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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Volksdichtungen aus'Lapri

und dadurch zuweilen überraschend neu wirkende Gestalten und Zustände, die den
naiven Leser wie den wissenschaftlich vergleichenden Forscher anziehen und fesseln.
Da glauben wir zunächst Goldmarie und Pechmarie oder Aschenbrödel leibhaftig
vor uns zu sehen, bloß mit anderen Namen und verschiedener Umgebung. Plötzlich
aber wechseln wie im Traume Personen und Umstände: Goldmariechen muß als
Hirtin hinaus in den Wald, um beim Hüten zu spinnen; und die Kühe besorgen
(auf welch sinniger Beobachtung beruht nicht dieses doch vielleicht neue Motiv I)
mit ihren Hörnern die sonst unausführbare Aschenpuddelarbeit. Schließlich wird
sie zur Meerjungfrau, bis der Königsohn kommt und sie aus den Fesseln der
Sirene befreit.

Doch möchten wir keineswegs vorgreifen und weiteres Vergleichen lieber dem
Leser überlassen. Die deutsche Wiedergabe der Märchen habe ich, so gut ich ver¬
mochte, bei treuem Festhalten der ursprünglichen Form, auf den Grimmschen
Volksmärchenton zu stimmen versucht.

Die schöne Katharina.

Es war einmal ein Witwer. Der hatte eine sehr schöne Tochter. Die hieß
Katharina. Und er nahm sich zur Frau eine Witwe, die eine häßliche Tochter
mitbrachte. Und weil diese noch obendrein faul und schmutzig war, mochte niemand
sie leiden. Nicht einmal ihren Namen begehrten die Leute zu wissen. Sie wurde
nur "I^a brutta" (das Scheusal) genannt. Die andere aber, die sich ebenso durch
Tugend als Anmut auszeichnete, war weit und breit als die schöne Katharina
bekannt. Und sie wurde von Tag zu Tag schöner, trotzdem sie als Aschenpuddel
alle grobe Arbeit im Hause verrichten mußte und sonst noch allerlei Drangsal von
ihrer bösen Stiefmutter erfuhr, die oft Unmögliches von ihr verlangte. Eines
Tages wurde Katharina mit drei Rocken Flachs in den Wald geschickt, wo sie die
Kühe hüten und dabei bis zum Abend drei Strähne Garn spinnen sollte. Sie
spann und spann, aber die Rocken wollten nicht leer und die Spulen nicht voll
werden. Da wurde ihr bange, und sie fing an zu weinen. Ein ehrwürdiger
Greis, der des Weges daherkam, grüßte sie freundlich und riet ihr, nachdem er
die Ursache ihrer Tränen erfahren, die Spindeln auf die Hörner der Kühe zu
stecken, die alsbald nun den ganzen Flachs aufspannen und auch noch das Weisen
besorgten.

Auf dem Heimwege sah Katharina unter einem großen Baume drei schöne
Frauen. Die schliefen. Aber die Sonne, die schon schräg stand, schien ihnen
gerade ins Gesicht, und der Schatten, den der Bann anfangs gespendet, war von
.ihnen gewichen.

Da schnitt das mitleidige Mädchen geschwind ein paar dicht belaubte Zweige
vom Baume, breitete sie behutsam über die Schläferinnen und entfernte sich
leise, ohne zu ahnen, daß es drei Feen waren, denen sie den Liebesdienst er¬
wiesen hatte.

Wie die Feen erwachten, riefen sie die schöne Wohltäterin zurück und schenkten
ihr aus Dankbarkeit drei Wundergaben: Öffnete sie den Mund, um Gutes zu
sagen, quollen Blumen hervor. Kanale sie ihr seidenes Haar, rollten Perlen
hernieder. Wusch sie ihre Hände, schwammen prächtige Fischlein, rote, blaue,
grüne und goldene im Wasser.


Volksdichtungen aus'Lapri

und dadurch zuweilen überraschend neu wirkende Gestalten und Zustände, die den
naiven Leser wie den wissenschaftlich vergleichenden Forscher anziehen und fesseln.
Da glauben wir zunächst Goldmarie und Pechmarie oder Aschenbrödel leibhaftig
vor uns zu sehen, bloß mit anderen Namen und verschiedener Umgebung. Plötzlich
aber wechseln wie im Traume Personen und Umstände: Goldmariechen muß als
Hirtin hinaus in den Wald, um beim Hüten zu spinnen; und die Kühe besorgen
(auf welch sinniger Beobachtung beruht nicht dieses doch vielleicht neue Motiv I)
mit ihren Hörnern die sonst unausführbare Aschenpuddelarbeit. Schließlich wird
sie zur Meerjungfrau, bis der Königsohn kommt und sie aus den Fesseln der
Sirene befreit.

Doch möchten wir keineswegs vorgreifen und weiteres Vergleichen lieber dem
Leser überlassen. Die deutsche Wiedergabe der Märchen habe ich, so gut ich ver¬
mochte, bei treuem Festhalten der ursprünglichen Form, auf den Grimmschen
Volksmärchenton zu stimmen versucht.

Die schöne Katharina.

Es war einmal ein Witwer. Der hatte eine sehr schöne Tochter. Die hieß
Katharina. Und er nahm sich zur Frau eine Witwe, die eine häßliche Tochter
mitbrachte. Und weil diese noch obendrein faul und schmutzig war, mochte niemand
sie leiden. Nicht einmal ihren Namen begehrten die Leute zu wissen. Sie wurde
nur „I^a brutta" (das Scheusal) genannt. Die andere aber, die sich ebenso durch
Tugend als Anmut auszeichnete, war weit und breit als die schöne Katharina
bekannt. Und sie wurde von Tag zu Tag schöner, trotzdem sie als Aschenpuddel
alle grobe Arbeit im Hause verrichten mußte und sonst noch allerlei Drangsal von
ihrer bösen Stiefmutter erfuhr, die oft Unmögliches von ihr verlangte. Eines
Tages wurde Katharina mit drei Rocken Flachs in den Wald geschickt, wo sie die
Kühe hüten und dabei bis zum Abend drei Strähne Garn spinnen sollte. Sie
spann und spann, aber die Rocken wollten nicht leer und die Spulen nicht voll
werden. Da wurde ihr bange, und sie fing an zu weinen. Ein ehrwürdiger
Greis, der des Weges daherkam, grüßte sie freundlich und riet ihr, nachdem er
die Ursache ihrer Tränen erfahren, die Spindeln auf die Hörner der Kühe zu
stecken, die alsbald nun den ganzen Flachs aufspannen und auch noch das Weisen
besorgten.

Auf dem Heimwege sah Katharina unter einem großen Baume drei schöne
Frauen. Die schliefen. Aber die Sonne, die schon schräg stand, schien ihnen
gerade ins Gesicht, und der Schatten, den der Bann anfangs gespendet, war von
.ihnen gewichen.

Da schnitt das mitleidige Mädchen geschwind ein paar dicht belaubte Zweige
vom Baume, breitete sie behutsam über die Schläferinnen und entfernte sich
leise, ohne zu ahnen, daß es drei Feen waren, denen sie den Liebesdienst er¬
wiesen hatte.

Wie die Feen erwachten, riefen sie die schöne Wohltäterin zurück und schenkten
ihr aus Dankbarkeit drei Wundergaben: Öffnete sie den Mund, um Gutes zu
sagen, quollen Blumen hervor. Kanale sie ihr seidenes Haar, rollten Perlen
hernieder. Wusch sie ihre Hände, schwammen prächtige Fischlein, rote, blaue,
grüne und goldene im Wasser.


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[0550] Volksdichtungen aus'Lapri und dadurch zuweilen überraschend neu wirkende Gestalten und Zustände, die den naiven Leser wie den wissenschaftlich vergleichenden Forscher anziehen und fesseln. Da glauben wir zunächst Goldmarie und Pechmarie oder Aschenbrödel leibhaftig vor uns zu sehen, bloß mit anderen Namen und verschiedener Umgebung. Plötzlich aber wechseln wie im Traume Personen und Umstände: Goldmariechen muß als Hirtin hinaus in den Wald, um beim Hüten zu spinnen; und die Kühe besorgen (auf welch sinniger Beobachtung beruht nicht dieses doch vielleicht neue Motiv I) mit ihren Hörnern die sonst unausführbare Aschenpuddelarbeit. Schließlich wird sie zur Meerjungfrau, bis der Königsohn kommt und sie aus den Fesseln der Sirene befreit. Doch möchten wir keineswegs vorgreifen und weiteres Vergleichen lieber dem Leser überlassen. Die deutsche Wiedergabe der Märchen habe ich, so gut ich ver¬ mochte, bei treuem Festhalten der ursprünglichen Form, auf den Grimmschen Volksmärchenton zu stimmen versucht. Die schöne Katharina. Es war einmal ein Witwer. Der hatte eine sehr schöne Tochter. Die hieß Katharina. Und er nahm sich zur Frau eine Witwe, die eine häßliche Tochter mitbrachte. Und weil diese noch obendrein faul und schmutzig war, mochte niemand sie leiden. Nicht einmal ihren Namen begehrten die Leute zu wissen. Sie wurde nur „I^a brutta" (das Scheusal) genannt. Die andere aber, die sich ebenso durch Tugend als Anmut auszeichnete, war weit und breit als die schöne Katharina bekannt. Und sie wurde von Tag zu Tag schöner, trotzdem sie als Aschenpuddel alle grobe Arbeit im Hause verrichten mußte und sonst noch allerlei Drangsal von ihrer bösen Stiefmutter erfuhr, die oft Unmögliches von ihr verlangte. Eines Tages wurde Katharina mit drei Rocken Flachs in den Wald geschickt, wo sie die Kühe hüten und dabei bis zum Abend drei Strähne Garn spinnen sollte. Sie spann und spann, aber die Rocken wollten nicht leer und die Spulen nicht voll werden. Da wurde ihr bange, und sie fing an zu weinen. Ein ehrwürdiger Greis, der des Weges daherkam, grüßte sie freundlich und riet ihr, nachdem er die Ursache ihrer Tränen erfahren, die Spindeln auf die Hörner der Kühe zu stecken, die alsbald nun den ganzen Flachs aufspannen und auch noch das Weisen besorgten. Auf dem Heimwege sah Katharina unter einem großen Baume drei schöne Frauen. Die schliefen. Aber die Sonne, die schon schräg stand, schien ihnen gerade ins Gesicht, und der Schatten, den der Bann anfangs gespendet, war von .ihnen gewichen. Da schnitt das mitleidige Mädchen geschwind ein paar dicht belaubte Zweige vom Baume, breitete sie behutsam über die Schläferinnen und entfernte sich leise, ohne zu ahnen, daß es drei Feen waren, denen sie den Liebesdienst er¬ wiesen hatte. Wie die Feen erwachten, riefen sie die schöne Wohltäterin zurück und schenkten ihr aus Dankbarkeit drei Wundergaben: Öffnete sie den Mund, um Gutes zu sagen, quollen Blumen hervor. Kanale sie ihr seidenes Haar, rollten Perlen hernieder. Wusch sie ihre Hände, schwammen prächtige Fischlein, rote, blaue, grüne und goldene im Wasser.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/550>, abgerufen am 06.05.2024.