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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

entlassen werde, wie das der Abgeordnete Haußmann vor einiger Zeit im
württembergischen Landtage verlangt hat.

Tatsächlich ist um aber das Vorrecht der Mannschaften mit höherer Schul¬
bildung gar kein reines Bildungsprivileg, sondern zugleich oder vielleicht in erster
Linie ein Privileg des Besitzes, insofern eben -- abgesehen von besonderen
Ausnahmen, die praktisch kaum in Betracht kommen und zu denen namentlich
das Vorrecht der Volksschullehrer gehört -- als das Gesetz betreffend die Ver¬
pflichtung zum Kriegsdienst vom 9. November 1867 ausdrücklich bestimmt, daß
nur solche junge Leute von Bildung, welche sich während ihrer Dienstzeit selbst
bekleiden, ausrüsten und verpflegen, schon nach einjähriger Dienstzeit vom
stehenden Heer zur Reserve beurlaubt werden sollen. Daraus geht deutlich hervor,
daß es sich um ein gemischtes Privileg schon heute handelt, da eben nur der
Besitzende in der Regel in der Lage ist, mit einem Dienstjahre wegzukommen.
Daß dieses Vorrecht auf den gebildeten Besitzenden beschränkt ist, ändert an der
Tatsache nichts, daß schon heute unsere allgemeine Wehrpflicht durch ein Vorrecht
des Besitzes durchbrochen ist, daß wir schon heute eine Art Loskaufsnstem haben,
das allerdings nicht die völlige Befreiung von der Dienstpflicht ermöglicht, aber
doch unter Beschränkung der militärischen Ausbildung auf das allernotwendigste
Maß die Dienstpflicht, die sonst bei der Reiterei sechsunddreißig und bei den
Fußtruppen vierundzwanzig Monate beträgt, auf sechszehn Monate, also auf
44 bzw. 66 Prozent herabsetzt.

Daß die Abschaffung dieser Einrichtung die Kosten unseres Heeres nicht
unerheblich vermehren würde, liegt auf der Hand. Es müßten dann eben auch
die Mannschaften mit höherer Schulbildung auf den Etat übernommen werden
und die Heeresstärke müßte dann entsprechend vermindert oder der Etat ent¬
sprechend erhöht werden. Praktisch ändert das aber an der Tatsache nichts,
daß unsere Einjährig-Freiwilligen-Einrichtung kein reines Bildungsprivileg ist,
vielmehr darauf hinauskommt, daß derjenige, welcher in der Lage ist, die Summe
von etwa 2000 Mark für seine militärische Bekleidung, Ausrüstung und Ver¬
pflegung aufzuwenden, mit einer erheblich geringeren Dienstzeit wegkommt als
der sonstige Dienstpflichtige, sobald er ein gewisses Mindestmaß von Bildung
nachweist. Der entscheidende Punkt bei der Einjährig-Freiwilligen-Einrichtung
ist also heute schon der Besitz und damit ist erwiesen, daß ein Loskaufsystem in
milder Form heute schon in Deutschland besteht.


2. Herabsetzung der Dienstzeit auf ein Jahr oder allgemeine
zweijährige Dienstzeit der Fußtruppen?

Es gibt gegenwärtig eine mächtige Richtung in Deutschland, die den Stand¬
punkt vertritt, daß die aktive Dienstpflicht der deutschen Wehrpflichtigen auf ein
Jahr herabgesetzt werden sollte. Die Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus,
daß, wenn die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen in der Hauptsache ein
Vorrecht des Besitzes sei, wenn die Tatsache bestehe, daß ein intelligenter Volks-


Allgemeine Wehrpflicht und Präsenzstärke

entlassen werde, wie das der Abgeordnete Haußmann vor einiger Zeit im
württembergischen Landtage verlangt hat.

Tatsächlich ist um aber das Vorrecht der Mannschaften mit höherer Schul¬
bildung gar kein reines Bildungsprivileg, sondern zugleich oder vielleicht in erster
Linie ein Privileg des Besitzes, insofern eben — abgesehen von besonderen
Ausnahmen, die praktisch kaum in Betracht kommen und zu denen namentlich
das Vorrecht der Volksschullehrer gehört — als das Gesetz betreffend die Ver¬
pflichtung zum Kriegsdienst vom 9. November 1867 ausdrücklich bestimmt, daß
nur solche junge Leute von Bildung, welche sich während ihrer Dienstzeit selbst
bekleiden, ausrüsten und verpflegen, schon nach einjähriger Dienstzeit vom
stehenden Heer zur Reserve beurlaubt werden sollen. Daraus geht deutlich hervor,
daß es sich um ein gemischtes Privileg schon heute handelt, da eben nur der
Besitzende in der Regel in der Lage ist, mit einem Dienstjahre wegzukommen.
Daß dieses Vorrecht auf den gebildeten Besitzenden beschränkt ist, ändert an der
Tatsache nichts, daß schon heute unsere allgemeine Wehrpflicht durch ein Vorrecht
des Besitzes durchbrochen ist, daß wir schon heute eine Art Loskaufsnstem haben,
das allerdings nicht die völlige Befreiung von der Dienstpflicht ermöglicht, aber
doch unter Beschränkung der militärischen Ausbildung auf das allernotwendigste
Maß die Dienstpflicht, die sonst bei der Reiterei sechsunddreißig und bei den
Fußtruppen vierundzwanzig Monate beträgt, auf sechszehn Monate, also auf
44 bzw. 66 Prozent herabsetzt.

Daß die Abschaffung dieser Einrichtung die Kosten unseres Heeres nicht
unerheblich vermehren würde, liegt auf der Hand. Es müßten dann eben auch
die Mannschaften mit höherer Schulbildung auf den Etat übernommen werden
und die Heeresstärke müßte dann entsprechend vermindert oder der Etat ent¬
sprechend erhöht werden. Praktisch ändert das aber an der Tatsache nichts,
daß unsere Einjährig-Freiwilligen-Einrichtung kein reines Bildungsprivileg ist,
vielmehr darauf hinauskommt, daß derjenige, welcher in der Lage ist, die Summe
von etwa 2000 Mark für seine militärische Bekleidung, Ausrüstung und Ver¬
pflegung aufzuwenden, mit einer erheblich geringeren Dienstzeit wegkommt als
der sonstige Dienstpflichtige, sobald er ein gewisses Mindestmaß von Bildung
nachweist. Der entscheidende Punkt bei der Einjährig-Freiwilligen-Einrichtung
ist also heute schon der Besitz und damit ist erwiesen, daß ein Loskaufsystem in
milder Form heute schon in Deutschland besteht.


2. Herabsetzung der Dienstzeit auf ein Jahr oder allgemeine
zweijährige Dienstzeit der Fußtruppen?

Es gibt gegenwärtig eine mächtige Richtung in Deutschland, die den Stand¬
punkt vertritt, daß die aktive Dienstpflicht der deutschen Wehrpflichtigen auf ein
Jahr herabgesetzt werden sollte. Die Vertreter dieser Ansicht gehen davon aus,
daß, wenn die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen in der Hauptsache ein
Vorrecht des Besitzes sei, wenn die Tatsache bestehe, daß ein intelligenter Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/320>, abgerufen am 29.04.2024.