Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Später Derer van Doorn

Er warf die Kleider über.

Er floh in die Morgenluft.

Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat.

Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar
weiß geworden. n




An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬
nymus zum Bischof gefahren.

Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen
bis ins Innerste erschrocken. Er mußte sich lange bemühen, Sinn in Hieronymus
gehetzte Worte zu bringen.

Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die
irdischen Spuren der begangenen Verbrechen noch vor dem völligen Ruchbar¬
werden auszutilgen.

Das ist ihm auch unschwer gelungen.

Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt,
wodurch die gräuliche Sündenlast langsam gebüßt werden sollte.

Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬
schlößchen einkehrten und am Strande entlangritten, hatten sie bald den Pfarrer
des Dorfes begegnet.

Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen.

Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch
mit scheuer Gebärde, und als wenn er vor dem Glänze der Höllenkönigin auf
der Hut wäre, an ihnen vorübergehastet.

Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem
Hunger nach Reinheit, einen ganz in sich Gelehrten und Verzehrten, der nnr
immer neu die heimlichen Qualen niederrang.

Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen-
schande geworden, von der ihn kein Bischof und keine irdische Sündenvergebung
mehr löste, einer, der die heiße, heilige Anklammerung an die Verheißung der
göttlichen Gnade nur lebte und litt, wie eine flüchtige Spanne Heil in der
Jagd seiner immer neu aufwachsenden Gewissenspein.

Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage
die Fischersleute in der Dorfkirche vergeblich auf Hieronymus gewartet. Er
war nicht vor dem Altar erschienen. Wie man ins Pfarrhaus eindrang, fand
man ihn halb entblößt, den Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, in seinem
Schlafzimmer vor dem Kreuze erstarrt auf der Diele liegen, mitten aus der
Inbrunst seiner Zerknirschung mit sanfter Hand in die ewige Ruhe gebettet.




Grenzboten I 19124L
Ein Später Derer van Doorn

Er warf die Kleider über.

Er floh in die Morgenluft.

Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat.

Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar
weiß geworden. n




An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬
nymus zum Bischof gefahren.

Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen
bis ins Innerste erschrocken. Er mußte sich lange bemühen, Sinn in Hieronymus
gehetzte Worte zu bringen.

Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die
irdischen Spuren der begangenen Verbrechen noch vor dem völligen Ruchbar¬
werden auszutilgen.

Das ist ihm auch unschwer gelungen.

Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt,
wodurch die gräuliche Sündenlast langsam gebüßt werden sollte.

Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬
schlößchen einkehrten und am Strande entlangritten, hatten sie bald den Pfarrer
des Dorfes begegnet.

Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen.

Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch
mit scheuer Gebärde, und als wenn er vor dem Glänze der Höllenkönigin auf
der Hut wäre, an ihnen vorübergehastet.

Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem
Hunger nach Reinheit, einen ganz in sich Gelehrten und Verzehrten, der nnr
immer neu die heimlichen Qualen niederrang.

Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen-
schande geworden, von der ihn kein Bischof und keine irdische Sündenvergebung
mehr löste, einer, der die heiße, heilige Anklammerung an die Verheißung der
göttlichen Gnade nur lebte und litt, wie eine flüchtige Spanne Heil in der
Jagd seiner immer neu aufwachsenden Gewissenspein.

Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage
die Fischersleute in der Dorfkirche vergeblich auf Hieronymus gewartet. Er
war nicht vor dem Altar erschienen. Wie man ins Pfarrhaus eindrang, fand
man ihn halb entblößt, den Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, in seinem
Schlafzimmer vor dem Kreuze erstarrt auf der Diele liegen, mitten aus der
Inbrunst seiner Zerknirschung mit sanfter Hand in die ewige Ruhe gebettet.




Grenzboten I 19124L
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320762"/>
            <fw type="header" place="top"> Ein Später Derer van Doorn</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1454"> Er warf die Kleider über.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1455"> Er floh in die Morgenluft.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1456"> Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1457"> Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar<lb/>
weiß geworden. n</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1458"> An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬<lb/>
nymus zum Bischof gefahren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1459"> Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen<lb/>
bis ins Innerste erschrocken. Er mußte sich lange bemühen, Sinn in Hieronymus<lb/>
gehetzte Worte zu bringen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1460"> Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die<lb/>
irdischen Spuren der begangenen Verbrechen noch vor dem völligen Ruchbar¬<lb/>
werden auszutilgen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1461"> Das ist ihm auch unschwer gelungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1462"> Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt,<lb/>
wodurch die gräuliche Sündenlast langsam gebüßt werden sollte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1463"> Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬<lb/>
schlößchen einkehrten und am Strande entlangritten, hatten sie bald den Pfarrer<lb/>
des Dorfes begegnet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1464"> Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1465"> Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch<lb/>
mit scheuer Gebärde, und als wenn er vor dem Glänze der Höllenkönigin auf<lb/>
der Hut wäre, an ihnen vorübergehastet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1466"> Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem<lb/>
Hunger nach Reinheit, einen ganz in sich Gelehrten und Verzehrten, der nnr<lb/>
immer neu die heimlichen Qualen niederrang.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1467"> Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen-<lb/>
schande geworden, von der ihn kein Bischof und keine irdische Sündenvergebung<lb/>
mehr löste, einer, der die heiße, heilige Anklammerung an die Verheißung der<lb/>
göttlichen Gnade nur lebte und litt, wie eine flüchtige Spanne Heil in der<lb/>
Jagd seiner immer neu aufwachsenden Gewissenspein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1468"> Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage<lb/>
die Fischersleute in der Dorfkirche vergeblich auf Hieronymus gewartet. Er<lb/>
war nicht vor dem Altar erschienen. Wie man ins Pfarrhaus eindrang, fand<lb/>
man ihn halb entblößt, den Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, in seinem<lb/>
Schlafzimmer vor dem Kreuze erstarrt auf der Diele liegen, mitten aus der<lb/>
Inbrunst seiner Zerknirschung mit sanfter Hand in die ewige Ruhe gebettet.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 19124L</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] Ein Später Derer van Doorn Er warf die Kleider über. Er floh in die Morgenluft. Er war an demselben Tage schon wieder in der Heimat. Wie er durch sein Dorf schritt, sahen seine Fischersleute, daß sein Haar weiß geworden. n An: anderen Tage nach langen: Fasten und blutiger Kasteiung war Hiero¬ nymus zum Bischof gefahren. Der Kirchenfürst war über den Anblick des zermarterten, vernichteten Menschen bis ins Innerste erschrocken. Er mußte sich lange bemühen, Sinn in Hieronymus gehetzte Worte zu bringen. Wie der würdige Herr alles begriffen hatte, war er zunächst beflissen, die irdischen Spuren der begangenen Verbrechen noch vor dem völligen Ruchbar¬ werden auszutilgen. Das ist ihm auch unschwer gelungen. Und vor allein hatte er Hieronymus tiefe Entwürdigungen auferlegt, wodurch die gräuliche Sündenlast langsam gebüßt werden sollte. Als im beginnenden Frühling Herr und Frau Kroen wieder in ihr Strand¬ schlößchen einkehrten und am Strande entlangritten, hatten sie bald den Pfarrer des Dorfes begegnet. Sie wußten zuerst nicht, ob sie recht gesehen. Aber wie sie ihn mit zutraulichen Gruße grüßten, war der zernagte Mensch mit scheuer Gebärde, und als wenn er vor dem Glänze der Höllenkönigin auf der Hut wäre, an ihnen vorübergehastet. Wer ihn sah, sah einen, der nicht mehr jung schien, nur zerfurcht von dem Hunger nach Reinheit, einen ganz in sich Gelehrten und Verzehrten, der nnr immer neu die heimlichen Qualen niederrang. Jetzt war Hieronymus wirklich ein Gebetsrnfer aus der Tiefe seiner Seelen- schande geworden, von der ihn kein Bischof und keine irdische Sündenvergebung mehr löste, einer, der die heiße, heilige Anklammerung an die Verheißung der göttlichen Gnade nur lebte und litt, wie eine flüchtige Spanne Heil in der Jagd seiner immer neu aufwachsenden Gewissenspein. Eines Tages, ein zwei Jahre nachher, hatten an einem Weihnachstage die Fischersleute in der Dorfkirche vergeblich auf Hieronymus gewartet. Er war nicht vor dem Altar erschienen. Wie man ins Pfarrhaus eindrang, fand man ihn halb entblößt, den Rücken mit blutigen Striemen bedeckt, in seinem Schlafzimmer vor dem Kreuze erstarrt auf der Diele liegen, mitten aus der Inbrunst seiner Zerknirschung mit sanfter Hand in die ewige Ruhe gebettet. Grenzboten I 19124L

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/345>, abgerufen am 15.05.2024.