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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Franz Meilers Martyrium

Da es sich auch gar nicht um Geheimnisse (das Wort "geheim" kommt im
Text des Gesetzes überhaupt nicht vor) zu handeln braucht, so ist es wohl
denkbar, daß allein die Mitteilung von einer in der englischen Öffentlichkeit
längst bekannten Tatsache, z. B. daß die schweren Kanonen nicht den Erwartungen
entsprochen haben, deren weiteres Bekanntwerden oder Besprechen aber der
englischen Regierung unangenehm ist und nachteilig erscheint, den Grund für
eine Verhaftung abgeben kann. Der Umstand, daß in England im allgemeinen
die Richter die Gesetze mit Vernunft anwenden, und daß die Verfolgung der
Spionage nur mit Genehmigung des Generalstaatsanwalts zulässig ist, bietet
eine gewisse Garantie, daß dies Gesetz, das der Staatsgewalt die weitest-
gehenden Machtmittel zur Verfügung stellt, nicht so leicht mißbraucht werden
wird. Immerhin hat die Spionenriecherei in England schon wunderliche Blüten
gefördert; die Aufregung und Bitterkeit, mit der die englische Presse fast ohne
Ausnahme den Fall Stewart besprochen hat, haben das allgemeine Mißtrauen
gegen uns vermehrt. Es ist deshalb durchaus angezeigt, das nach England
reisende deutsche Publikum auf Überraschungen und Belästigungen, die aus
dem Verdacht der Spionage ihm zustoßen können, aufmerksam zu machen.

Bei uns zu Hause wollen wir kalt Blut bewahren und mit Bedacht und
Umsicht die Maschen des englischen Netzes auftrennen; wir wissen ja jetzt, wo
sie zu finden sind: am "verbotenen Ort".




Franz Weilers Martyrium
Die Tragödie eines Rindes
von Richard Urins IV.

Die Mutter ist noch in der Küche. Das Tuch hat sie nicht mehr um den
Kopf, es hängt zum Trocknen an der blankgelben Messingstange, die zum Schutze
um den aufgemauerten Herd läuft. Sie wichst des Vaters Schulstiefel und
blickt von ihrer Arbeit nicht auf, als sie Franz anfährt:

"Willscht du mache, daß du in dei Rescht kommscht!"

Franz zieht die Schuhe aus und geht über den Hausgang ins Schlaf¬
zimmer der Kinder.

Auf seinen Gute Nacht-Gruß erhält er keine Antwort, vom Vater nicht,
von der Mutter nicht.

Im Schlafzimmer ist es dunkel. Franz steckt tastend die Hände aus, um
nicht anzustoßen. Es ist ein schmales Zimmer. Zwei Betten stehen an der


Franz Meilers Martyrium

Da es sich auch gar nicht um Geheimnisse (das Wort „geheim" kommt im
Text des Gesetzes überhaupt nicht vor) zu handeln braucht, so ist es wohl
denkbar, daß allein die Mitteilung von einer in der englischen Öffentlichkeit
längst bekannten Tatsache, z. B. daß die schweren Kanonen nicht den Erwartungen
entsprochen haben, deren weiteres Bekanntwerden oder Besprechen aber der
englischen Regierung unangenehm ist und nachteilig erscheint, den Grund für
eine Verhaftung abgeben kann. Der Umstand, daß in England im allgemeinen
die Richter die Gesetze mit Vernunft anwenden, und daß die Verfolgung der
Spionage nur mit Genehmigung des Generalstaatsanwalts zulässig ist, bietet
eine gewisse Garantie, daß dies Gesetz, das der Staatsgewalt die weitest-
gehenden Machtmittel zur Verfügung stellt, nicht so leicht mißbraucht werden
wird. Immerhin hat die Spionenriecherei in England schon wunderliche Blüten
gefördert; die Aufregung und Bitterkeit, mit der die englische Presse fast ohne
Ausnahme den Fall Stewart besprochen hat, haben das allgemeine Mißtrauen
gegen uns vermehrt. Es ist deshalb durchaus angezeigt, das nach England
reisende deutsche Publikum auf Überraschungen und Belästigungen, die aus
dem Verdacht der Spionage ihm zustoßen können, aufmerksam zu machen.

Bei uns zu Hause wollen wir kalt Blut bewahren und mit Bedacht und
Umsicht die Maschen des englischen Netzes auftrennen; wir wissen ja jetzt, wo
sie zu finden sind: am „verbotenen Ort".




Franz Weilers Martyrium
Die Tragödie eines Rindes
von Richard Urins IV.

Die Mutter ist noch in der Küche. Das Tuch hat sie nicht mehr um den
Kopf, es hängt zum Trocknen an der blankgelben Messingstange, die zum Schutze
um den aufgemauerten Herd läuft. Sie wichst des Vaters Schulstiefel und
blickt von ihrer Arbeit nicht auf, als sie Franz anfährt:

„Willscht du mache, daß du in dei Rescht kommscht!"

Franz zieht die Schuhe aus und geht über den Hausgang ins Schlaf¬
zimmer der Kinder.

Auf seinen Gute Nacht-Gruß erhält er keine Antwort, vom Vater nicht,
von der Mutter nicht.

Im Schlafzimmer ist es dunkel. Franz steckt tastend die Hände aus, um
nicht anzustoßen. Es ist ein schmales Zimmer. Zwei Betten stehen an der


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[0626] Franz Meilers Martyrium Da es sich auch gar nicht um Geheimnisse (das Wort „geheim" kommt im Text des Gesetzes überhaupt nicht vor) zu handeln braucht, so ist es wohl denkbar, daß allein die Mitteilung von einer in der englischen Öffentlichkeit längst bekannten Tatsache, z. B. daß die schweren Kanonen nicht den Erwartungen entsprochen haben, deren weiteres Bekanntwerden oder Besprechen aber der englischen Regierung unangenehm ist und nachteilig erscheint, den Grund für eine Verhaftung abgeben kann. Der Umstand, daß in England im allgemeinen die Richter die Gesetze mit Vernunft anwenden, und daß die Verfolgung der Spionage nur mit Genehmigung des Generalstaatsanwalts zulässig ist, bietet eine gewisse Garantie, daß dies Gesetz, das der Staatsgewalt die weitest- gehenden Machtmittel zur Verfügung stellt, nicht so leicht mißbraucht werden wird. Immerhin hat die Spionenriecherei in England schon wunderliche Blüten gefördert; die Aufregung und Bitterkeit, mit der die englische Presse fast ohne Ausnahme den Fall Stewart besprochen hat, haben das allgemeine Mißtrauen gegen uns vermehrt. Es ist deshalb durchaus angezeigt, das nach England reisende deutsche Publikum auf Überraschungen und Belästigungen, die aus dem Verdacht der Spionage ihm zustoßen können, aufmerksam zu machen. Bei uns zu Hause wollen wir kalt Blut bewahren und mit Bedacht und Umsicht die Maschen des englischen Netzes auftrennen; wir wissen ja jetzt, wo sie zu finden sind: am „verbotenen Ort". Franz Weilers Martyrium Die Tragödie eines Rindes von Richard Urins IV. Die Mutter ist noch in der Küche. Das Tuch hat sie nicht mehr um den Kopf, es hängt zum Trocknen an der blankgelben Messingstange, die zum Schutze um den aufgemauerten Herd läuft. Sie wichst des Vaters Schulstiefel und blickt von ihrer Arbeit nicht auf, als sie Franz anfährt: „Willscht du mache, daß du in dei Rescht kommscht!" Franz zieht die Schuhe aus und geht über den Hausgang ins Schlaf¬ zimmer der Kinder. Auf seinen Gute Nacht-Gruß erhält er keine Antwort, vom Vater nicht, von der Mutter nicht. Im Schlafzimmer ist es dunkel. Franz steckt tastend die Hände aus, um nicht anzustoßen. Es ist ein schmales Zimmer. Zwei Betten stehen an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/626>, abgerufen am 29.04.2024.