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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Gin später Derer van Doorn
von Carl Hauptmann
Neuntes Kapitel

Draußen leuchtete der helle Morgen.

Als Hieronymus im Morgengrauen ins Hotelzimmer eingetreten, hatte er
sich, wie er ging und stand, erschöpft übers Bett geworfen. Nun war er aus
einem jachen, gepeinigten Schlafe aufgeschreckt.

Ein Lärm, der den im Schlafe gehetzten Priester noch beängstigender über¬
fallen, hatte ihn ans Fenster getrieben. Fast und zitternd bog er den Vorhang zurück.

Unten auf der Straße stand ein Menschenhauf um ein gefallenes Pferd
gaffend versammelt. Männer schrien, um den: gemarterten Tiere wieder auf
die Beine zu helfen.

Hieronymus kam nicht zu sich. Hart und leer kroch sein Blut in den Adern.

Er starrte nur nieder in das Menschengewühl, ohne sich auf irgend etwas
besinnen zu können. Und starrte dann ewig auf die Kerze vom Nachttisch, die
zu einen: winzigen Stumpf herabgebrannt, noch mit blassem Schemen leuchtete.

In dieser Stunde konnte kein Helfer der Seele rufen.

Ein gewalttätiger, harter Sinn ergriff ihn.

Als er aus dem Hotel ausging, dachte er nicht mehr daran, etwas zu
sich zu nehmen.

Er lief ohne Ziel. Jetzt gleichsam getrieben von der sinnlosen Zerrüttung,
die sein Blut erbarmungslos ausfüllte.

So stand er bald vor einem Waffenladen.

Gewehre waren in schöner Ordnung nebeneinander gestellt. Dolche von
eingelegter Arbeit lagen im Schaufenster ausgebreitet. Revolver hingen zur
Rechten und Linken.

Um Hieronymus klang nur jetzt die freche Stimme des nüchternen Tages.
In feinen Mienen nagte eine stumme, bleiche Rachsucht.

Hieronymus schritt hastig die beiden Stufen in den Waffenladen empor.
Er redete leise und dumpf nur so hin, daß irgendwo ein Forstmann wäre, der
einen dieser kostbaren Revolver brauchte und murmelte höhnisch Worte in die Luft.

Der alte, grauhaarige Waffenschmied war sehr devot vor dem jungen
Geistlichen und war heimlich sehr verwundert.




Gin später Derer van Doorn
von Carl Hauptmann
Neuntes Kapitel

Draußen leuchtete der helle Morgen.

Als Hieronymus im Morgengrauen ins Hotelzimmer eingetreten, hatte er
sich, wie er ging und stand, erschöpft übers Bett geworfen. Nun war er aus
einem jachen, gepeinigten Schlafe aufgeschreckt.

Ein Lärm, der den im Schlafe gehetzten Priester noch beängstigender über¬
fallen, hatte ihn ans Fenster getrieben. Fast und zitternd bog er den Vorhang zurück.

Unten auf der Straße stand ein Menschenhauf um ein gefallenes Pferd
gaffend versammelt. Männer schrien, um den: gemarterten Tiere wieder auf
die Beine zu helfen.

Hieronymus kam nicht zu sich. Hart und leer kroch sein Blut in den Adern.

Er starrte nur nieder in das Menschengewühl, ohne sich auf irgend etwas
besinnen zu können. Und starrte dann ewig auf die Kerze vom Nachttisch, die
zu einen: winzigen Stumpf herabgebrannt, noch mit blassem Schemen leuchtete.

In dieser Stunde konnte kein Helfer der Seele rufen.

Ein gewalttätiger, harter Sinn ergriff ihn.

Als er aus dem Hotel ausging, dachte er nicht mehr daran, etwas zu
sich zu nehmen.

Er lief ohne Ziel. Jetzt gleichsam getrieben von der sinnlosen Zerrüttung,
die sein Blut erbarmungslos ausfüllte.

So stand er bald vor einem Waffenladen.

Gewehre waren in schöner Ordnung nebeneinander gestellt. Dolche von
eingelegter Arbeit lagen im Schaufenster ausgebreitet. Revolver hingen zur
Rechten und Linken.

Um Hieronymus klang nur jetzt die freche Stimme des nüchternen Tages.
In feinen Mienen nagte eine stumme, bleiche Rachsucht.

Hieronymus schritt hastig die beiden Stufen in den Waffenladen empor.
Er redete leise und dumpf nur so hin, daß irgendwo ein Forstmann wäre, der
einen dieser kostbaren Revolver brauchte und murmelte höhnisch Worte in die Luft.

Der alte, grauhaarige Waffenschmied war sehr devot vor dem jungen
Geistlichen und war heimlich sehr verwundert.


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[0340] [Abbildung] Gin später Derer van Doorn von Carl Hauptmann Neuntes Kapitel Draußen leuchtete der helle Morgen. Als Hieronymus im Morgengrauen ins Hotelzimmer eingetreten, hatte er sich, wie er ging und stand, erschöpft übers Bett geworfen. Nun war er aus einem jachen, gepeinigten Schlafe aufgeschreckt. Ein Lärm, der den im Schlafe gehetzten Priester noch beängstigender über¬ fallen, hatte ihn ans Fenster getrieben. Fast und zitternd bog er den Vorhang zurück. Unten auf der Straße stand ein Menschenhauf um ein gefallenes Pferd gaffend versammelt. Männer schrien, um den: gemarterten Tiere wieder auf die Beine zu helfen. Hieronymus kam nicht zu sich. Hart und leer kroch sein Blut in den Adern. Er starrte nur nieder in das Menschengewühl, ohne sich auf irgend etwas besinnen zu können. Und starrte dann ewig auf die Kerze vom Nachttisch, die zu einen: winzigen Stumpf herabgebrannt, noch mit blassem Schemen leuchtete. In dieser Stunde konnte kein Helfer der Seele rufen. Ein gewalttätiger, harter Sinn ergriff ihn. Als er aus dem Hotel ausging, dachte er nicht mehr daran, etwas zu sich zu nehmen. Er lief ohne Ziel. Jetzt gleichsam getrieben von der sinnlosen Zerrüttung, die sein Blut erbarmungslos ausfüllte. So stand er bald vor einem Waffenladen. Gewehre waren in schöner Ordnung nebeneinander gestellt. Dolche von eingelegter Arbeit lagen im Schaufenster ausgebreitet. Revolver hingen zur Rechten und Linken. Um Hieronymus klang nur jetzt die freche Stimme des nüchternen Tages. In feinen Mienen nagte eine stumme, bleiche Rachsucht. Hieronymus schritt hastig die beiden Stufen in den Waffenladen empor. Er redete leise und dumpf nur so hin, daß irgendwo ein Forstmann wäre, der einen dieser kostbaren Revolver brauchte und murmelte höhnisch Worte in die Luft. Der alte, grauhaarige Waffenschmied war sehr devot vor dem jungen Geistlichen und war heimlich sehr verwundert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/340>, abgerufen am 29.04.2024.