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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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40 bis SO in Städten von unter 10000 Ein¬
wohnern befinden. Daß so viele Schüler
immer noch genötigt sind, falls sie nicht
schon in frühem Alter auswärtige Pensionen
aufsuchen wollen, einen Bildungsgang ein¬
zuschlagen, der sehr häufig ihrer eigentlichen
Veranlagung nicht entspricht, ist ein schwer
empfundener Mißstand. Denn tatsächlich
drücken solche ungeeigneten Schüler den
Durchschnitt der Leistungen oft ganz erheblich
herab, und da auch hier das Übel fortzeugend
immer Böses muß gebären, so kommt es je
länger desto häufiger dazu, daß derartige
Anstalten wie ein Magnet auf solche Schüler
anderer Anstalten wirken, die hier nicht recht
vorwärts kommen. Es entsteht denn das,
was in der pädagogischen Literatur heute
immer häufiger unter der anrüchigen Be¬
zeichnung eines "Winkelgyninasiums" zu finden
ist. Zwar davon kann billigerweise abgesehen
werden, daß in den Augen so manches
Kollegen an den großstädtischen "Mannnut-
Anstalten" die Bogriffe Einzelgymnasium und
Winkelgymnasium ohne weiteres identisch sind,
aber vor der Tntsache darf man die Augen
doch nicht verschließen, daß so manches
Eiuzelghmnasium allzu viel Rücksicht auf die¬
jenigen Schüler nimmt, die es ausgesprochener-
maßen nur um der Berechtigungen, um des
Einjährigen- oder des Abiturienten-Scheines
willen besuchen oder vielmehr heimsuchen.
Wenn heute schon von "anerkanntermaßen
minderwertigen höheren Schulen" gesprochen
werden darf, wenn selbst höhere Schul¬
beamte -- was ihnen wahrlich nicht leicht
geworden sein kann -- bekunden, daß das
Schülermaterial gewisser Anstalten "im all¬
gemeinen minderwertiger sei als in anderen
Gymnasien", so liegt ein ganz wesentlicher
Teil der Schuld daran, daß es noch zu viel
Einzelgymnasien gibt. Denn begreiflich ist
es schon, daß, wenn jemand mit einigermaßen
glattem Erfolge das Einjährige "geschafft"
hat, er wegen der größeren Aussichten sür
die Berufswahl sich auch das Primaner-
Zeugnis und womöglich, mit Drangabe einer
längeren Wartezeit, auch das Reifezeugnis
zu erwerben strebt. Die königlichen Anstalten
können ja strenger vorgehen, da sie von einer
größeren oder geringeren Besuchszahl unab¬
hängig sind, die städtischen dagegen werden

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oft nur allzu geneigt sein, durch Herabsetzung
der Anforderungen ihre Anziehung zu er¬
höhen. Und doch bildet die steigende Zahl
der nicht wirklich für wissenschaftliche Bildung
geeigneten Abiturienten, die oft vonrührendstem
Fleiß beseelt, oft von schätzbarster Gemüts¬
und Sinnesart sind, eine recht große Gefahr
für unser gesamtes Volksleben; mit vollem
Recht ist eine leichte Schule ein soziales
Verbrechen genannt worden.

Nun kann in nicht unbeträchtlichen Maße
an den Einzelgymnasien dadurch eine Ab¬
hilfe geschaffen werden, daß man in den
mittleren Klassen statt des Griechischen Ersatz¬
unterricht im Englischen einrichtet. Auf diese
Weise hält man in der Tat ungeeignete
Elemente vom Besuch der drei obersten
Klassen fern. Denn daran muß doch fest¬
gehalten werden, daß die Möglichkeit zu
realistischer Ausbildung an humanistischen
Anstalten nur bis zum Einjährigen Parallel
laufen darf, sonst geht der einheiiliche Cha¬
rakter der Anstalt verloren. So ist denn
auch tatsächlich an einer Reihe von jenen
167 Einzelanstalten Verfahren worden. Wirk¬
sam freilich wird diese Maßregel des Ersatz¬
unterrichts nur dann sein, wenn sie an allen
Einzelgymnnsien ohne Ausnahme durchgeführt
wird. Wo aber infolge streng sachgemäßer
Handhabung die Besuchszahl der drei obersten
Klaffen allzu gering wird, da wird eben nichts
anders übrig bleiben, als die Vollcmstalt in
eine sechsstufige umzuwandeln. In der Tat
ist auch in Preußen im Gegensatz zu den
übrigen Bundesstaaten, trotzdem das' Gym"
nasial-MonoPol gefallen ist, die Zahl der
rein humanistischen Anstalten gegenüber den
realen immer noch viel zu groß.

Wo aber die Lebensfähigkeit trotz der Ab-
Wanderung infolge des Ersatzunterrichts be¬
stehen bleibt, da soll doch ja das Einzelgymna¬
sium auch erhalten bleibe". Ja es soll mit vollem
Recht auch eine Anziehung auf auswärtige
Schüler ausüben, gewiß nicht durch "Unter¬
bietung", durch Erleichterung in der Ge¬
währung seiner Berechtigungen, gegen deren
"Erhitzung" vielmehr auch hier ein ehrlicher,
aber unablässiger Kampf geführt werden soll,
Wohl aber durck die ganz unzweifelhaften
Bordelle, die mit dein Besuch kleinerer
Provinzialnnstalten verbunden sind. Der

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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40 bis SO in Städten von unter 10000 Ein¬
wohnern befinden. Daß so viele Schüler
immer noch genötigt sind, falls sie nicht
schon in frühem Alter auswärtige Pensionen
aufsuchen wollen, einen Bildungsgang ein¬
zuschlagen, der sehr häufig ihrer eigentlichen
Veranlagung nicht entspricht, ist ein schwer
empfundener Mißstand. Denn tatsächlich
drücken solche ungeeigneten Schüler den
Durchschnitt der Leistungen oft ganz erheblich
herab, und da auch hier das Übel fortzeugend
immer Böses muß gebären, so kommt es je
länger desto häufiger dazu, daß derartige
Anstalten wie ein Magnet auf solche Schüler
anderer Anstalten wirken, die hier nicht recht
vorwärts kommen. Es entsteht denn das,
was in der pädagogischen Literatur heute
immer häufiger unter der anrüchigen Be¬
zeichnung eines „Winkelgyninasiums" zu finden
ist. Zwar davon kann billigerweise abgesehen
werden, daß in den Augen so manches
Kollegen an den großstädtischen „Mannnut-
Anstalten" die Bogriffe Einzelgymnasium und
Winkelgymnasium ohne weiteres identisch sind,
aber vor der Tntsache darf man die Augen
doch nicht verschließen, daß so manches
Eiuzelghmnasium allzu viel Rücksicht auf die¬
jenigen Schüler nimmt, die es ausgesprochener-
maßen nur um der Berechtigungen, um des
Einjährigen- oder des Abiturienten-Scheines
willen besuchen oder vielmehr heimsuchen.
Wenn heute schon von „anerkanntermaßen
minderwertigen höheren Schulen" gesprochen
werden darf, wenn selbst höhere Schul¬
beamte — was ihnen wahrlich nicht leicht
geworden sein kann — bekunden, daß das
Schülermaterial gewisser Anstalten „im all¬
gemeinen minderwertiger sei als in anderen
Gymnasien", so liegt ein ganz wesentlicher
Teil der Schuld daran, daß es noch zu viel
Einzelgymnasien gibt. Denn begreiflich ist
es schon, daß, wenn jemand mit einigermaßen
glattem Erfolge das Einjährige „geschafft"
hat, er wegen der größeren Aussichten sür
die Berufswahl sich auch das Primaner-
Zeugnis und womöglich, mit Drangabe einer
längeren Wartezeit, auch das Reifezeugnis
zu erwerben strebt. Die königlichen Anstalten
können ja strenger vorgehen, da sie von einer
größeren oder geringeren Besuchszahl unab¬
hängig sind, die städtischen dagegen werden

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oft nur allzu geneigt sein, durch Herabsetzung
der Anforderungen ihre Anziehung zu er¬
höhen. Und doch bildet die steigende Zahl
der nicht wirklich für wissenschaftliche Bildung
geeigneten Abiturienten, die oft vonrührendstem
Fleiß beseelt, oft von schätzbarster Gemüts¬
und Sinnesart sind, eine recht große Gefahr
für unser gesamtes Volksleben; mit vollem
Recht ist eine leichte Schule ein soziales
Verbrechen genannt worden.

Nun kann in nicht unbeträchtlichen Maße
an den Einzelgymnasien dadurch eine Ab¬
hilfe geschaffen werden, daß man in den
mittleren Klassen statt des Griechischen Ersatz¬
unterricht im Englischen einrichtet. Auf diese
Weise hält man in der Tat ungeeignete
Elemente vom Besuch der drei obersten
Klassen fern. Denn daran muß doch fest¬
gehalten werden, daß die Möglichkeit zu
realistischer Ausbildung an humanistischen
Anstalten nur bis zum Einjährigen Parallel
laufen darf, sonst geht der einheiiliche Cha¬
rakter der Anstalt verloren. So ist denn
auch tatsächlich an einer Reihe von jenen
167 Einzelanstalten Verfahren worden. Wirk¬
sam freilich wird diese Maßregel des Ersatz¬
unterrichts nur dann sein, wenn sie an allen
Einzelgymnnsien ohne Ausnahme durchgeführt
wird. Wo aber infolge streng sachgemäßer
Handhabung die Besuchszahl der drei obersten
Klaffen allzu gering wird, da wird eben nichts
anders übrig bleiben, als die Vollcmstalt in
eine sechsstufige umzuwandeln. In der Tat
ist auch in Preußen im Gegensatz zu den
übrigen Bundesstaaten, trotzdem das' Gym»
nasial-MonoPol gefallen ist, die Zahl der
rein humanistischen Anstalten gegenüber den
realen immer noch viel zu groß.

Wo aber die Lebensfähigkeit trotz der Ab-
Wanderung infolge des Ersatzunterrichts be¬
stehen bleibt, da soll doch ja das Einzelgymna¬
sium auch erhalten bleibe». Ja es soll mit vollem
Recht auch eine Anziehung auf auswärtige
Schüler ausüben, gewiß nicht durch „Unter¬
bietung", durch Erleichterung in der Ge¬
währung seiner Berechtigungen, gegen deren
„Erhitzung" vielmehr auch hier ein ehrlicher,
aber unablässiger Kampf geführt werden soll,
Wohl aber durck die ganz unzweifelhaften
Bordelle, die mit dein Besuch kleinerer
Provinzialnnstalten verbunden sind. Der

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[0449] Maßgebliches und Unmaßgebliches 40 bis SO in Städten von unter 10000 Ein¬ wohnern befinden. Daß so viele Schüler immer noch genötigt sind, falls sie nicht schon in frühem Alter auswärtige Pensionen aufsuchen wollen, einen Bildungsgang ein¬ zuschlagen, der sehr häufig ihrer eigentlichen Veranlagung nicht entspricht, ist ein schwer empfundener Mißstand. Denn tatsächlich drücken solche ungeeigneten Schüler den Durchschnitt der Leistungen oft ganz erheblich herab, und da auch hier das Übel fortzeugend immer Böses muß gebären, so kommt es je länger desto häufiger dazu, daß derartige Anstalten wie ein Magnet auf solche Schüler anderer Anstalten wirken, die hier nicht recht vorwärts kommen. Es entsteht denn das, was in der pädagogischen Literatur heute immer häufiger unter der anrüchigen Be¬ zeichnung eines „Winkelgyninasiums" zu finden ist. Zwar davon kann billigerweise abgesehen werden, daß in den Augen so manches Kollegen an den großstädtischen „Mannnut- Anstalten" die Bogriffe Einzelgymnasium und Winkelgymnasium ohne weiteres identisch sind, aber vor der Tntsache darf man die Augen doch nicht verschließen, daß so manches Eiuzelghmnasium allzu viel Rücksicht auf die¬ jenigen Schüler nimmt, die es ausgesprochener- maßen nur um der Berechtigungen, um des Einjährigen- oder des Abiturienten-Scheines willen besuchen oder vielmehr heimsuchen. Wenn heute schon von „anerkanntermaßen minderwertigen höheren Schulen" gesprochen werden darf, wenn selbst höhere Schul¬ beamte — was ihnen wahrlich nicht leicht geworden sein kann — bekunden, daß das Schülermaterial gewisser Anstalten „im all¬ gemeinen minderwertiger sei als in anderen Gymnasien", so liegt ein ganz wesentlicher Teil der Schuld daran, daß es noch zu viel Einzelgymnasien gibt. Denn begreiflich ist es schon, daß, wenn jemand mit einigermaßen glattem Erfolge das Einjährige „geschafft" hat, er wegen der größeren Aussichten sür die Berufswahl sich auch das Primaner- Zeugnis und womöglich, mit Drangabe einer längeren Wartezeit, auch das Reifezeugnis zu erwerben strebt. Die königlichen Anstalten können ja strenger vorgehen, da sie von einer größeren oder geringeren Besuchszahl unab¬ hängig sind, die städtischen dagegen werden oft nur allzu geneigt sein, durch Herabsetzung der Anforderungen ihre Anziehung zu er¬ höhen. Und doch bildet die steigende Zahl der nicht wirklich für wissenschaftliche Bildung geeigneten Abiturienten, die oft vonrührendstem Fleiß beseelt, oft von schätzbarster Gemüts¬ und Sinnesart sind, eine recht große Gefahr für unser gesamtes Volksleben; mit vollem Recht ist eine leichte Schule ein soziales Verbrechen genannt worden. Nun kann in nicht unbeträchtlichen Maße an den Einzelgymnasien dadurch eine Ab¬ hilfe geschaffen werden, daß man in den mittleren Klassen statt des Griechischen Ersatz¬ unterricht im Englischen einrichtet. Auf diese Weise hält man in der Tat ungeeignete Elemente vom Besuch der drei obersten Klassen fern. Denn daran muß doch fest¬ gehalten werden, daß die Möglichkeit zu realistischer Ausbildung an humanistischen Anstalten nur bis zum Einjährigen Parallel laufen darf, sonst geht der einheiiliche Cha¬ rakter der Anstalt verloren. So ist denn auch tatsächlich an einer Reihe von jenen 167 Einzelanstalten Verfahren worden. Wirk¬ sam freilich wird diese Maßregel des Ersatz¬ unterrichts nur dann sein, wenn sie an allen Einzelgymnnsien ohne Ausnahme durchgeführt wird. Wo aber infolge streng sachgemäßer Handhabung die Besuchszahl der drei obersten Klaffen allzu gering wird, da wird eben nichts anders übrig bleiben, als die Vollcmstalt in eine sechsstufige umzuwandeln. In der Tat ist auch in Preußen im Gegensatz zu den übrigen Bundesstaaten, trotzdem das' Gym» nasial-MonoPol gefallen ist, die Zahl der rein humanistischen Anstalten gegenüber den realen immer noch viel zu groß. Wo aber die Lebensfähigkeit trotz der Ab- Wanderung infolge des Ersatzunterrichts be¬ stehen bleibt, da soll doch ja das Einzelgymna¬ sium auch erhalten bleibe». Ja es soll mit vollem Recht auch eine Anziehung auf auswärtige Schüler ausüben, gewiß nicht durch „Unter¬ bietung", durch Erleichterung in der Ge¬ währung seiner Berechtigungen, gegen deren „Erhitzung" vielmehr auch hier ein ehrlicher, aber unablässiger Kampf geführt werden soll, Wohl aber durck die ganz unzweifelhaften Bordelle, die mit dein Besuch kleinerer Provinzialnnstalten verbunden sind. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/449>, abgerufen am 15.05.2024.