Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Anregung der preußischen Unterrichtsver¬
waltung vor einigen Jahren, Familien-
Alumnate in kleinen Provinzialstädten zu
errichten, ist noch lange nicht genügend Folge
geleistet worden. Und doch kann die Ab¬
wanderung aus den überkultivierten Ver¬
hältnissen der Großstädte, unter denen die
höhere Schuljugend vielfach so schwer leidet,
in die natürlicheren Verhältnisse derProvinzial"
stadt für die Hebung der gesamten geistigen
Gesundheit gar nicht hoch genug eingeschätzt
werden. Dem Aufwachsen innerhalb natür¬
licherer Lebensbedingungen, der größeren
Ruhe und Stetigkeit des körperlichen, vor
allem doch aber des geistigen Wachstums,
der erhöhten Möglichkeit einer Berücksichtigung
der Individualität, allem diesen gegenüber
sollten Mängel an äußerer Zivilisation in den
kleineren Städten nicht allzu schwer ins Ge¬
wicht fallen. Und je mehr durch Darbietung
jener unleugbaren Vorzüge die Anziehung
der Einzelgymnasien wächst, desto mehr wird
ganz naturgemäß auch jener Mangel beseitigt
werden können, der gar nicht in Abrede ge¬
stellt werden darf, nämlich daß sowohl die
Lehreinrichtungen infolge der geringeren
Mittel nicht überall auf der Höhe stehen als
auch, daß unter den Lehrpersonen vielfach
noch ein unnötig hoher Prozentsatz nicht
auf der Höhe der Leistungsfähigkeit steht.

Und daß man mit der Beseitigung eines
Einzel-Vollgymnasiums einen schwer oder
gar nicht zu ersetzenden Kulturfaktor dem
betreffenden Orte nehmen würde, sollte
auch ernstlich bedacht werden. Denn als
ein solcher ist jene Anstalt durchaus zu
wirken berufen, wenn sie ihre Aufgabe
voll versteht. Die gesunde Weiterentwicklung
also unseres höheren Schulwesens in der hier
angeregten Frage darf nur in der Losung liegen:
Fort auf alle Fälle und so schnell als möglich
mit den Winkelgymnasien, aber Schutz und
Förderung den tapfer kämpfenden Einzel¬
gymnasien.

Gymnasialdirektor Dr. Lorentz-
Justiz und Verwaltung

Die Todesstrafe. Von Oskar Hüring.
Berlin, Verlag von O Häring, 1911. Preis
0,60 M.

[Spaltenumbruch]

Der Entwurf zum zukünftigen Deutschen
Strafgesetzbuch läßt die Todesstrafe in den
Grenzen der bisher geltenden Strafgesetze
bestehen, mildert, insofern er auch beim Mord
mildernde Umstände, erweitert, insofern er
auch beim Totschlag die Möglichkeit der Todes¬
strafe zuläßt. Welches wird die Wirkung dieser
Begrenzung sein? Eine Antwort auf diese
Frage liegt in obiger Broschüre bereits vor.
Sie ist eine Stufenleiter düsterer Prophe¬
zeiungen von der völligen Fruchtlosigkeit der
Todesstrafe, von ihrer Unsittlichkeit bis zur
Vorherverkündigung neuer Mordtaten, die jede
Hinrichtung fortzeugend gebären muß. "Das
geltende Strafgesetzbuch ist eines der schlech¬
testen Gesetze, die je dagewesen sind; schon
die Sprache, in der es verfaßt ist, möchte dem
Können eines angehenden Quartaners Ehre
machen." Jede solche Kritik Pflegt sich auf
subjektive Empfindungen von Sympathie und
Antipathie zu berufen. Vierzig Jahre lang
hat unser Strafgesetzbuch für Recht und Ord¬
nung gesorgt, und es lassen sich berufene Stim¬
men sammeln, die gerade dem Charakter seiner
schlichten, deutschen Sprache ein gutes Prädikat
ausstellen. Roch weniger beweist folgender
Satz: "So ist es Wohl ziemlich sicher, daß
mit der steigenden Sonnenwärme der Monate
die Verbrechen zunehmen. Das ist ja erklärlich,
wie ja auch die Verbrechen häufiger sind in
den heißen Ländern als in den kälteren."
Die Statistik bestätigt dies nicht. Aber hören
wir weiter: "In der heißesten Jahreszeit kommt
zu der steigenden Sonnenwärme die Einwirkung
gewisser Sterne. In der Zeit vom 23. Juli
bis 23. August steht der Sirius im Sternbild
des großen Hundes der Sonne am nächsten.
Wenn auch der hellste und vielleicht der größte
aller Fixsterne viele Billionen Meilen entfernt
ist von der Erde, so ist seine Wirkung dennoch
fühlbar, weil seine Lichtstärke diejenige der
Sonne dreiundsechzigmal übertrifft; ihm ver¬
danken wir die heißeste Jahreszeit, die sog.
Hundstage. Auch der Aldebnran, ein Fixstern
erster Größe aus der Gruppe der Hyaden im
Sternbild des Stieres, soll beträchtliche Einwir¬
kung haben. Namentlich die Zigeuner (a. a. O.
S. 2S) sagen es." Sterne als Ursachen von
Mordtaten und Zigeuner als Kronzeugen wissen¬
schaftlicher Erfahrung I Wer nun nicht über¬
zeugt wird, der ist nicht zu überzeugen. Oitki-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Anregung der preußischen Unterrichtsver¬
waltung vor einigen Jahren, Familien-
Alumnate in kleinen Provinzialstädten zu
errichten, ist noch lange nicht genügend Folge
geleistet worden. Und doch kann die Ab¬
wanderung aus den überkultivierten Ver¬
hältnissen der Großstädte, unter denen die
höhere Schuljugend vielfach so schwer leidet,
in die natürlicheren Verhältnisse derProvinzial«
stadt für die Hebung der gesamten geistigen
Gesundheit gar nicht hoch genug eingeschätzt
werden. Dem Aufwachsen innerhalb natür¬
licherer Lebensbedingungen, der größeren
Ruhe und Stetigkeit des körperlichen, vor
allem doch aber des geistigen Wachstums,
der erhöhten Möglichkeit einer Berücksichtigung
der Individualität, allem diesen gegenüber
sollten Mängel an äußerer Zivilisation in den
kleineren Städten nicht allzu schwer ins Ge¬
wicht fallen. Und je mehr durch Darbietung
jener unleugbaren Vorzüge die Anziehung
der Einzelgymnasien wächst, desto mehr wird
ganz naturgemäß auch jener Mangel beseitigt
werden können, der gar nicht in Abrede ge¬
stellt werden darf, nämlich daß sowohl die
Lehreinrichtungen infolge der geringeren
Mittel nicht überall auf der Höhe stehen als
auch, daß unter den Lehrpersonen vielfach
noch ein unnötig hoher Prozentsatz nicht
auf der Höhe der Leistungsfähigkeit steht.

Und daß man mit der Beseitigung eines
Einzel-Vollgymnasiums einen schwer oder
gar nicht zu ersetzenden Kulturfaktor dem
betreffenden Orte nehmen würde, sollte
auch ernstlich bedacht werden. Denn als
ein solcher ist jene Anstalt durchaus zu
wirken berufen, wenn sie ihre Aufgabe
voll versteht. Die gesunde Weiterentwicklung
also unseres höheren Schulwesens in der hier
angeregten Frage darf nur in der Losung liegen:
Fort auf alle Fälle und so schnell als möglich
mit den Winkelgymnasien, aber Schutz und
Förderung den tapfer kämpfenden Einzel¬
gymnasien.

Gymnasialdirektor Dr. Lorentz-
Justiz und Verwaltung

Die Todesstrafe. Von Oskar Hüring.
Berlin, Verlag von O Häring, 1911. Preis
0,60 M.

[Spaltenumbruch]

Der Entwurf zum zukünftigen Deutschen
Strafgesetzbuch läßt die Todesstrafe in den
Grenzen der bisher geltenden Strafgesetze
bestehen, mildert, insofern er auch beim Mord
mildernde Umstände, erweitert, insofern er
auch beim Totschlag die Möglichkeit der Todes¬
strafe zuläßt. Welches wird die Wirkung dieser
Begrenzung sein? Eine Antwort auf diese
Frage liegt in obiger Broschüre bereits vor.
Sie ist eine Stufenleiter düsterer Prophe¬
zeiungen von der völligen Fruchtlosigkeit der
Todesstrafe, von ihrer Unsittlichkeit bis zur
Vorherverkündigung neuer Mordtaten, die jede
Hinrichtung fortzeugend gebären muß. „Das
geltende Strafgesetzbuch ist eines der schlech¬
testen Gesetze, die je dagewesen sind; schon
die Sprache, in der es verfaßt ist, möchte dem
Können eines angehenden Quartaners Ehre
machen." Jede solche Kritik Pflegt sich auf
subjektive Empfindungen von Sympathie und
Antipathie zu berufen. Vierzig Jahre lang
hat unser Strafgesetzbuch für Recht und Ord¬
nung gesorgt, und es lassen sich berufene Stim¬
men sammeln, die gerade dem Charakter seiner
schlichten, deutschen Sprache ein gutes Prädikat
ausstellen. Roch weniger beweist folgender
Satz: „So ist es Wohl ziemlich sicher, daß
mit der steigenden Sonnenwärme der Monate
die Verbrechen zunehmen. Das ist ja erklärlich,
wie ja auch die Verbrechen häufiger sind in
den heißen Ländern als in den kälteren."
Die Statistik bestätigt dies nicht. Aber hören
wir weiter: „In der heißesten Jahreszeit kommt
zu der steigenden Sonnenwärme die Einwirkung
gewisser Sterne. In der Zeit vom 23. Juli
bis 23. August steht der Sirius im Sternbild
des großen Hundes der Sonne am nächsten.
Wenn auch der hellste und vielleicht der größte
aller Fixsterne viele Billionen Meilen entfernt
ist von der Erde, so ist seine Wirkung dennoch
fühlbar, weil seine Lichtstärke diejenige der
Sonne dreiundsechzigmal übertrifft; ihm ver¬
danken wir die heißeste Jahreszeit, die sog.
Hundstage. Auch der Aldebnran, ein Fixstern
erster Größe aus der Gruppe der Hyaden im
Sternbild des Stieres, soll beträchtliche Einwir¬
kung haben. Namentlich die Zigeuner (a. a. O.
S. 2S) sagen es." Sterne als Ursachen von
Mordtaten und Zigeuner als Kronzeugen wissen¬
schaftlicher Erfahrung I Wer nun nicht über¬
zeugt wird, der ist nicht zu überzeugen. Oitki-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320867"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1901" prev="#ID_1900"> Anregung der preußischen Unterrichtsver¬<lb/>
waltung vor einigen Jahren, Familien-<lb/>
Alumnate in kleinen Provinzialstädten zu<lb/>
errichten, ist noch lange nicht genügend Folge<lb/>
geleistet worden. Und doch kann die Ab¬<lb/>
wanderung aus den überkultivierten Ver¬<lb/>
hältnissen der Großstädte, unter denen die<lb/>
höhere Schuljugend vielfach so schwer leidet,<lb/>
in die natürlicheren Verhältnisse derProvinzial«<lb/>
stadt für die Hebung der gesamten geistigen<lb/>
Gesundheit gar nicht hoch genug eingeschätzt<lb/>
werden. Dem Aufwachsen innerhalb natür¬<lb/>
licherer Lebensbedingungen, der größeren<lb/>
Ruhe und Stetigkeit des körperlichen, vor<lb/>
allem doch aber des geistigen Wachstums,<lb/>
der erhöhten Möglichkeit einer Berücksichtigung<lb/>
der Individualität, allem diesen gegenüber<lb/>
sollten Mängel an äußerer Zivilisation in den<lb/>
kleineren Städten nicht allzu schwer ins Ge¬<lb/>
wicht fallen. Und je mehr durch Darbietung<lb/>
jener unleugbaren Vorzüge die Anziehung<lb/>
der Einzelgymnasien wächst, desto mehr wird<lb/>
ganz naturgemäß auch jener Mangel beseitigt<lb/>
werden können, der gar nicht in Abrede ge¬<lb/>
stellt werden darf, nämlich daß sowohl die<lb/>
Lehreinrichtungen infolge der geringeren<lb/>
Mittel nicht überall auf der Höhe stehen als<lb/>
auch, daß unter den Lehrpersonen vielfach<lb/>
noch ein unnötig hoher Prozentsatz nicht<lb/>
auf der Höhe der Leistungsfähigkeit steht.</p>
            <p xml:id="ID_1902"> Und daß man mit der Beseitigung eines<lb/>
Einzel-Vollgymnasiums einen schwer oder<lb/>
gar nicht zu ersetzenden Kulturfaktor dem<lb/>
betreffenden Orte nehmen würde, sollte<lb/>
auch ernstlich bedacht werden. Denn als<lb/>
ein solcher ist jene Anstalt durchaus zu<lb/>
wirken berufen, wenn sie ihre Aufgabe<lb/>
voll versteht. Die gesunde Weiterentwicklung<lb/>
also unseres höheren Schulwesens in der hier<lb/>
angeregten Frage darf nur in der Losung liegen:<lb/>
Fort auf alle Fälle und so schnell als möglich<lb/>
mit den Winkelgymnasien, aber Schutz und<lb/>
Förderung den tapfer kämpfenden Einzel¬<lb/>
gymnasien.</p>
            <note type="byline"> Gymnasialdirektor Dr. Lorentz-</note>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Justiz und Verwaltung</head>
            <p xml:id="ID_1903"> Die Todesstrafe.  Von Oskar Hüring.<lb/>
Berlin, Verlag von O Häring, 1911. Preis<lb/>
0,60 M.</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1904" next="#ID_1905"> Der Entwurf zum zukünftigen Deutschen<lb/>
Strafgesetzbuch läßt die Todesstrafe in den<lb/>
Grenzen der bisher geltenden Strafgesetze<lb/>
bestehen, mildert, insofern er auch beim Mord<lb/>
mildernde Umstände, erweitert, insofern er<lb/>
auch beim Totschlag die Möglichkeit der Todes¬<lb/>
strafe zuläßt. Welches wird die Wirkung dieser<lb/>
Begrenzung sein? Eine Antwort auf diese<lb/>
Frage liegt in obiger Broschüre bereits vor.<lb/>
Sie ist eine Stufenleiter düsterer Prophe¬<lb/>
zeiungen von der völligen Fruchtlosigkeit der<lb/>
Todesstrafe, von ihrer Unsittlichkeit bis zur<lb/>
Vorherverkündigung neuer Mordtaten, die jede<lb/>
Hinrichtung fortzeugend gebären muß. &#x201E;Das<lb/>
geltende Strafgesetzbuch ist eines der schlech¬<lb/>
testen Gesetze, die je dagewesen sind; schon<lb/>
die Sprache, in der es verfaßt ist, möchte dem<lb/>
Können eines angehenden Quartaners Ehre<lb/>
machen." Jede solche Kritik Pflegt sich auf<lb/>
subjektive Empfindungen von Sympathie und<lb/>
Antipathie zu berufen. Vierzig Jahre lang<lb/>
hat unser Strafgesetzbuch für Recht und Ord¬<lb/>
nung gesorgt, und es lassen sich berufene Stim¬<lb/>
men sammeln, die gerade dem Charakter seiner<lb/>
schlichten, deutschen Sprache ein gutes Prädikat<lb/>
ausstellen. Roch weniger beweist folgender<lb/>
Satz: &#x201E;So ist es Wohl ziemlich sicher, daß<lb/>
mit der steigenden Sonnenwärme der Monate<lb/>
die Verbrechen zunehmen. Das ist ja erklärlich,<lb/>
wie ja auch die Verbrechen häufiger sind in<lb/>
den heißen Ländern als in den kälteren."<lb/>
Die Statistik bestätigt dies nicht. Aber hören<lb/>
wir weiter: &#x201E;In der heißesten Jahreszeit kommt<lb/>
zu der steigenden Sonnenwärme die Einwirkung<lb/>
gewisser Sterne. In der Zeit vom 23. Juli<lb/>
bis 23. August steht der Sirius im Sternbild<lb/>
des großen Hundes der Sonne am nächsten.<lb/>
Wenn auch der hellste und vielleicht der größte<lb/>
aller Fixsterne viele Billionen Meilen entfernt<lb/>
ist von der Erde, so ist seine Wirkung dennoch<lb/>
fühlbar, weil seine Lichtstärke diejenige der<lb/>
Sonne dreiundsechzigmal übertrifft; ihm ver¬<lb/>
danken wir die heißeste Jahreszeit, die sog.<lb/>
Hundstage. Auch der Aldebnran, ein Fixstern<lb/>
erster Größe aus der Gruppe der Hyaden im<lb/>
Sternbild des Stieres, soll beträchtliche Einwir¬<lb/>
kung haben. Namentlich die Zigeuner (a. a. O.<lb/>
S. 2S) sagen es." Sterne als Ursachen von<lb/>
Mordtaten und Zigeuner als Kronzeugen wissen¬<lb/>
schaftlicher Erfahrung I Wer nun nicht über¬<lb/>
zeugt wird, der ist nicht zu überzeugen. Oitki-</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0450] Maßgebliches und Unmaßgebliches Anregung der preußischen Unterrichtsver¬ waltung vor einigen Jahren, Familien- Alumnate in kleinen Provinzialstädten zu errichten, ist noch lange nicht genügend Folge geleistet worden. Und doch kann die Ab¬ wanderung aus den überkultivierten Ver¬ hältnissen der Großstädte, unter denen die höhere Schuljugend vielfach so schwer leidet, in die natürlicheren Verhältnisse derProvinzial« stadt für die Hebung der gesamten geistigen Gesundheit gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dem Aufwachsen innerhalb natür¬ licherer Lebensbedingungen, der größeren Ruhe und Stetigkeit des körperlichen, vor allem doch aber des geistigen Wachstums, der erhöhten Möglichkeit einer Berücksichtigung der Individualität, allem diesen gegenüber sollten Mängel an äußerer Zivilisation in den kleineren Städten nicht allzu schwer ins Ge¬ wicht fallen. Und je mehr durch Darbietung jener unleugbaren Vorzüge die Anziehung der Einzelgymnasien wächst, desto mehr wird ganz naturgemäß auch jener Mangel beseitigt werden können, der gar nicht in Abrede ge¬ stellt werden darf, nämlich daß sowohl die Lehreinrichtungen infolge der geringeren Mittel nicht überall auf der Höhe stehen als auch, daß unter den Lehrpersonen vielfach noch ein unnötig hoher Prozentsatz nicht auf der Höhe der Leistungsfähigkeit steht. Und daß man mit der Beseitigung eines Einzel-Vollgymnasiums einen schwer oder gar nicht zu ersetzenden Kulturfaktor dem betreffenden Orte nehmen würde, sollte auch ernstlich bedacht werden. Denn als ein solcher ist jene Anstalt durchaus zu wirken berufen, wenn sie ihre Aufgabe voll versteht. Die gesunde Weiterentwicklung also unseres höheren Schulwesens in der hier angeregten Frage darf nur in der Losung liegen: Fort auf alle Fälle und so schnell als möglich mit den Winkelgymnasien, aber Schutz und Förderung den tapfer kämpfenden Einzel¬ gymnasien. Gymnasialdirektor Dr. Lorentz- Justiz und Verwaltung Die Todesstrafe. Von Oskar Hüring. Berlin, Verlag von O Häring, 1911. Preis 0,60 M. Der Entwurf zum zukünftigen Deutschen Strafgesetzbuch läßt die Todesstrafe in den Grenzen der bisher geltenden Strafgesetze bestehen, mildert, insofern er auch beim Mord mildernde Umstände, erweitert, insofern er auch beim Totschlag die Möglichkeit der Todes¬ strafe zuläßt. Welches wird die Wirkung dieser Begrenzung sein? Eine Antwort auf diese Frage liegt in obiger Broschüre bereits vor. Sie ist eine Stufenleiter düsterer Prophe¬ zeiungen von der völligen Fruchtlosigkeit der Todesstrafe, von ihrer Unsittlichkeit bis zur Vorherverkündigung neuer Mordtaten, die jede Hinrichtung fortzeugend gebären muß. „Das geltende Strafgesetzbuch ist eines der schlech¬ testen Gesetze, die je dagewesen sind; schon die Sprache, in der es verfaßt ist, möchte dem Können eines angehenden Quartaners Ehre machen." Jede solche Kritik Pflegt sich auf subjektive Empfindungen von Sympathie und Antipathie zu berufen. Vierzig Jahre lang hat unser Strafgesetzbuch für Recht und Ord¬ nung gesorgt, und es lassen sich berufene Stim¬ men sammeln, die gerade dem Charakter seiner schlichten, deutschen Sprache ein gutes Prädikat ausstellen. Roch weniger beweist folgender Satz: „So ist es Wohl ziemlich sicher, daß mit der steigenden Sonnenwärme der Monate die Verbrechen zunehmen. Das ist ja erklärlich, wie ja auch die Verbrechen häufiger sind in den heißen Ländern als in den kälteren." Die Statistik bestätigt dies nicht. Aber hören wir weiter: „In der heißesten Jahreszeit kommt zu der steigenden Sonnenwärme die Einwirkung gewisser Sterne. In der Zeit vom 23. Juli bis 23. August steht der Sirius im Sternbild des großen Hundes der Sonne am nächsten. Wenn auch der hellste und vielleicht der größte aller Fixsterne viele Billionen Meilen entfernt ist von der Erde, so ist seine Wirkung dennoch fühlbar, weil seine Lichtstärke diejenige der Sonne dreiundsechzigmal übertrifft; ihm ver¬ danken wir die heißeste Jahreszeit, die sog. Hundstage. Auch der Aldebnran, ein Fixstern erster Größe aus der Gruppe der Hyaden im Sternbild des Stieres, soll beträchtliche Einwir¬ kung haben. Namentlich die Zigeuner (a. a. O. S. 2S) sagen es." Sterne als Ursachen von Mordtaten und Zigeuner als Kronzeugen wissen¬ schaftlicher Erfahrung I Wer nun nicht über¬ zeugt wird, der ist nicht zu überzeugen. Oitki-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/450
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/450>, abgerufen am 29.04.2024.