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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

schast, Staat vor und läßt dabei eine Fülle
von Lichtblicken auf bisher vielfach anders
aufgefaßte Erscheinungen, besonders der
homerischen Welt, fallen. Wer sich rasch eine
Überschau über die moderne Betrachtung
dessen verschaffen will, was wir Griechen und
auch Römern verdanken, wird die kleine Schrift
mit vielem Nutzen lesen.

Prof. Dr. Meltzer
Tagesfragen

Der Dilettant. In einem Essay über den
Schriftsteller las ich neulich die oft widerlegte,
deswegen aber noch immer gleich gefürchtete
Verherrlichung des Dilettanten. Nur der
Dilettantismus ist fruchtbar, heißt es da, weil
der Dilettant von seinen Fähigkeiten und seiner
Tätigkeit so gut wie nichts weiß, weil es ihm
niemals in den Sinn kommt, nach seinem
"Können" zu fragen. Er kennt auch keine
"Arbeit". Nur beim Dilettanten decken sich
Mensch und Beruf. Darum ist er auch der
wahre Künstler, welcher unbewußt gleich einem
Schlafwandler sich über Dächer und Türme
setzt, aber herunter fällt, sobald man ihn anruft,
sobald er bewußt wird.

Wir haben all diese Sätze vom Unbewußten
und Unterbewußten des Künstlers, von der
Naivität alles großen Schaffens und von der
Mission des Dilettanten schon so oft gehört,
daß sie uns kaum mehr berühren können.
Goethe war der erste, welcher dieses Loblied
des Dilettantismus sang, aber was er meinte,
war nicht der Dilettant in unserem Sinne,
sondern der Amateur, der Dilectus, den Rudolf
Kaßner in seinem viel zu wenig gelesenen
Büchlein über den Dilettantismus (Frank¬
furt a. M., Rütten und Loening) als den
großen Herrn definiert, welcher die Flöte blies
und glücklich war, sein Leben mit schönen
Dingen zu füllen. Der heutige Dilettant ist
nicht mehr Amateur, sondern er drängt aus
dem Rezeptiven hinaus ins Produktive, macht
aus seiner Vorliebe ein Geschäft. Dreiviertel
unserer heutigen Bücher, Feuilletons, Kritiken,
sogenannte Kunstwerke jeder Art überhaupt
sind Dilettantenarbeit. Der wirkliche Künstler
steht da ein wenig kopfschüttelnd abseits, ärgert
sich ein Wenig, lächelt Wohl auch ein wenig,
wenn in Journal und Zeitschrift das wilde
Heer mit Lob und Verriß sein possierliches
Wesen treibt. Wir sind Wohl heute alle psycho¬

[Spaltenumbruch]

logisch viel zu geschult, um nicht sofort derartige
Definitionen als altes Eisen zu empfinden, das
auch die Hammerschläge eines guten Stils
nicht wieder gebrauchsfähig machen können.
Wer glaubt heute noch an die alte Phrase
der Genialitätsperiode, daß alles Große von
Außenseitern geschah? Das Leben dieser großen
Außenseiter, Robert Mayers etwa, ward uns
seither viel zu gut bekannt, als daß wir sie
noch als Außenseiter empfinden könnten. Sie
waren Vorläufer, in ihrer Zeit noch Unver¬
standene, aber der Weg zu ihrem Ziel war
genau so bewußte Arbeit, äußerste, geregelte,
systematische Anspannung aller Kräfte um eines
Zweckes willen, wie das zu jeder Leistung
erforderlich ist. Und in der Kunst? Dürer,
Lionardo, Goethe und Dante und Shakespeare,
Mozart und Beethoven, das sind alles künst¬
lerische Berufsmenschen, denen jede anders¬
artige Beschäftigung nur eine Quelle mehr
bedeutet, daraus den Strom ihrer künstlerischen
Persönlichkeit zu speisen.

Gewiß, jeder Künstler ist Amateur, ehe er
Künstler wird. Denn ehe jemand schafft,
zeigt er erst Interesse für das Gebiet, auf
welches ihn seine schöpferischen Kräfte hin¬
weisen. Er ist auch in seinen ersten Arbeiten
Dilettant insofern, als seine Fähigkeiten noch
nicht auf der Höhe seiner Absichten stehen, als
er eben zunächst mehr diese Absichten im Auge
hat, als sich des Weges zu ihrer Erfüllung
bewußt ist. Aber Künstler in einem höheren
und höchsten Sinne wird er erst in dem
Augenblicke, wo er vollkommen zu diesem
Bewußtsein gelangt, wo er von seinen Fähig¬
keiten und seiner Tätigkeit immer mehr, so
gut wie alles, weiß, wo er sich in allem
zunächst nach seinem "Können" fragt. Denn
gerade das ist es, was den Künstler vom
Dilettanten unterscheidet, sein Werk im Gegen¬
satz zum Dilettantenwerk zu etwas organisch
in sich Vollendeten macht. Alles andere Gerede
vom Unbewußten, naiven usw. bezieht sich
nicht auf den Künstler an sich, sondern auf
den für die Kunst geeigneten Menschen und
ist, auf das Schöpferische angewendet, nichts
als Geschwätz und Phraseologie.

Man lese Goethes Gespräche, Briefe und
Tagebücher, Balzacs Briefe an Frau Häusla
(soeben in einer schönen deutschen Ausgabe
im Inselverlag herausgekommen und ein
wichtiges Vndemecum für jeden Künstler),

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

schast, Staat vor und läßt dabei eine Fülle
von Lichtblicken auf bisher vielfach anders
aufgefaßte Erscheinungen, besonders der
homerischen Welt, fallen. Wer sich rasch eine
Überschau über die moderne Betrachtung
dessen verschaffen will, was wir Griechen und
auch Römern verdanken, wird die kleine Schrift
mit vielem Nutzen lesen.

Prof. Dr. Meltzer
Tagesfragen

Der Dilettant. In einem Essay über den
Schriftsteller las ich neulich die oft widerlegte,
deswegen aber noch immer gleich gefürchtete
Verherrlichung des Dilettanten. Nur der
Dilettantismus ist fruchtbar, heißt es da, weil
der Dilettant von seinen Fähigkeiten und seiner
Tätigkeit so gut wie nichts weiß, weil es ihm
niemals in den Sinn kommt, nach seinem
„Können" zu fragen. Er kennt auch keine
„Arbeit". Nur beim Dilettanten decken sich
Mensch und Beruf. Darum ist er auch der
wahre Künstler, welcher unbewußt gleich einem
Schlafwandler sich über Dächer und Türme
setzt, aber herunter fällt, sobald man ihn anruft,
sobald er bewußt wird.

Wir haben all diese Sätze vom Unbewußten
und Unterbewußten des Künstlers, von der
Naivität alles großen Schaffens und von der
Mission des Dilettanten schon so oft gehört,
daß sie uns kaum mehr berühren können.
Goethe war der erste, welcher dieses Loblied
des Dilettantismus sang, aber was er meinte,
war nicht der Dilettant in unserem Sinne,
sondern der Amateur, der Dilectus, den Rudolf
Kaßner in seinem viel zu wenig gelesenen
Büchlein über den Dilettantismus (Frank¬
furt a. M., Rütten und Loening) als den
großen Herrn definiert, welcher die Flöte blies
und glücklich war, sein Leben mit schönen
Dingen zu füllen. Der heutige Dilettant ist
nicht mehr Amateur, sondern er drängt aus
dem Rezeptiven hinaus ins Produktive, macht
aus seiner Vorliebe ein Geschäft. Dreiviertel
unserer heutigen Bücher, Feuilletons, Kritiken,
sogenannte Kunstwerke jeder Art überhaupt
sind Dilettantenarbeit. Der wirkliche Künstler
steht da ein wenig kopfschüttelnd abseits, ärgert
sich ein Wenig, lächelt Wohl auch ein wenig,
wenn in Journal und Zeitschrift das wilde
Heer mit Lob und Verriß sein possierliches
Wesen treibt. Wir sind Wohl heute alle psycho¬

[Spaltenumbruch]

logisch viel zu geschult, um nicht sofort derartige
Definitionen als altes Eisen zu empfinden, das
auch die Hammerschläge eines guten Stils
nicht wieder gebrauchsfähig machen können.
Wer glaubt heute noch an die alte Phrase
der Genialitätsperiode, daß alles Große von
Außenseitern geschah? Das Leben dieser großen
Außenseiter, Robert Mayers etwa, ward uns
seither viel zu gut bekannt, als daß wir sie
noch als Außenseiter empfinden könnten. Sie
waren Vorläufer, in ihrer Zeit noch Unver¬
standene, aber der Weg zu ihrem Ziel war
genau so bewußte Arbeit, äußerste, geregelte,
systematische Anspannung aller Kräfte um eines
Zweckes willen, wie das zu jeder Leistung
erforderlich ist. Und in der Kunst? Dürer,
Lionardo, Goethe und Dante und Shakespeare,
Mozart und Beethoven, das sind alles künst¬
lerische Berufsmenschen, denen jede anders¬
artige Beschäftigung nur eine Quelle mehr
bedeutet, daraus den Strom ihrer künstlerischen
Persönlichkeit zu speisen.

Gewiß, jeder Künstler ist Amateur, ehe er
Künstler wird. Denn ehe jemand schafft,
zeigt er erst Interesse für das Gebiet, auf
welches ihn seine schöpferischen Kräfte hin¬
weisen. Er ist auch in seinen ersten Arbeiten
Dilettant insofern, als seine Fähigkeiten noch
nicht auf der Höhe seiner Absichten stehen, als
er eben zunächst mehr diese Absichten im Auge
hat, als sich des Weges zu ihrer Erfüllung
bewußt ist. Aber Künstler in einem höheren
und höchsten Sinne wird er erst in dem
Augenblicke, wo er vollkommen zu diesem
Bewußtsein gelangt, wo er von seinen Fähig¬
keiten und seiner Tätigkeit immer mehr, so
gut wie alles, weiß, wo er sich in allem
zunächst nach seinem „Können" fragt. Denn
gerade das ist es, was den Künstler vom
Dilettanten unterscheidet, sein Werk im Gegen¬
satz zum Dilettantenwerk zu etwas organisch
in sich Vollendeten macht. Alles andere Gerede
vom Unbewußten, naiven usw. bezieht sich
nicht auf den Künstler an sich, sondern auf
den für die Kunst geeigneten Menschen und
ist, auf das Schöpferische angewendet, nichts
als Geschwätz und Phraseologie.

Man lese Goethes Gespräche, Briefe und
Tagebücher, Balzacs Briefe an Frau Häusla
(soeben in einer schönen deutschen Ausgabe
im Inselverlag herausgekommen und ein
wichtiges Vndemecum für jeden Künstler),

[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/587>, abgerufen am 29.04.2024.