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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rasfedienst

praktische Bedeutung in gewissem Grade behalten. Selbst die schärfsten Gegner
der Darwinschen Zuchtwahlhypothese erkennen eine gewisse, wenn auch unter¬
geordnete Bedeutung der Auslese an, und die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl
der Tier- und Pflanzenzüchter beweisen, was energische Auslese unter Umständen
leisten kann. Es erscheint uns wichtig, dies zu betonen, weil dadurch die Ver¬
wertung des Auslesegedankens im Sinne der Eugenik eine gewisse Unabhängigkeit
gewinnt, gegenüber dem naturwissenschaftlichen Kampf um die Lehre von der
natürlichen Zuchtwahl und um die Einschätzung ihrer Wirksamkeit bei der Art¬
entwicklung. Die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl sind Tatsachen, die Darwinsche
Lehre von der natürlichen Selektion aber bleibt eine Hypothese, wenngleich wir
sie als solche hochschätzen mögen.

Es ist durchaus konsequent, wenn Schallmayer als Lamarckismusgegner
nur wenige günstige Wirkungen der Kultur auf die Entwicklung der organischen
Erbwerte anerkennt. Wenn wir durch Übung des Körpers und Geistes, durch
Gewöhnung an alles Edle Leib und Seele des Menschen vervollkommnen, so erben
nach neudarwinistischer Lehre die Nachkommen von den individuell erworbenen
Vorzügen nichts in Gestalt von eingeborenen Anlagen.

Immerhin wird es wohl die Rassegüte zunächst steigern, wenn der Erfolg
der Malariabekämpfung verhindert, daß diese Krankheit die Nachkommenschaft
der von ihr Befallenen schädigt. Ähnlich mag vielleicht dereinst der Erfolg der
Syphilis- und der Alkoholbekämpfung der angeborenen Konstitution künftiger
Geschlechter zugute kommen. Der zunehmende Verkehr vermindert ferner die
Inzucht und ihre Degenerationswirkungen. Da ein sehr erheblicher Prozentsatz
der Selbstmörder geisteskrank ist, jätet deren Tod unglückliche erbliche Veranlagung
aus. Einen kleinen Fortschritt der geschlechtlichen Auslese glaubt Schallmayer
darin finden zu dürfen, daß heute die Gemütsart der Frau doch etwas mehr
als auf niedrigerer Kulturstufe bei der Gattenwahl Berücksichtigung finde.

Schallmayer muß bei Vergleichung der günstigen und ungünstigen Ein¬
wirkungen unserer Kultur auf die Erbwertentwicklung zu einem traurigen Ergebnis
kommen. Die Entwicklung des angeborenen Anlagenwertes der westlichen Kultur¬
völker ist abwärts gerichtet. Lange mag der durch die Kulturtradition bedingte
Vorsprung die Degeneration verbergen. Wenn der Weg aber fernerhin abwärts
führt, so muß der Tag kommen, an dem die angeborenen seelischen Fähigkeiten
der europäischen Kulturvölker so geschwächt sind, daß sie den Bau der Kultur
nicht mehr tragen können. Diese müßte zusammenbrechen, wie so manche glänzende
Kultur untergegangen ist. Sind doch fast alle geschichtlichen Kulturvölker, mit
Ausnahme der Chinesen, nach verhältnismäßig kurzer Blütezeit entartet, tief
gesunken oder zugrunde gegangen. Daß für die Geschicke der Völker, für die
geschichtlichen Katastrophen die angeborenen Rasseeigenschaften schwer ins Gewicht
fallen, hat Gras Gobineau bereits vor Darwin in seinem geistvollen "Versuch
über die Ungleichheit der Menschenrassen" nachdrücklich dargelegt. -- Freilich
sind es nicht die Erbanlagen allein, die im Völkerringen den Sieg verleihen.


Rasfedienst

praktische Bedeutung in gewissem Grade behalten. Selbst die schärfsten Gegner
der Darwinschen Zuchtwahlhypothese erkennen eine gewisse, wenn auch unter¬
geordnete Bedeutung der Auslese an, und die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl
der Tier- und Pflanzenzüchter beweisen, was energische Auslese unter Umständen
leisten kann. Es erscheint uns wichtig, dies zu betonen, weil dadurch die Ver¬
wertung des Auslesegedankens im Sinne der Eugenik eine gewisse Unabhängigkeit
gewinnt, gegenüber dem naturwissenschaftlichen Kampf um die Lehre von der
natürlichen Zuchtwahl und um die Einschätzung ihrer Wirksamkeit bei der Art¬
entwicklung. Die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl sind Tatsachen, die Darwinsche
Lehre von der natürlichen Selektion aber bleibt eine Hypothese, wenngleich wir
sie als solche hochschätzen mögen.

Es ist durchaus konsequent, wenn Schallmayer als Lamarckismusgegner
nur wenige günstige Wirkungen der Kultur auf die Entwicklung der organischen
Erbwerte anerkennt. Wenn wir durch Übung des Körpers und Geistes, durch
Gewöhnung an alles Edle Leib und Seele des Menschen vervollkommnen, so erben
nach neudarwinistischer Lehre die Nachkommen von den individuell erworbenen
Vorzügen nichts in Gestalt von eingeborenen Anlagen.

Immerhin wird es wohl die Rassegüte zunächst steigern, wenn der Erfolg
der Malariabekämpfung verhindert, daß diese Krankheit die Nachkommenschaft
der von ihr Befallenen schädigt. Ähnlich mag vielleicht dereinst der Erfolg der
Syphilis- und der Alkoholbekämpfung der angeborenen Konstitution künftiger
Geschlechter zugute kommen. Der zunehmende Verkehr vermindert ferner die
Inzucht und ihre Degenerationswirkungen. Da ein sehr erheblicher Prozentsatz
der Selbstmörder geisteskrank ist, jätet deren Tod unglückliche erbliche Veranlagung
aus. Einen kleinen Fortschritt der geschlechtlichen Auslese glaubt Schallmayer
darin finden zu dürfen, daß heute die Gemütsart der Frau doch etwas mehr
als auf niedrigerer Kulturstufe bei der Gattenwahl Berücksichtigung finde.

Schallmayer muß bei Vergleichung der günstigen und ungünstigen Ein¬
wirkungen unserer Kultur auf die Erbwertentwicklung zu einem traurigen Ergebnis
kommen. Die Entwicklung des angeborenen Anlagenwertes der westlichen Kultur¬
völker ist abwärts gerichtet. Lange mag der durch die Kulturtradition bedingte
Vorsprung die Degeneration verbergen. Wenn der Weg aber fernerhin abwärts
führt, so muß der Tag kommen, an dem die angeborenen seelischen Fähigkeiten
der europäischen Kulturvölker so geschwächt sind, daß sie den Bau der Kultur
nicht mehr tragen können. Diese müßte zusammenbrechen, wie so manche glänzende
Kultur untergegangen ist. Sind doch fast alle geschichtlichen Kulturvölker, mit
Ausnahme der Chinesen, nach verhältnismäßig kurzer Blütezeit entartet, tief
gesunken oder zugrunde gegangen. Daß für die Geschicke der Völker, für die
geschichtlichen Katastrophen die angeborenen Rasseeigenschaften schwer ins Gewicht
fallen, hat Gras Gobineau bereits vor Darwin in seinem geistvollen „Versuch
über die Ungleichheit der Menschenrassen" nachdrücklich dargelegt. — Freilich
sind es nicht die Erbanlagen allein, die im Völkerringen den Sieg verleihen.


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[0499] Rasfedienst praktische Bedeutung in gewissem Grade behalten. Selbst die schärfsten Gegner der Darwinschen Zuchtwahlhypothese erkennen eine gewisse, wenn auch unter¬ geordnete Bedeutung der Auslese an, und die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl der Tier- und Pflanzenzüchter beweisen, was energische Auslese unter Umständen leisten kann. Es erscheint uns wichtig, dies zu betonen, weil dadurch die Ver¬ wertung des Auslesegedankens im Sinne der Eugenik eine gewisse Unabhängigkeit gewinnt, gegenüber dem naturwissenschaftlichen Kampf um die Lehre von der natürlichen Zuchtwahl und um die Einschätzung ihrer Wirksamkeit bei der Art¬ entwicklung. Die Erfolge der künstlichen Zuchtwahl sind Tatsachen, die Darwinsche Lehre von der natürlichen Selektion aber bleibt eine Hypothese, wenngleich wir sie als solche hochschätzen mögen. Es ist durchaus konsequent, wenn Schallmayer als Lamarckismusgegner nur wenige günstige Wirkungen der Kultur auf die Entwicklung der organischen Erbwerte anerkennt. Wenn wir durch Übung des Körpers und Geistes, durch Gewöhnung an alles Edle Leib und Seele des Menschen vervollkommnen, so erben nach neudarwinistischer Lehre die Nachkommen von den individuell erworbenen Vorzügen nichts in Gestalt von eingeborenen Anlagen. Immerhin wird es wohl die Rassegüte zunächst steigern, wenn der Erfolg der Malariabekämpfung verhindert, daß diese Krankheit die Nachkommenschaft der von ihr Befallenen schädigt. Ähnlich mag vielleicht dereinst der Erfolg der Syphilis- und der Alkoholbekämpfung der angeborenen Konstitution künftiger Geschlechter zugute kommen. Der zunehmende Verkehr vermindert ferner die Inzucht und ihre Degenerationswirkungen. Da ein sehr erheblicher Prozentsatz der Selbstmörder geisteskrank ist, jätet deren Tod unglückliche erbliche Veranlagung aus. Einen kleinen Fortschritt der geschlechtlichen Auslese glaubt Schallmayer darin finden zu dürfen, daß heute die Gemütsart der Frau doch etwas mehr als auf niedrigerer Kulturstufe bei der Gattenwahl Berücksichtigung finde. Schallmayer muß bei Vergleichung der günstigen und ungünstigen Ein¬ wirkungen unserer Kultur auf die Erbwertentwicklung zu einem traurigen Ergebnis kommen. Die Entwicklung des angeborenen Anlagenwertes der westlichen Kultur¬ völker ist abwärts gerichtet. Lange mag der durch die Kulturtradition bedingte Vorsprung die Degeneration verbergen. Wenn der Weg aber fernerhin abwärts führt, so muß der Tag kommen, an dem die angeborenen seelischen Fähigkeiten der europäischen Kulturvölker so geschwächt sind, daß sie den Bau der Kultur nicht mehr tragen können. Diese müßte zusammenbrechen, wie so manche glänzende Kultur untergegangen ist. Sind doch fast alle geschichtlichen Kulturvölker, mit Ausnahme der Chinesen, nach verhältnismäßig kurzer Blütezeit entartet, tief gesunken oder zugrunde gegangen. Daß für die Geschicke der Völker, für die geschichtlichen Katastrophen die angeborenen Rasseeigenschaften schwer ins Gewicht fallen, hat Gras Gobineau bereits vor Darwin in seinem geistvollen „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen" nachdrücklich dargelegt. — Freilich sind es nicht die Erbanlagen allein, die im Völkerringen den Sieg verleihen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/499>, abgerufen am 10.06.2024.