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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Der Glücksgedanke bei Hermann Hesse
von Ol-, Wilhelm hartung

er Schriftsteller Hermann Hesse wird heute zweifellos und mit
Recht zu den besten in Deutschtand gerechnet. Freilich, die ein¬
gefleischter Romanleser greifen nicht zu ihm; ihnen scheinen seine
Romane zu arm an Handlung zu sein, für sie entbehren sie zu
sehr der allein ihr Interesse fesselnden Spannung. Aber trotzdem
hat sich eine reichlich große Gemeinde um ihn geschart, stillem Träumen und
Sinnieren geneigt, die jedes neue Buch von ihm mit aufrichtiger Freude begrüßt.
Denn auch Hesse ist ein solch versonnener Träumer und Lebensphilosoph: er
versteht es nicht nur, die ganze, unendliche Natur vor unserem Auge erstehen
zu lassen, er vermag nicht nur die Jahreszeiten, die Seen und Berge und
Wälder, den Föhn und seine lieben Freunde, die Wolken, in all ihrer Pracht
zu schildern wie kein anderer, er weiß nicht nur all den kleinsten und feinsten
Regungen der menschlichen Seele nachzugehen und sie zu erklären, er besitzt
endlich nicht nur die Fähigkeit, seiner Schilderung den Stempel des Klassizismus
aufzudrücken und sie in einer Sprache voller Formenschönheit und gedrungener
Prägnanz zu geben, sondern er ist Meister genug, alle diese einzelnen Momente
zu verquicken und zu vereinen zur Beantwortung der einen und höchsten Frage,
die Menschen aufgeworfen, der Frage nach dem höchsten aller menschlichen
Güter, er ist Meister genug, alle seine Schöpfungen in der Frage gipfeln zu
lassen: Was ist das Glück, was will, was bedeutet die große Sehnsucht, die
sich in eines jeden fühlenden Menschen Brust regt und die immer und immer
wiederkehrt und den Menschen nicht zur Ruhe gelangen läßt? Das gerade ist
es, was den Hesseschen Schöpfungen ihren wahrsten und innersten Gehalt gibt
und was sie -- so hoffe ich -- nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen wird.

Gleich in seinem ersten größeren Roman, im "Peter Camenzind", schildert
uns der Dichter in der Person des Titelhelden einen solchen Menschen, der
unermüdlich auf der Suche nach dem Glück ist und sich durch Mißerfolge
mancherlei Art nicht abschrecken läßt, immer wieder "aufs neue hinüberzugehen
und noch einmal das Land des Glückes zu suchen". In dem kleinen Berg¬
dörflein Nimikon wächst Peter Camenzind sich selbst überlassen auf und legt
auf den einsamen Wanderungen seiner frühesten Kinderjahre den ersten Grund




Der Glücksgedanke bei Hermann Hesse
von Ol-, Wilhelm hartung

er Schriftsteller Hermann Hesse wird heute zweifellos und mit
Recht zu den besten in Deutschtand gerechnet. Freilich, die ein¬
gefleischter Romanleser greifen nicht zu ihm; ihnen scheinen seine
Romane zu arm an Handlung zu sein, für sie entbehren sie zu
sehr der allein ihr Interesse fesselnden Spannung. Aber trotzdem
hat sich eine reichlich große Gemeinde um ihn geschart, stillem Träumen und
Sinnieren geneigt, die jedes neue Buch von ihm mit aufrichtiger Freude begrüßt.
Denn auch Hesse ist ein solch versonnener Träumer und Lebensphilosoph: er
versteht es nicht nur, die ganze, unendliche Natur vor unserem Auge erstehen
zu lassen, er vermag nicht nur die Jahreszeiten, die Seen und Berge und
Wälder, den Föhn und seine lieben Freunde, die Wolken, in all ihrer Pracht
zu schildern wie kein anderer, er weiß nicht nur all den kleinsten und feinsten
Regungen der menschlichen Seele nachzugehen und sie zu erklären, er besitzt
endlich nicht nur die Fähigkeit, seiner Schilderung den Stempel des Klassizismus
aufzudrücken und sie in einer Sprache voller Formenschönheit und gedrungener
Prägnanz zu geben, sondern er ist Meister genug, alle diese einzelnen Momente
zu verquicken und zu vereinen zur Beantwortung der einen und höchsten Frage,
die Menschen aufgeworfen, der Frage nach dem höchsten aller menschlichen
Güter, er ist Meister genug, alle seine Schöpfungen in der Frage gipfeln zu
lassen: Was ist das Glück, was will, was bedeutet die große Sehnsucht, die
sich in eines jeden fühlenden Menschen Brust regt und die immer und immer
wiederkehrt und den Menschen nicht zur Ruhe gelangen läßt? Das gerade ist
es, was den Hesseschen Schöpfungen ihren wahrsten und innersten Gehalt gibt
und was sie — so hoffe ich — nicht der Vergessenheit anheimfallen lassen wird.

Gleich in seinem ersten größeren Roman, im „Peter Camenzind", schildert
uns der Dichter in der Person des Titelhelden einen solchen Menschen, der
unermüdlich auf der Suche nach dem Glück ist und sich durch Mißerfolge
mancherlei Art nicht abschrecken läßt, immer wieder „aufs neue hinüberzugehen
und noch einmal das Land des Glückes zu suchen". In dem kleinen Berg¬
dörflein Nimikon wächst Peter Camenzind sich selbst überlassen auf und legt
auf den einsamen Wanderungen seiner frühesten Kinderjahre den ersten Grund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/489>, abgerufen am 29.04.2024.