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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Aönig
Lin Gedenkblatt an Friedrich den Großen
von Engen Aalkschmidt-

.MWoder schlägt uns das Herz, wenn wir seiner gedenken. Es war
ein ganz großer Tag der Geschichte, jener Geburtstag vor zwei¬
hundert Jahren, ein Feiertag für alles, was mit deutscher Zunge
spricht, ein ungesehenes Ereignis für die Welt.

Dem schlichtbürgerlichen Preußenkönig wird ein Genie in die
Wiege gelegt, und Friedrich Wilhelm der Erste jammert: "Gott bewahre alle
ehrlichen Leute vor ungeratene Kinder. Es ist ein groß eliaA-um, doch ich habe
vor Gott und der Welt ein reines Gewissen. Ich habe vermahnet, ich habe
gestrafet mit Güte und mit Gnat. Es hat alles uns geholfen." Um ein Haar
hätte er das ungeratene Kind füsilieren lassen. "Der böse Mensch", so nennt
ihn der eigene Vater. "Gott gebe, daß er nicht unter Henkers Hände komme!"

Was war aber auch von einem jungen Manne zu erwarten, der heute in
der Bezechtheit seinem Vater die heftigsten Liebesbeteueruugen machte, ihm die
Hände küßte, ihn umarmte, alsbald aber wieder in eine melancholische und
hochmütige Widerspenstigkeit verfiel und heimlich ausreißen wollte. Ein Zweifler
und schlechter Christ war er, der an die Vorherbestimmung glaubte und es für
zwecklos ansah, gegen das Böse anzukämpfen. Ein dilettierender Schöngeist,
einer, der sich rühmte, in zwei Stunden hundert Verse zu machen, und der
weder General sein noch Krieg führen, sondern sein Volk durch seine Minister
glücklich machen wollte -- so einer war dieser preußische Kronprinz.

Beharrlich schwieg er, wenn der Herr Vater mit seinen Generals auf der
Jagd oder im Tabakskollegium die leidlich rauhen Soldatenscherze auskostete.
Gelangweilt studierte er die Bilder an den Wänden, die Bildnisse darunter, die


Grenzboten I 191220


Der Aönig
Lin Gedenkblatt an Friedrich den Großen
von Engen Aalkschmidt-

.MWoder schlägt uns das Herz, wenn wir seiner gedenken. Es war
ein ganz großer Tag der Geschichte, jener Geburtstag vor zwei¬
hundert Jahren, ein Feiertag für alles, was mit deutscher Zunge
spricht, ein ungesehenes Ereignis für die Welt.

Dem schlichtbürgerlichen Preußenkönig wird ein Genie in die
Wiege gelegt, und Friedrich Wilhelm der Erste jammert: „Gott bewahre alle
ehrlichen Leute vor ungeratene Kinder. Es ist ein groß eliaA-um, doch ich habe
vor Gott und der Welt ein reines Gewissen. Ich habe vermahnet, ich habe
gestrafet mit Güte und mit Gnat. Es hat alles uns geholfen." Um ein Haar
hätte er das ungeratene Kind füsilieren lassen. „Der böse Mensch", so nennt
ihn der eigene Vater. „Gott gebe, daß er nicht unter Henkers Hände komme!"

Was war aber auch von einem jungen Manne zu erwarten, der heute in
der Bezechtheit seinem Vater die heftigsten Liebesbeteueruugen machte, ihm die
Hände küßte, ihn umarmte, alsbald aber wieder in eine melancholische und
hochmütige Widerspenstigkeit verfiel und heimlich ausreißen wollte. Ein Zweifler
und schlechter Christ war er, der an die Vorherbestimmung glaubte und es für
zwecklos ansah, gegen das Böse anzukämpfen. Ein dilettierender Schöngeist,
einer, der sich rühmte, in zwei Stunden hundert Verse zu machen, und der
weder General sein noch Krieg führen, sondern sein Volk durch seine Minister
glücklich machen wollte — so einer war dieser preußische Kronprinz.

Beharrlich schwieg er, wenn der Herr Vater mit seinen Generals auf der
Jagd oder im Tabakskollegium die leidlich rauhen Soldatenscherze auskostete.
Gelangweilt studierte er die Bilder an den Wänden, die Bildnisse darunter, die


Grenzboten I 191220
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[0161] [Abbildung] Der Aönig Lin Gedenkblatt an Friedrich den Großen von Engen Aalkschmidt- .MWoder schlägt uns das Herz, wenn wir seiner gedenken. Es war ein ganz großer Tag der Geschichte, jener Geburtstag vor zwei¬ hundert Jahren, ein Feiertag für alles, was mit deutscher Zunge spricht, ein ungesehenes Ereignis für die Welt. Dem schlichtbürgerlichen Preußenkönig wird ein Genie in die Wiege gelegt, und Friedrich Wilhelm der Erste jammert: „Gott bewahre alle ehrlichen Leute vor ungeratene Kinder. Es ist ein groß eliaA-um, doch ich habe vor Gott und der Welt ein reines Gewissen. Ich habe vermahnet, ich habe gestrafet mit Güte und mit Gnat. Es hat alles uns geholfen." Um ein Haar hätte er das ungeratene Kind füsilieren lassen. „Der böse Mensch", so nennt ihn der eigene Vater. „Gott gebe, daß er nicht unter Henkers Hände komme!" Was war aber auch von einem jungen Manne zu erwarten, der heute in der Bezechtheit seinem Vater die heftigsten Liebesbeteueruugen machte, ihm die Hände küßte, ihn umarmte, alsbald aber wieder in eine melancholische und hochmütige Widerspenstigkeit verfiel und heimlich ausreißen wollte. Ein Zweifler und schlechter Christ war er, der an die Vorherbestimmung glaubte und es für zwecklos ansah, gegen das Böse anzukämpfen. Ein dilettierender Schöngeist, einer, der sich rühmte, in zwei Stunden hundert Verse zu machen, und der weder General sein noch Krieg führen, sondern sein Volk durch seine Minister glücklich machen wollte — so einer war dieser preußische Kronprinz. Beharrlich schwieg er, wenn der Herr Vater mit seinen Generals auf der Jagd oder im Tabakskollegium die leidlich rauhen Soldatenscherze auskostete. Gelangweilt studierte er die Bilder an den Wänden, die Bildnisse darunter, die Grenzboten I 191220

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/161>, abgerufen am 29.04.2024.