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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Welche Gründe für die Regierung maßgebend sind, das Kolonisationswerk
im Stiche zu lassen, entzieht sich unserer Kenntnis. Anscheinend stehen wir
wieder am Anfang einer Versöhnungsära, möglich ist aber auch, daß die
Verlangsamung des Tempos in der Kolonisation einen Teil des allgemeinen
Beruhigungsprogramms des Reichskanzlers bilden soll. Wie bekannt, will
Herr v. Bethmann alles vermeiden, was irgendwie Unruhe ins Land tragen
könnte. Dazu aber gehört auch die Anwendung des Enteignungsgesetzes. Ob
das Ziel auf dieseni Wege zu erreichen ist, darf füglich bezweifelt werden.
Dagegen darf mit Sicherheit angenommen werden, daß das Vertrauen in die
Negierung ebenso wie in die Parlamente erheblich leidet. Wenn man sich
erinnert, mit welchen! Aufwands von Kraft die preußische Regierung vor drei
Jahren die Annahme des Enteignnngsgesetzes im preußischen Herrenhause
durchdrückte, wie damals die größten Leuchten der Wissenschaft angezündet
wurden, um dem Volk die Bedeutung des Gesetzes recht klar zu machen, dann
muß man man sich fragen, auf Grund welcher Erfahrungen das Gesetz heute
schon nicht mehr notwendig sein soll. Die Unruhe verschwindet nicht nur
nicht, sondern wird lediglich in weitere Kreise getragen. Wer die Errungen¬
schaften der letzten Jahre nicht preisgeben will, wird sich notgedrungen noch
fester als bisher an den Ostmarkenverem klammern und mit dessen Hilfe zu
G. El, retten suchen, was noch zu retten ist.


Bank und Geld

Generalversammlungen der Großbanken ^ Autokratie in Banken und Industrie --
Neue Freundschaft zwischen Handelsgesellschaft und Dresdner Bank -- Knligcsetz und
Überproduktion -- Propagandagelder -- Kohlensyndikat und Kohlenhandel -- Braun¬
kohlensyndikat Spekulation in Kaffa-Jndustriewerten

Der Monat März pflegt in den Generalversammlungen unserer Großbanken
gewöhnlich den Epilog auf das vorangegangene Geschäftsjahr zu bringen. In
der Regel ist freilich das Ergebnis der Verhandlungen nicht besonders reich¬
haltig. Die Aktionäre bleiben in der Mehrzahl fern, die Verwaltungen sind
unter sich, und nur hier und da wird auf die Anfrage eines wißbegierigen
Aktienbesitzers das eine oder andere Thema erörtert, über das die Verwaltung
eine Erklärung abzugeben wünscht. Es handelt sich also bei diesen Anfragen
meist um bestellte Arbeit. Von diesem üblichen Bild der Generalversammlungen
lassen sich in diesen: Jahre einige Abweichungen feststellen. Es sind auf ihnen
Fragen angeschnitten worden, an deren Beantwortung auch die größere Öffent-
lichkeit ein erhebliches Interesse hat.

Daß die Verwaltung der Berliner Handelsgesellschaft wegen der Aufsehen
erregendenVorkommnisse des Geschäftsjahres -- insbesondere wegen der Beteiligung
der Bank am Konkurs der Niederdeutschen Bank und wegen des Zerwürfnisses
mit dem Konzern Friedländer-Fuld -- interpelliert werden würde, war voraus¬
zusehen. Diese Jnterpellation ist tatsächlich erfolgt und zwar in einer so scharfen


Reichsspiegel

Welche Gründe für die Regierung maßgebend sind, das Kolonisationswerk
im Stiche zu lassen, entzieht sich unserer Kenntnis. Anscheinend stehen wir
wieder am Anfang einer Versöhnungsära, möglich ist aber auch, daß die
Verlangsamung des Tempos in der Kolonisation einen Teil des allgemeinen
Beruhigungsprogramms des Reichskanzlers bilden soll. Wie bekannt, will
Herr v. Bethmann alles vermeiden, was irgendwie Unruhe ins Land tragen
könnte. Dazu aber gehört auch die Anwendung des Enteignungsgesetzes. Ob
das Ziel auf dieseni Wege zu erreichen ist, darf füglich bezweifelt werden.
Dagegen darf mit Sicherheit angenommen werden, daß das Vertrauen in die
Negierung ebenso wie in die Parlamente erheblich leidet. Wenn man sich
erinnert, mit welchen! Aufwands von Kraft die preußische Regierung vor drei
Jahren die Annahme des Enteignnngsgesetzes im preußischen Herrenhause
durchdrückte, wie damals die größten Leuchten der Wissenschaft angezündet
wurden, um dem Volk die Bedeutung des Gesetzes recht klar zu machen, dann
muß man man sich fragen, auf Grund welcher Erfahrungen das Gesetz heute
schon nicht mehr notwendig sein soll. Die Unruhe verschwindet nicht nur
nicht, sondern wird lediglich in weitere Kreise getragen. Wer die Errungen¬
schaften der letzten Jahre nicht preisgeben will, wird sich notgedrungen noch
fester als bisher an den Ostmarkenverem klammern und mit dessen Hilfe zu
G. El, retten suchen, was noch zu retten ist.


Bank und Geld

Generalversammlungen der Großbanken ^ Autokratie in Banken und Industrie —
Neue Freundschaft zwischen Handelsgesellschaft und Dresdner Bank — Knligcsetz und
Überproduktion — Propagandagelder — Kohlensyndikat und Kohlenhandel — Braun¬
kohlensyndikat Spekulation in Kaffa-Jndustriewerten

Der Monat März pflegt in den Generalversammlungen unserer Großbanken
gewöhnlich den Epilog auf das vorangegangene Geschäftsjahr zu bringen. In
der Regel ist freilich das Ergebnis der Verhandlungen nicht besonders reich¬
haltig. Die Aktionäre bleiben in der Mehrzahl fern, die Verwaltungen sind
unter sich, und nur hier und da wird auf die Anfrage eines wißbegierigen
Aktienbesitzers das eine oder andere Thema erörtert, über das die Verwaltung
eine Erklärung abzugeben wünscht. Es handelt sich also bei diesen Anfragen
meist um bestellte Arbeit. Von diesem üblichen Bild der Generalversammlungen
lassen sich in diesen: Jahre einige Abweichungen feststellen. Es sind auf ihnen
Fragen angeschnitten worden, an deren Beantwortung auch die größere Öffent-
lichkeit ein erhebliches Interesse hat.

Daß die Verwaltung der Berliner Handelsgesellschaft wegen der Aufsehen
erregendenVorkommnisse des Geschäftsjahres — insbesondere wegen der Beteiligung
der Bank am Konkurs der Niederdeutschen Bank und wegen des Zerwürfnisses
mit dem Konzern Friedländer-Fuld — interpelliert werden würde, war voraus¬
zusehen. Diese Jnterpellation ist tatsächlich erfolgt und zwar in einer so scharfen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/56>, abgerufen am 26.05.2024.