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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der König

schmerzverzerrten, die des Soldatenkönigs höchst eigene derbe Faust in Stunden
der bösen Gicht schlecht und recht heruntergemalt hatte. Welch eine Barbarei
dem kennerischen Auge, das den zarten Farbenschmelz der Hofmaler von Ver¬
sailles mit Bewunderung in sich aufgenommen hatte. Was für eine Sprache,
diese armselige deutsche Muttersprache! Wie viel scharfe Konsonanten, welch ein
degoutantes Gemisch fremder Brocken und einheimischer Plattheiten! In der
Poesie -- was für eine Öde! Wie anders klangen da die französischen Verse
dem geschulten Ohre!

Denn -- so höhnte der Vater ingrimmig -- "die Grenadiers sind doch,
nach deiner Meinung, nur L-maIIIe8, aber ein petit-ma?ti'e ein Französchen,
ein bon not, ein Musiquechen und Komödiantchen, das scheint was Nobleres,
das ist was Königlicheres, das ist äiML ä'un prines."

Und als der General Grumbkow diesem Prinzen die Braut annehmbar
zu machen unternahm, da meinte der Einundzwanzigjährige: nur beileibe keine
spröde Tugend, der ein halbes Dutzend Frömmler an der Schürze hängen.
Sie soll nicht das "Wahre Christentum" Johann Arndts. sondern die "Schule
der Ehemänner und der Frauen" auswendig lernen. "Lieber zu frei als zu
tugendhaft".

Wie hatte doch der König erst kürzlich dem Sohne geschrieben? "Modeste
und eingezogen, so müssen die Frauen sein." Dem alten Dessauer, dem er
von einem Besuche in dem sittenlosen Dresden während des Karnevals berichtete,
meinte er: "Gott hat mir bewahret. Die Versuchung fehlet nit." Drei Kreuze
schlägt er hinterher. Denn August der Starke hatte ihm unversehens einen
Zauberspiegel erschlossen, in dem er sehr lebendig nahe sah. was Faust in dem
seinigen nur als blasses Fernbild sehen darf. schroff abgewendet hatte sich
der königliche Gast vor diesem Satyrstreich und seinem Gotte gedankt, als er
draußen war.

Der junge Kronprinz aber behauptete leichtfertig von sich: "Ich habe die
Frauen gern, aber meine Neigungen sind sehr unbeständig. Ich will nur Ver¬
gnügen haben, und auf das Vergnügen folgt die Verachtung. -- -- Nur kein
Weiberregiment in irgend etwas auf Erden!" Das letztere hätte der gestrenge
Herr Vater freilich auch sagen können.

Er ließ dem Sohne Zeit für die Rheinsberger Jahre; gab ihm auch wieder
die entzogenen militärischen Dienstbefugnisse zurück; ließ ihn gewähren, wenn
er flötete und reimte, in langen Briefen an Voltaire und die Schwester Wil¬
helmine in Banreuth sein Herz erleichterte und seinen Witz funkeln ließ. Und
während es um den sparsamen alten Herrn langsam machtet, erhebt sich strahlend
hell das Gestirn des jungen Friedrich.

Das geistige Gestirn einer neuen Zeit. --

Die Menschlichkeit eine Pflicht der Fürsten -- so hatte er an Voltaire
geschneben. Kronprinzenfeuer,- es pflegt im ersten rauhen Hauch der Wirklichkeit
flackernd zu erlöschen. Dieses Feuer aber erlosch nicht.


Der König

schmerzverzerrten, die des Soldatenkönigs höchst eigene derbe Faust in Stunden
der bösen Gicht schlecht und recht heruntergemalt hatte. Welch eine Barbarei
dem kennerischen Auge, das den zarten Farbenschmelz der Hofmaler von Ver¬
sailles mit Bewunderung in sich aufgenommen hatte. Was für eine Sprache,
diese armselige deutsche Muttersprache! Wie viel scharfe Konsonanten, welch ein
degoutantes Gemisch fremder Brocken und einheimischer Plattheiten! In der
Poesie — was für eine Öde! Wie anders klangen da die französischen Verse
dem geschulten Ohre!

Denn — so höhnte der Vater ingrimmig — „die Grenadiers sind doch,
nach deiner Meinung, nur L-maIIIe8, aber ein petit-ma?ti'e ein Französchen,
ein bon not, ein Musiquechen und Komödiantchen, das scheint was Nobleres,
das ist was Königlicheres, das ist äiML ä'un prines."

Und als der General Grumbkow diesem Prinzen die Braut annehmbar
zu machen unternahm, da meinte der Einundzwanzigjährige: nur beileibe keine
spröde Tugend, der ein halbes Dutzend Frömmler an der Schürze hängen.
Sie soll nicht das „Wahre Christentum" Johann Arndts. sondern die „Schule
der Ehemänner und der Frauen" auswendig lernen. „Lieber zu frei als zu
tugendhaft".

Wie hatte doch der König erst kürzlich dem Sohne geschrieben? „Modeste
und eingezogen, so müssen die Frauen sein." Dem alten Dessauer, dem er
von einem Besuche in dem sittenlosen Dresden während des Karnevals berichtete,
meinte er: „Gott hat mir bewahret. Die Versuchung fehlet nit." Drei Kreuze
schlägt er hinterher. Denn August der Starke hatte ihm unversehens einen
Zauberspiegel erschlossen, in dem er sehr lebendig nahe sah. was Faust in dem
seinigen nur als blasses Fernbild sehen darf. schroff abgewendet hatte sich
der königliche Gast vor diesem Satyrstreich und seinem Gotte gedankt, als er
draußen war.

Der junge Kronprinz aber behauptete leichtfertig von sich: „Ich habe die
Frauen gern, aber meine Neigungen sind sehr unbeständig. Ich will nur Ver¬
gnügen haben, und auf das Vergnügen folgt die Verachtung. — — Nur kein
Weiberregiment in irgend etwas auf Erden!" Das letztere hätte der gestrenge
Herr Vater freilich auch sagen können.

Er ließ dem Sohne Zeit für die Rheinsberger Jahre; gab ihm auch wieder
die entzogenen militärischen Dienstbefugnisse zurück; ließ ihn gewähren, wenn
er flötete und reimte, in langen Briefen an Voltaire und die Schwester Wil¬
helmine in Banreuth sein Herz erleichterte und seinen Witz funkeln ließ. Und
während es um den sparsamen alten Herrn langsam machtet, erhebt sich strahlend
hell das Gestirn des jungen Friedrich.

Das geistige Gestirn einer neuen Zeit. —

Die Menschlichkeit eine Pflicht der Fürsten — so hatte er an Voltaire
geschneben. Kronprinzenfeuer,- es pflegt im ersten rauhen Hauch der Wirklichkeit
flackernd zu erlöschen. Dieses Feuer aber erlosch nicht.


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[0162] Der König schmerzverzerrten, die des Soldatenkönigs höchst eigene derbe Faust in Stunden der bösen Gicht schlecht und recht heruntergemalt hatte. Welch eine Barbarei dem kennerischen Auge, das den zarten Farbenschmelz der Hofmaler von Ver¬ sailles mit Bewunderung in sich aufgenommen hatte. Was für eine Sprache, diese armselige deutsche Muttersprache! Wie viel scharfe Konsonanten, welch ein degoutantes Gemisch fremder Brocken und einheimischer Plattheiten! In der Poesie — was für eine Öde! Wie anders klangen da die französischen Verse dem geschulten Ohre! Denn — so höhnte der Vater ingrimmig — „die Grenadiers sind doch, nach deiner Meinung, nur L-maIIIe8, aber ein petit-ma?ti'e ein Französchen, ein bon not, ein Musiquechen und Komödiantchen, das scheint was Nobleres, das ist was Königlicheres, das ist äiML ä'un prines." Und als der General Grumbkow diesem Prinzen die Braut annehmbar zu machen unternahm, da meinte der Einundzwanzigjährige: nur beileibe keine spröde Tugend, der ein halbes Dutzend Frömmler an der Schürze hängen. Sie soll nicht das „Wahre Christentum" Johann Arndts. sondern die „Schule der Ehemänner und der Frauen" auswendig lernen. „Lieber zu frei als zu tugendhaft". Wie hatte doch der König erst kürzlich dem Sohne geschrieben? „Modeste und eingezogen, so müssen die Frauen sein." Dem alten Dessauer, dem er von einem Besuche in dem sittenlosen Dresden während des Karnevals berichtete, meinte er: „Gott hat mir bewahret. Die Versuchung fehlet nit." Drei Kreuze schlägt er hinterher. Denn August der Starke hatte ihm unversehens einen Zauberspiegel erschlossen, in dem er sehr lebendig nahe sah. was Faust in dem seinigen nur als blasses Fernbild sehen darf. schroff abgewendet hatte sich der königliche Gast vor diesem Satyrstreich und seinem Gotte gedankt, als er draußen war. Der junge Kronprinz aber behauptete leichtfertig von sich: „Ich habe die Frauen gern, aber meine Neigungen sind sehr unbeständig. Ich will nur Ver¬ gnügen haben, und auf das Vergnügen folgt die Verachtung. — — Nur kein Weiberregiment in irgend etwas auf Erden!" Das letztere hätte der gestrenge Herr Vater freilich auch sagen können. Er ließ dem Sohne Zeit für die Rheinsberger Jahre; gab ihm auch wieder die entzogenen militärischen Dienstbefugnisse zurück; ließ ihn gewähren, wenn er flötete und reimte, in langen Briefen an Voltaire und die Schwester Wil¬ helmine in Banreuth sein Herz erleichterte und seinen Witz funkeln ließ. Und während es um den sparsamen alten Herrn langsam machtet, erhebt sich strahlend hell das Gestirn des jungen Friedrich. Das geistige Gestirn einer neuen Zeit. — Die Menschlichkeit eine Pflicht der Fürsten — so hatte er an Voltaire geschneben. Kronprinzenfeuer,- es pflegt im ersten rauhen Hauch der Wirklichkeit flackernd zu erlöschen. Dieses Feuer aber erlosch nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/162>, abgerufen am 15.05.2024.