturforscher.

Wie wichtig für unser Problem die Frage nach der Erblichkeit im Einzel¬
leben erworbener Eigenschaften ist, die Schallmayer allzu leicht beiseite schiebt,
wurde schon betont. Wir sehen aber davon ab, hier diese oder naheliegende
andere Hypothesen gegen Schallmayer weiterhin ins Feld zu führen. Viel
Sicheres käme doch nicht dabei zutage. So folgen wir Schallmayers Dar¬
legungen, indem wir freilich daran festhalten, daß die Dinge zum Teil von
anderen naturwissenschaftlichen Hypothesen aus ein etwas anderes Aussehen
gewinnen können. Die Überlegungen Schallmayers würden immerhin ihre


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[0498] Rassedienst Nation unterschätzen. Aufgabe der Regierung und der Volksvertretung wird es sein, für eine gute deutsche Fassung des Gesetzes über das Erbrecht des Reiches zu sorgen. Durch diese Maßregel wird eine gründliche, stetig fortschreitende Besserung der Finanzen gewährleistet. Innerhalb einer kurzen Frist ist die Abstoßung der ganzen Reichsschuld möglich. Daß dies zur Stärkung der Finanz¬ lage Deutschlands, zur Erhöhung seiner Bewegungsfreiheit und zur Sicherung des Friedens beitragen wird, das ist nicht zu bezweifeln. Rassedienst von Prof. Ol-. Lrich Becher- (Schluß.) Wir können und wollen die Umstände, welche die Wirkung der Selektion im Kulturzustande ungünstig beeinflussen und zum Teil direkt umkehren, nicht alle beseitigen, weil wir nicht Kultur mit Barbarei vertauschen wollen. Von einer Abschaffung der Krankenfürsorge usw., von einer Beseitigung der Hygiene und der allgemeinen Wehrpflicht im Interesse günstig wirksamer Auslese kann selbstverständlich nicht die Rede sein. Die Kultur wird und soll fortfahren, dem Daseinskämpfe seine brutale Härte immer mehr zu nehmen. Wohin aber kann das führen? Stehen etwa jenen ungünstigen Wirkungen des Kulturfortschritts auf den Erbwertschatz der Völker günstige Beeinflussungen ausgleichend gegenüber? Die Antwort auf diese bedeutsame Frage ist leider nicht unabhängig vom unentschiedenen Streit naturwissenschaftlicher Hypothesen. Der moderne Vitalist wird vielleicht hoffen, daß seelenartige Triebkräfte die Entwicklung der organischen Erbwerte der Menschheit trotz aller kulturellen Hemmungen vorwärts treiben. Schallmayer lehnt den Neuvitalismus ohne Prüfung als mystisch ab. Ein solches Verfahren ist auf Grund mancher Entgleisungen dieser Lebenshypothese verständlich; doch ist der Vitalismus, d. h. die Lehre, daß im Lebewesen noch andere als physikalische und chemische Faktoren wirken, nicht und der Bezeichnung „mystisch" abzutun, mag er sich schließlich als verfehlt oder richtig erweisen. Zurzeit steigt jedenfalls seine Beachtung in den Kreisen sehr ernst zu nehmender Naturforscher. Wie wichtig für unser Problem die Frage nach der Erblichkeit im Einzel¬ leben erworbener Eigenschaften ist, die Schallmayer allzu leicht beiseite schiebt, wurde schon betont. Wir sehen aber davon ab, hier diese oder naheliegende andere Hypothesen gegen Schallmayer weiterhin ins Feld zu führen. Viel Sicheres käme doch nicht dabei zutage. So folgen wir Schallmayers Dar¬ legungen, indem wir freilich daran festhalten, daß die Dinge zum Teil von anderen naturwissenschaftlichen Hypothesen aus ein etwas anderes Aussehen gewinnen können. Die Überlegungen Schallmayers würden immerhin ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/498>, abgerufen am 19.05.2024.