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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der rote Rausch

Erde! Aber die Blicke der Beschenkten waren finster, ihre Mienen waren düster,
und ihre Lippen wußten nichts von Dank. Kein Winzerhorn ertönte, kein Lachen
flatterte auf, keine Freude jauchzte. Keine gotterfüllte Prozession ging mit Glocken¬
klang und frommem Sang hinter dem weitzgoldenen Baldachin einher, kein
Amethystwölkchen aus getriebenen Silberfäßchen stieg ins blaue Himmelsgewölbe,
dort von unsichtbaren Händen gnädig empfangen zu werden. Wohl wurden im
dumpfen Kämmerlein Gebete gemurmelt, fromme Weiblein huschten wie graue
Schatten in den dunkelnden Kirchenraum, ein Opferkerzlein anzuzünden und auf
den gemeißelten Steinen zu hocken, ein zusammengesunkenes Häuflein Elend.
Mehr aber als Gebete waren es Seufzer, Flüche, Verwünschungen, die sich aus
händeringenden Seelen hervorpreßten.

Der Wein konnte nicht länger am Weinstock warten, er war überreif, und so
schritt man lässig, widerwillig, aus bloß mechanischer Gewohnheit an die Lese.
Hatte man je ein so trauriges Fest gesehen? Kein Tanz, kein Schwärmen, kein
Mummenschanz, kein Laut des Frohsinns!

Und nun rann wieder in Strömen der süße Most von den Bergen, eine
drängende Flut, die nicht gestaut werden konnte, sondern die herrisch an die
Kellertüren pochte, dem alten Wein zurief: He, erheb dich, alter Faulpelz! Mach
Platz! Nun ist das Lager unser!

Das Schicksal wollte sich erfüllen.

O, über diese Herren Makler! Diese verruchten Priester und Tempeldiener
des Götzen, des filzigen, schnöden Mammons!

Fünf zum Letzten!

Fünfundvierzig zum Letzten!

Dann möge ihn die Erde saufen!

Meine Herren, kein Angebot mehr?

Fünf, auch nicht fünf?

Nein, auch nicht fünf!

Also möge ihn die Erde saufen!

Und diese Stunde schlug.

Die Fässer wurden geöffnet, und der Wein lief über die Straßen. Die Erde
war durstig und trank und trank, bis sie einen roten Mund hatte über und über
rot vom Wein. Leise gurgelnd sprangen die roten Quellen aus den gemauerten
unterirdischen Kellern, zu den Füßen jedes Hauses sprang ein solcher Quell, und
die Flut stieg bis an die Sockel.

Während der Most von den Hügeln in die Kelter und Bottiche rann, lagen
die ungeheuren weinstrotzenden Fässer am Verbluten. Dieses rote Blut der Erde
rann die Straßen hinab, in die Gossen, Bäche und Flüsse, die sich rot färbten
wie nach einer mörderischen Schlacht, und die Brunnen flössen über rot, rot, rot!
So weit man sah, färbten sich die staubigen Straßen rot und erweichten sich zu
einem Sumpf, der die Luft mit seinen: säuerlichen betäubenden Mein erfüllte. Mit
dem schweren Dunst, der in den Hallen und Gängen von Marcellins allem Wein¬
schloß lagert, nur schwerer, beklemmend, ein Alpdrücken, eine leise Ohnmacht.

Die Keller spien fort und fort dieses rote Blut der Erde, daß es ein Schmerz
war hinzusehen. Wohin man trat, auf den Wegen, in Hausfluren, auf steinernen
Fliesen, bis in die Zimmer hinein liefen die roten Stapfen. Es war wie die


Der rote Rausch

Erde! Aber die Blicke der Beschenkten waren finster, ihre Mienen waren düster,
und ihre Lippen wußten nichts von Dank. Kein Winzerhorn ertönte, kein Lachen
flatterte auf, keine Freude jauchzte. Keine gotterfüllte Prozession ging mit Glocken¬
klang und frommem Sang hinter dem weitzgoldenen Baldachin einher, kein
Amethystwölkchen aus getriebenen Silberfäßchen stieg ins blaue Himmelsgewölbe,
dort von unsichtbaren Händen gnädig empfangen zu werden. Wohl wurden im
dumpfen Kämmerlein Gebete gemurmelt, fromme Weiblein huschten wie graue
Schatten in den dunkelnden Kirchenraum, ein Opferkerzlein anzuzünden und auf
den gemeißelten Steinen zu hocken, ein zusammengesunkenes Häuflein Elend.
Mehr aber als Gebete waren es Seufzer, Flüche, Verwünschungen, die sich aus
händeringenden Seelen hervorpreßten.

Der Wein konnte nicht länger am Weinstock warten, er war überreif, und so
schritt man lässig, widerwillig, aus bloß mechanischer Gewohnheit an die Lese.
Hatte man je ein so trauriges Fest gesehen? Kein Tanz, kein Schwärmen, kein
Mummenschanz, kein Laut des Frohsinns!

Und nun rann wieder in Strömen der süße Most von den Bergen, eine
drängende Flut, die nicht gestaut werden konnte, sondern die herrisch an die
Kellertüren pochte, dem alten Wein zurief: He, erheb dich, alter Faulpelz! Mach
Platz! Nun ist das Lager unser!

Das Schicksal wollte sich erfüllen.

O, über diese Herren Makler! Diese verruchten Priester und Tempeldiener
des Götzen, des filzigen, schnöden Mammons!

Fünf zum Letzten!

Fünfundvierzig zum Letzten!

Dann möge ihn die Erde saufen!

Meine Herren, kein Angebot mehr?

Fünf, auch nicht fünf?

Nein, auch nicht fünf!

Also möge ihn die Erde saufen!

Und diese Stunde schlug.

Die Fässer wurden geöffnet, und der Wein lief über die Straßen. Die Erde
war durstig und trank und trank, bis sie einen roten Mund hatte über und über
rot vom Wein. Leise gurgelnd sprangen die roten Quellen aus den gemauerten
unterirdischen Kellern, zu den Füßen jedes Hauses sprang ein solcher Quell, und
die Flut stieg bis an die Sockel.

Während der Most von den Hügeln in die Kelter und Bottiche rann, lagen
die ungeheuren weinstrotzenden Fässer am Verbluten. Dieses rote Blut der Erde
rann die Straßen hinab, in die Gossen, Bäche und Flüsse, die sich rot färbten
wie nach einer mörderischen Schlacht, und die Brunnen flössen über rot, rot, rot!
So weit man sah, färbten sich die staubigen Straßen rot und erweichten sich zu
einem Sumpf, der die Luft mit seinen: säuerlichen betäubenden Mein erfüllte. Mit
dem schweren Dunst, der in den Hallen und Gängen von Marcellins allem Wein¬
schloß lagert, nur schwerer, beklemmend, ein Alpdrücken, eine leise Ohnmacht.

Die Keller spien fort und fort dieses rote Blut der Erde, daß es ein Schmerz
war hinzusehen. Wohin man trat, auf den Wegen, in Hausfluren, auf steinernen
Fliesen, bis in die Zimmer hinein liefen die roten Stapfen. Es war wie die


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[0086] Der rote Rausch Erde! Aber die Blicke der Beschenkten waren finster, ihre Mienen waren düster, und ihre Lippen wußten nichts von Dank. Kein Winzerhorn ertönte, kein Lachen flatterte auf, keine Freude jauchzte. Keine gotterfüllte Prozession ging mit Glocken¬ klang und frommem Sang hinter dem weitzgoldenen Baldachin einher, kein Amethystwölkchen aus getriebenen Silberfäßchen stieg ins blaue Himmelsgewölbe, dort von unsichtbaren Händen gnädig empfangen zu werden. Wohl wurden im dumpfen Kämmerlein Gebete gemurmelt, fromme Weiblein huschten wie graue Schatten in den dunkelnden Kirchenraum, ein Opferkerzlein anzuzünden und auf den gemeißelten Steinen zu hocken, ein zusammengesunkenes Häuflein Elend. Mehr aber als Gebete waren es Seufzer, Flüche, Verwünschungen, die sich aus händeringenden Seelen hervorpreßten. Der Wein konnte nicht länger am Weinstock warten, er war überreif, und so schritt man lässig, widerwillig, aus bloß mechanischer Gewohnheit an die Lese. Hatte man je ein so trauriges Fest gesehen? Kein Tanz, kein Schwärmen, kein Mummenschanz, kein Laut des Frohsinns! Und nun rann wieder in Strömen der süße Most von den Bergen, eine drängende Flut, die nicht gestaut werden konnte, sondern die herrisch an die Kellertüren pochte, dem alten Wein zurief: He, erheb dich, alter Faulpelz! Mach Platz! Nun ist das Lager unser! Das Schicksal wollte sich erfüllen. O, über diese Herren Makler! Diese verruchten Priester und Tempeldiener des Götzen, des filzigen, schnöden Mammons! Fünf zum Letzten! Fünfundvierzig zum Letzten! Dann möge ihn die Erde saufen! Meine Herren, kein Angebot mehr? Fünf, auch nicht fünf? Nein, auch nicht fünf! Also möge ihn die Erde saufen! Und diese Stunde schlug. Die Fässer wurden geöffnet, und der Wein lief über die Straßen. Die Erde war durstig und trank und trank, bis sie einen roten Mund hatte über und über rot vom Wein. Leise gurgelnd sprangen die roten Quellen aus den gemauerten unterirdischen Kellern, zu den Füßen jedes Hauses sprang ein solcher Quell, und die Flut stieg bis an die Sockel. Während der Most von den Hügeln in die Kelter und Bottiche rann, lagen die ungeheuren weinstrotzenden Fässer am Verbluten. Dieses rote Blut der Erde rann die Straßen hinab, in die Gossen, Bäche und Flüsse, die sich rot färbten wie nach einer mörderischen Schlacht, und die Brunnen flössen über rot, rot, rot! So weit man sah, färbten sich die staubigen Straßen rot und erweichten sich zu einem Sumpf, der die Luft mit seinen: säuerlichen betäubenden Mein erfüllte. Mit dem schweren Dunst, der in den Hallen und Gängen von Marcellins allem Wein¬ schloß lagert, nur schwerer, beklemmend, ein Alpdrücken, eine leise Ohnmacht. Die Keller spien fort und fort dieses rote Blut der Erde, daß es ein Schmerz war hinzusehen. Wohin man trat, auf den Wegen, in Hausfluren, auf steinernen Fliesen, bis in die Zimmer hinein liefen die roten Stapfen. Es war wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/86>, abgerufen am 17.06.2024.