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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

man vertiefe sich in die Korrespondenz selbst
eines sogenannten ganz Intuitiven wie Hein¬
rich v. Kleist, in das, was Heine über seine
Lyrik sagt, und man wird überall einen höchst
bewußten, selbstkritischen Kunstverstand am
Werke sehen, der auswählt und verwirft,
ordnet, felle und hämmert und ebenso kühl
in der Kritik am Eigenen wird, wie er hei߬
blütig leidenschaftlich in der Konzeption war.
Für jeden großen Künstler beginnt die schwere
Arbeit erst nach der Intuition.

Das eben scheidet ihn vom Dilettanten
gründlich, und das macht unsere heutige Über¬
flutung mit dem Dilettantismus in ihren
verbreiternden und verflachenden Begleit¬
erscheinungen so überaus gefährlich für die
um sich schon dürftigen Lebensbedingungen
echter Kunst. Der Dilettant hat es ja so
leicht! Für ihn ist die Empfängnis alles, die
Gestaltung nichts. Er hat kein echtes Material
nötig, liegen ihm doch in allen Künsten die
Phrasen und Oberflächlichkeiten, die Allgemein¬
heiten und Posen bequem zur Hand. Sie
sind sein Material, weil er nicht selbst¬
schöpferisch, sondern eben rezeptiv ist, und er
sieht als Schriftsteller etwa gar keine Schwierig¬
keiten darin, den richtigen Ausdruck zu finden,
sondern ist am Ende vielmehr beglückt von
der Überfülle der Worte, die sich zu ihm
drängen und die er kaum zu bewältigen ver¬
mag. Er sieht nicht, wie abgegriffen und
abgenutzt diese Worte sind, wie sie aus anderen
Gedankenverbindungen herstammen und sich
mit den seinen so gar nicht decken wollen.
Es fehlt ihm da die wichtigste Eigenart des
Künstlers: Kritik der Sprache. Er kennt nicht
die ungeheuerlichste, die rein künstlerische Qual,
das Bewußtsein, daß für jeden wahren Künstler
auch die reichste Sprache immer wieder bettel¬
arm ist und M mystischer Arbeit ganz neu
zum Panzer und zur Waffe für ihn gehämmert
werden muß.

Diese Leichtigkeit der Dilettn ntenProduktion,
welche sich nicht nur in die Spalten der
zwölftausend deutschen Zeitungen und Zeit¬
schriften ergießt, sondern auch das Meer unserer
Bücher von Jahr zu Jahr in bedauerlicher
Weise stärker anschwellen macht, verschlechtert
die Lebensmöglichkeiten der wirklichen Kunst
aufs beträchtlichste. Je höher die allgemeine
Produktivität steigt, desto tiefer sinkt das

[Spaltenumbruch]

Geschmacksniveau. Der alte Hansdichter, welcher
jn auch schon früher in keiner Familie fehlen
durfte, hat sich gemausert; er tritt mit seinen
privaten Vergnügungen an die Öffentlichkeit,
beansprucht ernst genommen zu werden, Geld
zu verdienen. Ja, die vielen Schriftsteller¬
verbindungen, mit denen wir gesegnet sind
und die deutsch unentwegt für die soziale
Würde des Schriftstellers kämpfen -- als ob
soziale Würde vom Beruf abhinge und nicht
von der Persönlichkeit! --, sind zum guten
Teile nichts anderes als die Zusammen¬
rottungen von Dilettanten, welche die Ehre,
die sie selbst ihrem Berufe nicht schaffen können,
nun von außen an ihn heranbringen möchten.

Unsere Literatur ist die typische Dilettantcn-
literatur mit ihrer Gleichmäßigkeit im Stil,
ihrem Mangel an eigenen Gedanken, ja man
darf Wohl sagen mit ihrer Furcht vor eigenen
Gedanken als eingeschmuggelter Ware, die
sich nicht bezahlt macht. Diese Schnellfertigkeit
voluminöser Bände ist eben Dilettantenarbeit
wie die ulkige Manie der Aktualität, die sich
heute, wenn Wilde gerade beliebt ist, erotisch¬
pervers gibt, um sich morgen mit Emphase
den deutschen Heimatskunstbart zu streichen.
Da ist mir der jetzt so gern verspottete trockene
alte Stubengelehrte lieber; es ist doch noch
ehrliche Arbeit -- bessere Arbeit, als der Pikante
Blender sie liefert, über dessen Tinte und Feder
weder Herz noch Hirn sitzen.

Der Dilettant von heute ist ein Routinier
geworden; damit hat er seiner Existenz¬
berechtigung das Urteil gesprochen. Routine
des Dilettantismus ist ein Widerspruch in sich.
Es heißt eine Entwicklungsstufe konstant machen
und diejenigen, welche nicht über sie hinaus-
gelangen, zu Herren über die anderen ein¬
setzen. Die natürliche Folge davon ist das
allgemeine Bestreben, alleTiefen auszugleichen,
damit sie sich nicht von der allgemeinen Ober¬
fläche unterscheiden. Wir haben jüngstens
einen Goethe für Jungens bekommen und
werden nunhoffentlichbald auch einenStendhal,
einen Balzac für Jungens haben.

Und wenn das dann glücklich so weit ist,
dann wird jeder Dilettant schnell entdecken,
wie gering eigentlich die Differenz zwischen
ihm und Balzac ist, und es wird überhaupt
keine eigentliche Literatur mehr notwendig sein.

Lothar Bringer-Wcisscrvogcl [Ende Spaltensatz]


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

man vertiefe sich in die Korrespondenz selbst
eines sogenannten ganz Intuitiven wie Hein¬
rich v. Kleist, in das, was Heine über seine
Lyrik sagt, und man wird überall einen höchst
bewußten, selbstkritischen Kunstverstand am
Werke sehen, der auswählt und verwirft,
ordnet, felle und hämmert und ebenso kühl
in der Kritik am Eigenen wird, wie er hei߬
blütig leidenschaftlich in der Konzeption war.
Für jeden großen Künstler beginnt die schwere
Arbeit erst nach der Intuition.

Das eben scheidet ihn vom Dilettanten
gründlich, und das macht unsere heutige Über¬
flutung mit dem Dilettantismus in ihren
verbreiternden und verflachenden Begleit¬
erscheinungen so überaus gefährlich für die
um sich schon dürftigen Lebensbedingungen
echter Kunst. Der Dilettant hat es ja so
leicht! Für ihn ist die Empfängnis alles, die
Gestaltung nichts. Er hat kein echtes Material
nötig, liegen ihm doch in allen Künsten die
Phrasen und Oberflächlichkeiten, die Allgemein¬
heiten und Posen bequem zur Hand. Sie
sind sein Material, weil er nicht selbst¬
schöpferisch, sondern eben rezeptiv ist, und er
sieht als Schriftsteller etwa gar keine Schwierig¬
keiten darin, den richtigen Ausdruck zu finden,
sondern ist am Ende vielmehr beglückt von
der Überfülle der Worte, die sich zu ihm
drängen und die er kaum zu bewältigen ver¬
mag. Er sieht nicht, wie abgegriffen und
abgenutzt diese Worte sind, wie sie aus anderen
Gedankenverbindungen herstammen und sich
mit den seinen so gar nicht decken wollen.
Es fehlt ihm da die wichtigste Eigenart des
Künstlers: Kritik der Sprache. Er kennt nicht
die ungeheuerlichste, die rein künstlerische Qual,
das Bewußtsein, daß für jeden wahren Künstler
auch die reichste Sprache immer wieder bettel¬
arm ist und M mystischer Arbeit ganz neu
zum Panzer und zur Waffe für ihn gehämmert
werden muß.

Diese Leichtigkeit der Dilettn ntenProduktion,
welche sich nicht nur in die Spalten der
zwölftausend deutschen Zeitungen und Zeit¬
schriften ergießt, sondern auch das Meer unserer
Bücher von Jahr zu Jahr in bedauerlicher
Weise stärker anschwellen macht, verschlechtert
die Lebensmöglichkeiten der wirklichen Kunst
aufs beträchtlichste. Je höher die allgemeine
Produktivität steigt, desto tiefer sinkt das

[Spaltenumbruch]

Geschmacksniveau. Der alte Hansdichter, welcher
jn auch schon früher in keiner Familie fehlen
durfte, hat sich gemausert; er tritt mit seinen
privaten Vergnügungen an die Öffentlichkeit,
beansprucht ernst genommen zu werden, Geld
zu verdienen. Ja, die vielen Schriftsteller¬
verbindungen, mit denen wir gesegnet sind
und die deutsch unentwegt für die soziale
Würde des Schriftstellers kämpfen — als ob
soziale Würde vom Beruf abhinge und nicht
von der Persönlichkeit! —, sind zum guten
Teile nichts anderes als die Zusammen¬
rottungen von Dilettanten, welche die Ehre,
die sie selbst ihrem Berufe nicht schaffen können,
nun von außen an ihn heranbringen möchten.

Unsere Literatur ist die typische Dilettantcn-
literatur mit ihrer Gleichmäßigkeit im Stil,
ihrem Mangel an eigenen Gedanken, ja man
darf Wohl sagen mit ihrer Furcht vor eigenen
Gedanken als eingeschmuggelter Ware, die
sich nicht bezahlt macht. Diese Schnellfertigkeit
voluminöser Bände ist eben Dilettantenarbeit
wie die ulkige Manie der Aktualität, die sich
heute, wenn Wilde gerade beliebt ist, erotisch¬
pervers gibt, um sich morgen mit Emphase
den deutschen Heimatskunstbart zu streichen.
Da ist mir der jetzt so gern verspottete trockene
alte Stubengelehrte lieber; es ist doch noch
ehrliche Arbeit — bessere Arbeit, als der Pikante
Blender sie liefert, über dessen Tinte und Feder
weder Herz noch Hirn sitzen.

Der Dilettant von heute ist ein Routinier
geworden; damit hat er seiner Existenz¬
berechtigung das Urteil gesprochen. Routine
des Dilettantismus ist ein Widerspruch in sich.
Es heißt eine Entwicklungsstufe konstant machen
und diejenigen, welche nicht über sie hinaus-
gelangen, zu Herren über die anderen ein¬
setzen. Die natürliche Folge davon ist das
allgemeine Bestreben, alleTiefen auszugleichen,
damit sie sich nicht von der allgemeinen Ober¬
fläche unterscheiden. Wir haben jüngstens
einen Goethe für Jungens bekommen und
werden nunhoffentlichbald auch einenStendhal,
einen Balzac für Jungens haben.

Und wenn das dann glücklich so weit ist,
dann wird jeder Dilettant schnell entdecken,
wie gering eigentlich die Differenz zwischen
ihm und Balzac ist, und es wird überhaupt
keine eigentliche Literatur mehr notwendig sein.

Lothar Bringer-Wcisscrvogcl [Ende Spaltensatz]


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[0588] Maßgebliches und Unmaßgebliches man vertiefe sich in die Korrespondenz selbst eines sogenannten ganz Intuitiven wie Hein¬ rich v. Kleist, in das, was Heine über seine Lyrik sagt, und man wird überall einen höchst bewußten, selbstkritischen Kunstverstand am Werke sehen, der auswählt und verwirft, ordnet, felle und hämmert und ebenso kühl in der Kritik am Eigenen wird, wie er hei߬ blütig leidenschaftlich in der Konzeption war. Für jeden großen Künstler beginnt die schwere Arbeit erst nach der Intuition. Das eben scheidet ihn vom Dilettanten gründlich, und das macht unsere heutige Über¬ flutung mit dem Dilettantismus in ihren verbreiternden und verflachenden Begleit¬ erscheinungen so überaus gefährlich für die um sich schon dürftigen Lebensbedingungen echter Kunst. Der Dilettant hat es ja so leicht! Für ihn ist die Empfängnis alles, die Gestaltung nichts. Er hat kein echtes Material nötig, liegen ihm doch in allen Künsten die Phrasen und Oberflächlichkeiten, die Allgemein¬ heiten und Posen bequem zur Hand. Sie sind sein Material, weil er nicht selbst¬ schöpferisch, sondern eben rezeptiv ist, und er sieht als Schriftsteller etwa gar keine Schwierig¬ keiten darin, den richtigen Ausdruck zu finden, sondern ist am Ende vielmehr beglückt von der Überfülle der Worte, die sich zu ihm drängen und die er kaum zu bewältigen ver¬ mag. Er sieht nicht, wie abgegriffen und abgenutzt diese Worte sind, wie sie aus anderen Gedankenverbindungen herstammen und sich mit den seinen so gar nicht decken wollen. Es fehlt ihm da die wichtigste Eigenart des Künstlers: Kritik der Sprache. Er kennt nicht die ungeheuerlichste, die rein künstlerische Qual, das Bewußtsein, daß für jeden wahren Künstler auch die reichste Sprache immer wieder bettel¬ arm ist und M mystischer Arbeit ganz neu zum Panzer und zur Waffe für ihn gehämmert werden muß. Diese Leichtigkeit der Dilettn ntenProduktion, welche sich nicht nur in die Spalten der zwölftausend deutschen Zeitungen und Zeit¬ schriften ergießt, sondern auch das Meer unserer Bücher von Jahr zu Jahr in bedauerlicher Weise stärker anschwellen macht, verschlechtert die Lebensmöglichkeiten der wirklichen Kunst aufs beträchtlichste. Je höher die allgemeine Produktivität steigt, desto tiefer sinkt das Geschmacksniveau. Der alte Hansdichter, welcher jn auch schon früher in keiner Familie fehlen durfte, hat sich gemausert; er tritt mit seinen privaten Vergnügungen an die Öffentlichkeit, beansprucht ernst genommen zu werden, Geld zu verdienen. Ja, die vielen Schriftsteller¬ verbindungen, mit denen wir gesegnet sind und die deutsch unentwegt für die soziale Würde des Schriftstellers kämpfen — als ob soziale Würde vom Beruf abhinge und nicht von der Persönlichkeit! —, sind zum guten Teile nichts anderes als die Zusammen¬ rottungen von Dilettanten, welche die Ehre, die sie selbst ihrem Berufe nicht schaffen können, nun von außen an ihn heranbringen möchten. Unsere Literatur ist die typische Dilettantcn- literatur mit ihrer Gleichmäßigkeit im Stil, ihrem Mangel an eigenen Gedanken, ja man darf Wohl sagen mit ihrer Furcht vor eigenen Gedanken als eingeschmuggelter Ware, die sich nicht bezahlt macht. Diese Schnellfertigkeit voluminöser Bände ist eben Dilettantenarbeit wie die ulkige Manie der Aktualität, die sich heute, wenn Wilde gerade beliebt ist, erotisch¬ pervers gibt, um sich morgen mit Emphase den deutschen Heimatskunstbart zu streichen. Da ist mir der jetzt so gern verspottete trockene alte Stubengelehrte lieber; es ist doch noch ehrliche Arbeit — bessere Arbeit, als der Pikante Blender sie liefert, über dessen Tinte und Feder weder Herz noch Hirn sitzen. Der Dilettant von heute ist ein Routinier geworden; damit hat er seiner Existenz¬ berechtigung das Urteil gesprochen. Routine des Dilettantismus ist ein Widerspruch in sich. Es heißt eine Entwicklungsstufe konstant machen und diejenigen, welche nicht über sie hinaus- gelangen, zu Herren über die anderen ein¬ setzen. Die natürliche Folge davon ist das allgemeine Bestreben, alleTiefen auszugleichen, damit sie sich nicht von der allgemeinen Ober¬ fläche unterscheiden. Wir haben jüngstens einen Goethe für Jungens bekommen und werden nunhoffentlichbald auch einenStendhal, einen Balzac für Jungens haben. Und wenn das dann glücklich so weit ist, dann wird jeder Dilettant schnell entdecken, wie gering eigentlich die Differenz zwischen ihm und Balzac ist, und es wird überhaupt keine eigentliche Literatur mehr notwendig sein. Lothar Bringer-Wcisscrvogcl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/588>, abgerufen am 16.05.2024.