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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel
Aur Reform der Einkommensteuer

Der Landrat als Vorsitzender der Veranlagungskommission -- Ein Negienings-
kommissar als Mitglied der Kommission -- Die Junggesellensteuer

In der Regel ist der Landrat der Vorsitzende der Einkommensteuer-Veran-
lagungskommission. Das ist durchaus in der Ordnung. Der Landrat steht an der
Spitze der Kreisverwaltung, er hat den Vorsitz im Kreisausschuß und im Kreistage.
Er kann unmöglich von der Kommission ausgeschlossen sein, die mit dem wichtigen
Geschäft der Veranlagung zur Einkommensteuer betraut ist. Als Vorsitzender
der Kommission hat der Landrat nicht nur die Leitung des ganzen Veranlagungs¬
geschäfts, sondern er hat auch die fiskalischen Interessen zu vertreten, er hat auf
eine richtige Einschätzung der Steuerpflichtigen zu achten und ist mit der Befugnis
ausgestattet, Rechtsmittel einzulegen, wenn ihm eine Einschätzung unrichtig
erscheint. Nun sind die Ansichten über richtige Einschätzung sehr verschieden,
und zweifellos sind die Angaben der Steuerpflichtigen sehr oft von dem Wunsche
geleitet, wenig Steuern zu zahlen. Das ist ein ganz natürlicher Wunsch, und
man kann die Zurückhaltung in Steuerangelegenheiten dem einzelnen um so
weniger verdenken, wenn er weiß, daß viele andere es ebenso machen. Herr
Professor Delbrück hat jüngst behauptet, daß der Betrag der Steuer, die infolge
zu geringer Einschätzung der Steuerpflichtigen in Preußen dem Staate jährlich
entgeht, viele Millionen beträgt. Seine Schätzung ist vielleicht übertrieben, und
ein Nachweis läßt sich zahlenmäßig nicht führen; aber so ganz unrecht hat
Professor Delbrück nicht. Ich kann als früheres Mitglied einer Ver¬
anlagungskommission bestätigen, daß in einzelnen Kreisen nicht selten fast
alle Steuererklärungen der Steuerpflichtigen beanstandet werden mußten,
also von vornherein unrichtig erschienen. Bei den Verhandlungen über die
Einschätzung wurden dann von den Steuerpflichtigen oft Ansichten zutage
gefördert, die zum mindesten "eigenartig" waren, oft aber auch auf merkwürdige
"Steuerirrungen" hinausliefen.

Hierbei kommt aber der Landrat als Vorsitzender der Kommission in eine
unangenehme Lage. Die Steuerpflichtigen lassen sich schwer belehren, sie werden
böse und feindlich. Die Unzufriedenheit über Beanstandungen und über angeblich
zu hohe Einschätzungen richtet sich natürlich in erster Reihe gegen den Vor¬
sitzenden der Veranlagungskommisston, und wenn der Vorsitzende der Landrat




Reichsspiegel
Aur Reform der Einkommensteuer

Der Landrat als Vorsitzender der Veranlagungskommission — Ein Negienings-
kommissar als Mitglied der Kommission — Die Junggesellensteuer

In der Regel ist der Landrat der Vorsitzende der Einkommensteuer-Veran-
lagungskommission. Das ist durchaus in der Ordnung. Der Landrat steht an der
Spitze der Kreisverwaltung, er hat den Vorsitz im Kreisausschuß und im Kreistage.
Er kann unmöglich von der Kommission ausgeschlossen sein, die mit dem wichtigen
Geschäft der Veranlagung zur Einkommensteuer betraut ist. Als Vorsitzender
der Kommission hat der Landrat nicht nur die Leitung des ganzen Veranlagungs¬
geschäfts, sondern er hat auch die fiskalischen Interessen zu vertreten, er hat auf
eine richtige Einschätzung der Steuerpflichtigen zu achten und ist mit der Befugnis
ausgestattet, Rechtsmittel einzulegen, wenn ihm eine Einschätzung unrichtig
erscheint. Nun sind die Ansichten über richtige Einschätzung sehr verschieden,
und zweifellos sind die Angaben der Steuerpflichtigen sehr oft von dem Wunsche
geleitet, wenig Steuern zu zahlen. Das ist ein ganz natürlicher Wunsch, und
man kann die Zurückhaltung in Steuerangelegenheiten dem einzelnen um so
weniger verdenken, wenn er weiß, daß viele andere es ebenso machen. Herr
Professor Delbrück hat jüngst behauptet, daß der Betrag der Steuer, die infolge
zu geringer Einschätzung der Steuerpflichtigen in Preußen dem Staate jährlich
entgeht, viele Millionen beträgt. Seine Schätzung ist vielleicht übertrieben, und
ein Nachweis läßt sich zahlenmäßig nicht führen; aber so ganz unrecht hat
Professor Delbrück nicht. Ich kann als früheres Mitglied einer Ver¬
anlagungskommission bestätigen, daß in einzelnen Kreisen nicht selten fast
alle Steuererklärungen der Steuerpflichtigen beanstandet werden mußten,
also von vornherein unrichtig erschienen. Bei den Verhandlungen über die
Einschätzung wurden dann von den Steuerpflichtigen oft Ansichten zutage
gefördert, die zum mindesten „eigenartig" waren, oft aber auch auf merkwürdige
„Steuerirrungen" hinausliefen.

Hierbei kommt aber der Landrat als Vorsitzender der Kommission in eine
unangenehme Lage. Die Steuerpflichtigen lassen sich schwer belehren, sie werden
böse und feindlich. Die Unzufriedenheit über Beanstandungen und über angeblich
zu hohe Einschätzungen richtet sich natürlich in erster Reihe gegen den Vor¬
sitzenden der Veranlagungskommisston, und wenn der Vorsitzende der Landrat


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[0104] [Abbildung] Reichsspiegel Aur Reform der Einkommensteuer Der Landrat als Vorsitzender der Veranlagungskommission — Ein Negienings- kommissar als Mitglied der Kommission — Die Junggesellensteuer In der Regel ist der Landrat der Vorsitzende der Einkommensteuer-Veran- lagungskommission. Das ist durchaus in der Ordnung. Der Landrat steht an der Spitze der Kreisverwaltung, er hat den Vorsitz im Kreisausschuß und im Kreistage. Er kann unmöglich von der Kommission ausgeschlossen sein, die mit dem wichtigen Geschäft der Veranlagung zur Einkommensteuer betraut ist. Als Vorsitzender der Kommission hat der Landrat nicht nur die Leitung des ganzen Veranlagungs¬ geschäfts, sondern er hat auch die fiskalischen Interessen zu vertreten, er hat auf eine richtige Einschätzung der Steuerpflichtigen zu achten und ist mit der Befugnis ausgestattet, Rechtsmittel einzulegen, wenn ihm eine Einschätzung unrichtig erscheint. Nun sind die Ansichten über richtige Einschätzung sehr verschieden, und zweifellos sind die Angaben der Steuerpflichtigen sehr oft von dem Wunsche geleitet, wenig Steuern zu zahlen. Das ist ein ganz natürlicher Wunsch, und man kann die Zurückhaltung in Steuerangelegenheiten dem einzelnen um so weniger verdenken, wenn er weiß, daß viele andere es ebenso machen. Herr Professor Delbrück hat jüngst behauptet, daß der Betrag der Steuer, die infolge zu geringer Einschätzung der Steuerpflichtigen in Preußen dem Staate jährlich entgeht, viele Millionen beträgt. Seine Schätzung ist vielleicht übertrieben, und ein Nachweis läßt sich zahlenmäßig nicht führen; aber so ganz unrecht hat Professor Delbrück nicht. Ich kann als früheres Mitglied einer Ver¬ anlagungskommission bestätigen, daß in einzelnen Kreisen nicht selten fast alle Steuererklärungen der Steuerpflichtigen beanstandet werden mußten, also von vornherein unrichtig erschienen. Bei den Verhandlungen über die Einschätzung wurden dann von den Steuerpflichtigen oft Ansichten zutage gefördert, die zum mindesten „eigenartig" waren, oft aber auch auf merkwürdige „Steuerirrungen" hinausliefen. Hierbei kommt aber der Landrat als Vorsitzender der Kommission in eine unangenehme Lage. Die Steuerpflichtigen lassen sich schwer belehren, sie werden böse und feindlich. Die Unzufriedenheit über Beanstandungen und über angeblich zu hohe Einschätzungen richtet sich natürlich in erster Reihe gegen den Vor¬ sitzenden der Veranlagungskommisston, und wenn der Vorsitzende der Landrat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/104>, abgerufen am 26.05.2024.