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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Auf Conrad Ferdinand Meyers Spuren

Auf (Lonrad Ferdinand Meyers Spuren
Line Reiseskizze von K. Weland

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>"^UÄ-ls im Frühsommer unser Entschluß gefaßt war, die Erholuugs-
I reise vorigen Jahres nach dem Oberengcidin zu richten, erschien uns
Bewohnern des Rheinlandes der Reiseweg über Zürich als der
geeignetste; Zürich, aus dessen Ütliberg wir schon einmal im An¬
gesicht der abendlich erglühenden Schneefirnen unvergeßliche Augen¬
blicke erlebten und in dessen Nähe der vielgeliebte Meister Conrad Ferdinand
gewohnt und geschaffen hatte. Und bald erwuchs aus dein ersten Entschluß
der zweite, bei dieser Gelegenheit des Dichters Wohnort Kilchberg am Züricher
See und die Stätten seiner auf dem heimatlichen Schweizerboden spielenden
Dichtungen aufzusuchen; durften wir doch hoffen, auf diesem Wege den längst¬
vertrauten Gestalten und Vorgängen neues Interesse und greifbares Leben zu
verleihen, gleichzeitig aber auch ihrem unvergeßlichen Schöpfer menschlich näher¬
zukommen.

Rasch trug uns eines Morgens das weißschimmernde stattliche Dampfboot
"Stadt Zürich" nach Bendlikon hinüber, dem traulich am Seegestade ruhenden
Dörfchen mit seinen rosenumrankten Gartenterrassen, und es galt nun, in dem
ans der Höhe liegenden Kilchberg des Dichters Grab und Wohnhaus zu finden.
Für ersteres diente uns der altertümliche Turm: des Kirchleins mit seinen großen
ernsthaften Zifferblättern als Führer; in seinem friedlichen Bereich müsse, so
dachten wir, Conrad Ferdinand Meyer seine Ruhestätte haben. Und so war
es auch. Anfangs zwar, als wir den von weißer Steinmauer umwehrten
Friedhof betraten, schienen wir uns getäuscht zu haben, denn keines der vielen
im reichsten Blumenschmuck prangenden Gräber hob sich aus der Menge der
übrigen als ein besonderes, des Dichters würdiges hervor. Doch als wir
zweifelnd die Kirche umschritten hatten, blieb plötzlich unser Blick wie gebannt
auf dem Gesuchten haften: dunkle Zypressen und zwischen ihnen ein hoher
schlanker Obelisk aus schwarzem Marmor, an dessem Fuße ein bronzener Lorbcer-
kmnz lehnte. schlicht und einfach kündet das Grabmal nur Namen, Geburts¬
und Todestag, darunter die Worte aus dem Johannesevangelium: "Ich lebe
und Ihr sollt auch leben." Während wir noch ernst bewegt standen und
schauten, zwischen uns und dem Grabe ein breites Geviert, überspannen von
des Dichters geliebten "Hausgesellen Eppich", hub plötzlich das Geläut des
Kirchleins zu tönen an:






*) Aus "Reguiem" ton C, A, Meyer.
Auf Conrad Ferdinand Meyers Spuren

Auf (Lonrad Ferdinand Meyers Spuren
Line Reiseskizze von K. Weland

LMM'^
>«^UÄ-ls im Frühsommer unser Entschluß gefaßt war, die Erholuugs-
I reise vorigen Jahres nach dem Oberengcidin zu richten, erschien uns
Bewohnern des Rheinlandes der Reiseweg über Zürich als der
geeignetste; Zürich, aus dessen Ütliberg wir schon einmal im An¬
gesicht der abendlich erglühenden Schneefirnen unvergeßliche Augen¬
blicke erlebten und in dessen Nähe der vielgeliebte Meister Conrad Ferdinand
gewohnt und geschaffen hatte. Und bald erwuchs aus dein ersten Entschluß
der zweite, bei dieser Gelegenheit des Dichters Wohnort Kilchberg am Züricher
See und die Stätten seiner auf dem heimatlichen Schweizerboden spielenden
Dichtungen aufzusuchen; durften wir doch hoffen, auf diesem Wege den längst¬
vertrauten Gestalten und Vorgängen neues Interesse und greifbares Leben zu
verleihen, gleichzeitig aber auch ihrem unvergeßlichen Schöpfer menschlich näher¬
zukommen.

Rasch trug uns eines Morgens das weißschimmernde stattliche Dampfboot
„Stadt Zürich" nach Bendlikon hinüber, dem traulich am Seegestade ruhenden
Dörfchen mit seinen rosenumrankten Gartenterrassen, und es galt nun, in dem
ans der Höhe liegenden Kilchberg des Dichters Grab und Wohnhaus zu finden.
Für ersteres diente uns der altertümliche Turm: des Kirchleins mit seinen großen
ernsthaften Zifferblättern als Führer; in seinem friedlichen Bereich müsse, so
dachten wir, Conrad Ferdinand Meyer seine Ruhestätte haben. Und so war
es auch. Anfangs zwar, als wir den von weißer Steinmauer umwehrten
Friedhof betraten, schienen wir uns getäuscht zu haben, denn keines der vielen
im reichsten Blumenschmuck prangenden Gräber hob sich aus der Menge der
übrigen als ein besonderes, des Dichters würdiges hervor. Doch als wir
zweifelnd die Kirche umschritten hatten, blieb plötzlich unser Blick wie gebannt
auf dem Gesuchten haften: dunkle Zypressen und zwischen ihnen ein hoher
schlanker Obelisk aus schwarzem Marmor, an dessem Fuße ein bronzener Lorbcer-
kmnz lehnte. schlicht und einfach kündet das Grabmal nur Namen, Geburts¬
und Todestag, darunter die Worte aus dem Johannesevangelium: „Ich lebe
und Ihr sollt auch leben." Während wir noch ernst bewegt standen und
schauten, zwischen uns und dem Grabe ein breites Geviert, überspannen von
des Dichters geliebten „Hausgesellen Eppich", hub plötzlich das Geläut des
Kirchleins zu tönen an:






*) Aus „Reguiem" ton C, A, Meyer.
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[0346] Auf Conrad Ferdinand Meyers Spuren Auf (Lonrad Ferdinand Meyers Spuren Line Reiseskizze von K. Weland LMM'^ >«^UÄ-ls im Frühsommer unser Entschluß gefaßt war, die Erholuugs- I reise vorigen Jahres nach dem Oberengcidin zu richten, erschien uns Bewohnern des Rheinlandes der Reiseweg über Zürich als der geeignetste; Zürich, aus dessen Ütliberg wir schon einmal im An¬ gesicht der abendlich erglühenden Schneefirnen unvergeßliche Augen¬ blicke erlebten und in dessen Nähe der vielgeliebte Meister Conrad Ferdinand gewohnt und geschaffen hatte. Und bald erwuchs aus dein ersten Entschluß der zweite, bei dieser Gelegenheit des Dichters Wohnort Kilchberg am Züricher See und die Stätten seiner auf dem heimatlichen Schweizerboden spielenden Dichtungen aufzusuchen; durften wir doch hoffen, auf diesem Wege den längst¬ vertrauten Gestalten und Vorgängen neues Interesse und greifbares Leben zu verleihen, gleichzeitig aber auch ihrem unvergeßlichen Schöpfer menschlich näher¬ zukommen. Rasch trug uns eines Morgens das weißschimmernde stattliche Dampfboot „Stadt Zürich" nach Bendlikon hinüber, dem traulich am Seegestade ruhenden Dörfchen mit seinen rosenumrankten Gartenterrassen, und es galt nun, in dem ans der Höhe liegenden Kilchberg des Dichters Grab und Wohnhaus zu finden. Für ersteres diente uns der altertümliche Turm: des Kirchleins mit seinen großen ernsthaften Zifferblättern als Führer; in seinem friedlichen Bereich müsse, so dachten wir, Conrad Ferdinand Meyer seine Ruhestätte haben. Und so war es auch. Anfangs zwar, als wir den von weißer Steinmauer umwehrten Friedhof betraten, schienen wir uns getäuscht zu haben, denn keines der vielen im reichsten Blumenschmuck prangenden Gräber hob sich aus der Menge der übrigen als ein besonderes, des Dichters würdiges hervor. Doch als wir zweifelnd die Kirche umschritten hatten, blieb plötzlich unser Blick wie gebannt auf dem Gesuchten haften: dunkle Zypressen und zwischen ihnen ein hoher schlanker Obelisk aus schwarzem Marmor, an dessem Fuße ein bronzener Lorbcer- kmnz lehnte. schlicht und einfach kündet das Grabmal nur Namen, Geburts¬ und Todestag, darunter die Worte aus dem Johannesevangelium: „Ich lebe und Ihr sollt auch leben." Während wir noch ernst bewegt standen und schauten, zwischen uns und dem Grabe ein breites Geviert, überspannen von des Dichters geliebten „Hausgesellen Eppich", hub plötzlich das Geläut des Kirchleins zu tönen an: *) Aus „Reguiem" ton C, A, Meyer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/346>, abgerufen am 29.04.2024.