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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Fritz Anders

Sintflut. Mit roten Füßen und Händen stapften die Winzer, ein Märchenbild
der Weinlese. Wo aber war die Fröhlichkeit? Es war eine Weinlese mit Tränen,
mit Schmerz, mit Wehklagen.

Der blinde Joachim tastete durch die Straßen und predigte mit lauter Stimme:
"Und die Kelter ward aus der Stadt getreten, und das Blut ging von der Kelter
bis an die Zäume der Pferde durch tausendsechshundert Feld WegesI"

Wahnsinn kam über die Menschen.

Gaston! Wer behauptet, daß du ein Prahler seiest, der luget Denn so ist
deine Heimat: dort fließt von den Bergen der Most, dort rinnt in den Brunnen
der echte Wein, noch mehr, dort rinnt der Wein in der Gosse, über die schmutzige
Straße, bespült die Sockel der Häuser, als wären sie in Blut gebadet!

Und die Menschen, die sahen, wie sich das Herz der Erde nutzlos verbluten
mußte, schrien auf in ihrer Seelenqual, und es war ein Klagen und ein Zähne-
knirschen, als ob sie sich selbst die Adern geöffnet hätten und ihr Leben sinnlos in
den Staub rinnen sähen.

Denn es ist die Zeit, von der die Propheten sagen, daß der Wein von den
Bergen triefen und die Hügel in Most schwimmen werden.

(Fortsetzung folgt.)




Fritz Anders Von Julius R, Haarhans

> s ist jetzt dreißig Jahre her -- ich war damals, wenn ich nicht irre,
Quartaner -- da fand ich auf dem Weihnachtstisch ein Buch, das
den seltsamen Titel "Der junge Generalstab im Harz" führte. Es
war die Geschichte von vier Schülern aus Leipzig, die unter der
I Leitung eines weitgereisten Oberlehrers eine "Geographische Gesell¬
schaft" gründen und gemeinsam eine wissenschaftliche Expedition zur Erforschung
des Harzes unternehmen, bei der dieses schöne Gebirgsland als eine T'erra inLOWita
betrachtet und durch kartographische Vermessungen, durch geognostische, botanische,
zoologische, ethnographische, historische und volkswirtschaftliche Untersuchungen
gleichsam erst erschlossen wird. Die Fülle des Wissens, die in dem Buche auf-
gespeichert war, war erstaunlich, noch erstaunlicher war jedoch die unterhaltende
Art, mit der der Verfasser dein jungen Leser alle diese Kenntnisse zu vermitteln
verstand, und der köstliche Humor, der die Darstellung von der ersten bis zur
letzten Seite würzte.

Ich glaube, daß ich das Buch ein dutzendmal gelesen habe -- mit steigendem
Respekt vor dem Autor, der in der Mathematik so genau Bescheid wußte wie in
der Mineralogie, und der über den Plesiosaurus ebenso amüsant plauderte wie
über Albrecht den Bären, über die Leimruten der Harzer Vogelfänger, über das
Brockengespenst und über Salzbrezeln. Wer der Verfasser war -- auf den: Titel-
blatte stand der Name Fritz Anders --, danach habe ich nach Knabenart nie
gefragt; wenn ich den Namen wirklich gelesen habe, so habe ich ihn jedenfalls
sehr bald wieder vergessen.


Fritz Anders

Sintflut. Mit roten Füßen und Händen stapften die Winzer, ein Märchenbild
der Weinlese. Wo aber war die Fröhlichkeit? Es war eine Weinlese mit Tränen,
mit Schmerz, mit Wehklagen.

Der blinde Joachim tastete durch die Straßen und predigte mit lauter Stimme:
„Und die Kelter ward aus der Stadt getreten, und das Blut ging von der Kelter
bis an die Zäume der Pferde durch tausendsechshundert Feld WegesI"

Wahnsinn kam über die Menschen.

Gaston! Wer behauptet, daß du ein Prahler seiest, der luget Denn so ist
deine Heimat: dort fließt von den Bergen der Most, dort rinnt in den Brunnen
der echte Wein, noch mehr, dort rinnt der Wein in der Gosse, über die schmutzige
Straße, bespült die Sockel der Häuser, als wären sie in Blut gebadet!

Und die Menschen, die sahen, wie sich das Herz der Erde nutzlos verbluten
mußte, schrien auf in ihrer Seelenqual, und es war ein Klagen und ein Zähne-
knirschen, als ob sie sich selbst die Adern geöffnet hätten und ihr Leben sinnlos in
den Staub rinnen sähen.

Denn es ist die Zeit, von der die Propheten sagen, daß der Wein von den
Bergen triefen und die Hügel in Most schwimmen werden.

(Fortsetzung folgt.)




Fritz Anders Von Julius R, Haarhans

> s ist jetzt dreißig Jahre her — ich war damals, wenn ich nicht irre,
Quartaner — da fand ich auf dem Weihnachtstisch ein Buch, das
den seltsamen Titel „Der junge Generalstab im Harz" führte. Es
war die Geschichte von vier Schülern aus Leipzig, die unter der
I Leitung eines weitgereisten Oberlehrers eine „Geographische Gesell¬
schaft" gründen und gemeinsam eine wissenschaftliche Expedition zur Erforschung
des Harzes unternehmen, bei der dieses schöne Gebirgsland als eine T'erra inLOWita
betrachtet und durch kartographische Vermessungen, durch geognostische, botanische,
zoologische, ethnographische, historische und volkswirtschaftliche Untersuchungen
gleichsam erst erschlossen wird. Die Fülle des Wissens, die in dem Buche auf-
gespeichert war, war erstaunlich, noch erstaunlicher war jedoch die unterhaltende
Art, mit der der Verfasser dein jungen Leser alle diese Kenntnisse zu vermitteln
verstand, und der köstliche Humor, der die Darstellung von der ersten bis zur
letzten Seite würzte.

Ich glaube, daß ich das Buch ein dutzendmal gelesen habe — mit steigendem
Respekt vor dem Autor, der in der Mathematik so genau Bescheid wußte wie in
der Mineralogie, und der über den Plesiosaurus ebenso amüsant plauderte wie
über Albrecht den Bären, über die Leimruten der Harzer Vogelfänger, über das
Brockengespenst und über Salzbrezeln. Wer der Verfasser war — auf den: Titel-
blatte stand der Name Fritz Anders —, danach habe ich nach Knabenart nie
gefragt; wenn ich den Namen wirklich gelesen habe, so habe ich ihn jedenfalls
sehr bald wieder vergessen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/87>, abgerufen am 26.05.2024.