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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

für die Revolution, die sich nur nur unter
der Form eines mutigen und stegreichen Volks¬
kampfes, frei von allen den Flecken der schreck¬
lichen Auswüchse der ersten französischen Re¬
volution, darstellte Dn revolutionäre Er¬
schütterungen bald ganz Europa in mehr
oder minder starken Schauern heimsuchten,
und auch hier und da deutsche Länder von
ihnen berührt wurden, blieb ich längere Zeit
in fieberhafter Spannung, und wurde zum
ersten Male auf die Gründe jener Bewegungen
aufmerksam, die mir als Kämpfe zwischen
dem Alten, Überlebten und dem Neuen, Hoff¬
nungsvollen der Menschheit erschienen. Auch
Sachsen blieb nicht unberührt; in Dresden
kam es zu einem wirklichen Straßenkampfe,
der zu einer unmittelbaren politischen Ver¬
änderung durch die Einsetzung der Mitregent¬
schaft des nachherigen Königs Friedrich, und
zur Gewährung einer konstitutionellen Ver¬
fassung führte. . . In Leipzig selbst brachen
Unruhen aus, welche mich ... zu unmittel¬
barer Beteiligung am Staatsleben beriefen.
Dieses Stnntsleben hatte nun in Leipzig keine
andere Bedeutung, als die eines Antagonis¬
mus der Studenten mit der Polizei; die
Polizei war das Urverhaszte, an welchem sich
der Freiheitssinn der Jugend übte. Bei
irgend einem Straßenexzesse war es zu Ver¬
haftungen einiger Studenten gekommen! diese
sollten befreit werden. Die akademische Jugend,
unter welcher es bereits seit einigen Tagen
unruhig herging, versammelte sich eines Abends
auf dem Markte; die LandmannSschaften
traten zusammen und schlössen einen Kreis
um ihre Senioren, wobei eine gewisse komment¬
mäßige Feierlichkeit herrschte. . .: man sang
das .Oauclesmus iZitur', bildete sich in Ko¬
lonnen, und zog nun, verstärkt durch alles
Junge, was eS mit den Studenten hielt, ernst
und entschlossen vom Markte aus nach dem
Universitätsgebäude, um dort die Kärzer zu
sprengen, und die verhafteten Studenten zu
befreien. . . Doch nahm es eine andere als
die erwartete Wendung; im Hofe deS Pau-
linums ward der feierliche Schwarm vom
Rektor Krug (geb. 1770>, welcher mit ent¬
blößten: Greisenhaupte herabgekommen war,
aufgehalten; seine Versicherung, daß die Ver¬
hafteten bereits auf seine Bernnlassnng ent¬

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lassen seien, brachte ihn? ein donnerndes Vivat
ein, und die Sache schien nun beendigt.

Allein die Spannung auf eine Revolution
War zu groß gewesen, als daß nicht irgend
etwas ihr zum Opfer hätte fallen müssen.
Plötzlich verbreitete sich der Ruf nach einer
berüchtigten Gasse, in welcher gegen eine ver¬
haßte Magistratsperson, welche dort der Volks¬
meinung nach ein übel berufenes Etablissement
in willkürlichen Schutz genommen hatte, popu¬
läre Justiz geübt werden sollte. Als ich im
Gefolge des Schwarmes an jenen? Orte an¬
langte, fand ich ein erbrochenes Haus, in
welchem allerhand Gewalttaten verübt wurden.

Das gefährliche Beispiel, welches von der
Jugend gegeben worden war, verführte jedoch
an den folgenden Abenden auch die niederen
Volsklassen ... zu ähnlichen Exzessen gegen
mißliebige Fnbrikherren und dergleichen: nun
wurde die Sache ernster; das Eigentum war
bedroht, der Kampf zwischen Arm und Reich
stand grinsend vor den Häusern. Jetzt waren
es die Studenten, welche . . . zum Schutz
gegen das niedere Volk herbeigerufen wur¬
den . . Theodor Distel-Llaservitz

Zum zweihundertjährigen Geburtstag
Friedrichs deS Großen hat Paul Kunzcndorf
im Verlage von Ferd. Dümmler in Berlin
eine Sammlung von Lebens- und Weisheits¬
sprüchen deS Königs herausgegeben, die er
"Frideriemnn" benannt hat. Diese Sprüche,
die Werken und Briefen Friedrichs des Zweiten
entnommen sind, beziehen sich auf Welt und
Menschen, Staats- und Kriegskunst, Wissenschaft,
Kunst und Natur, Religion und Priestertum
und auf noch viele andere Fragen des Lebens.
Es ist zweifellos ein dankenswertes Unter¬
nehmen, in einem Zeitpunkt, da über Friedrich
den Großen so viel und so vielerlei geschrieben
worden ist, weiten Kreisen Gelegenheit zu
geben, ein wenig aus der Quelle selbst zu
schöpfen und die Eigenart dieser gigantischen
Persönlichkeit aus ihrem eigenen Wesen wenn
nicht zu erfassen, so doch zu spüren. Das
gut ausgestattete, wohlfeile Büchlein (geb.
2 Mary bietet nicht weniger als 518 Zitate,
die sicher geeignet sind, uns einem ganz
Großen menschlich näher zu bringen und seine
Lebensweisheit als ein wertvolles Vermächtnis
M. R. erkennen zu lehren.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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für die Revolution, die sich nur nur unter
der Form eines mutigen und stegreichen Volks¬
kampfes, frei von allen den Flecken der schreck¬
lichen Auswüchse der ersten französischen Re¬
volution, darstellte Dn revolutionäre Er¬
schütterungen bald ganz Europa in mehr
oder minder starken Schauern heimsuchten,
und auch hier und da deutsche Länder von
ihnen berührt wurden, blieb ich längere Zeit
in fieberhafter Spannung, und wurde zum
ersten Male auf die Gründe jener Bewegungen
aufmerksam, die mir als Kämpfe zwischen
dem Alten, Überlebten und dem Neuen, Hoff¬
nungsvollen der Menschheit erschienen. Auch
Sachsen blieb nicht unberührt; in Dresden
kam es zu einem wirklichen Straßenkampfe,
der zu einer unmittelbaren politischen Ver¬
änderung durch die Einsetzung der Mitregent¬
schaft des nachherigen Königs Friedrich, und
zur Gewährung einer konstitutionellen Ver¬
fassung führte. . . In Leipzig selbst brachen
Unruhen aus, welche mich ... zu unmittel¬
barer Beteiligung am Staatsleben beriefen.
Dieses Stnntsleben hatte nun in Leipzig keine
andere Bedeutung, als die eines Antagonis¬
mus der Studenten mit der Polizei; die
Polizei war das Urverhaszte, an welchem sich
der Freiheitssinn der Jugend übte. Bei
irgend einem Straßenexzesse war es zu Ver¬
haftungen einiger Studenten gekommen! diese
sollten befreit werden. Die akademische Jugend,
unter welcher es bereits seit einigen Tagen
unruhig herging, versammelte sich eines Abends
auf dem Markte; die LandmannSschaften
traten zusammen und schlössen einen Kreis
um ihre Senioren, wobei eine gewisse komment¬
mäßige Feierlichkeit herrschte. . .: man sang
das .Oauclesmus iZitur', bildete sich in Ko¬
lonnen, und zog nun, verstärkt durch alles
Junge, was eS mit den Studenten hielt, ernst
und entschlossen vom Markte aus nach dem
Universitätsgebäude, um dort die Kärzer zu
sprengen, und die verhafteten Studenten zu
befreien. . . Doch nahm es eine andere als
die erwartete Wendung; im Hofe deS Pau-
linums ward der feierliche Schwarm vom
Rektor Krug (geb. 1770>, welcher mit ent¬
blößten: Greisenhaupte herabgekommen war,
aufgehalten; seine Versicherung, daß die Ver¬
hafteten bereits auf seine Bernnlassnng ent¬

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lassen seien, brachte ihn? ein donnerndes Vivat
ein, und die Sache schien nun beendigt.

Allein die Spannung auf eine Revolution
War zu groß gewesen, als daß nicht irgend
etwas ihr zum Opfer hätte fallen müssen.
Plötzlich verbreitete sich der Ruf nach einer
berüchtigten Gasse, in welcher gegen eine ver¬
haßte Magistratsperson, welche dort der Volks¬
meinung nach ein übel berufenes Etablissement
in willkürlichen Schutz genommen hatte, popu¬
läre Justiz geübt werden sollte. Als ich im
Gefolge des Schwarmes an jenen? Orte an¬
langte, fand ich ein erbrochenes Haus, in
welchem allerhand Gewalttaten verübt wurden.

Das gefährliche Beispiel, welches von der
Jugend gegeben worden war, verführte jedoch
an den folgenden Abenden auch die niederen
Volsklassen ... zu ähnlichen Exzessen gegen
mißliebige Fnbrikherren und dergleichen: nun
wurde die Sache ernster; das Eigentum war
bedroht, der Kampf zwischen Arm und Reich
stand grinsend vor den Häusern. Jetzt waren
es die Studenten, welche . . . zum Schutz
gegen das niedere Volk herbeigerufen wur¬
den . . Theodor Distel-Llaservitz

Zum zweihundertjährigen Geburtstag
Friedrichs deS Großen hat Paul Kunzcndorf
im Verlage von Ferd. Dümmler in Berlin
eine Sammlung von Lebens- und Weisheits¬
sprüchen deS Königs herausgegeben, die er
„Frideriemnn" benannt hat. Diese Sprüche,
die Werken und Briefen Friedrichs des Zweiten
entnommen sind, beziehen sich auf Welt und
Menschen, Staats- und Kriegskunst, Wissenschaft,
Kunst und Natur, Religion und Priestertum
und auf noch viele andere Fragen des Lebens.
Es ist zweifellos ein dankenswertes Unter¬
nehmen, in einem Zeitpunkt, da über Friedrich
den Großen so viel und so vielerlei geschrieben
worden ist, weiten Kreisen Gelegenheit zu
geben, ein wenig aus der Quelle selbst zu
schöpfen und die Eigenart dieser gigantischen
Persönlichkeit aus ihrem eigenen Wesen wenn
nicht zu erfassen, so doch zu spüren. Das
gut ausgestattete, wohlfeile Büchlein (geb.
2 Mary bietet nicht weniger als 518 Zitate,
die sicher geeignet sind, uns einem ganz
Großen menschlich näher zu bringen und seine
Lebensweisheit als ein wertvolles Vermächtnis
M. R. erkennen zu lehren.

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[0103] Maßgebliches und Unmaßgebliches für die Revolution, die sich nur nur unter der Form eines mutigen und stegreichen Volks¬ kampfes, frei von allen den Flecken der schreck¬ lichen Auswüchse der ersten französischen Re¬ volution, darstellte Dn revolutionäre Er¬ schütterungen bald ganz Europa in mehr oder minder starken Schauern heimsuchten, und auch hier und da deutsche Länder von ihnen berührt wurden, blieb ich längere Zeit in fieberhafter Spannung, und wurde zum ersten Male auf die Gründe jener Bewegungen aufmerksam, die mir als Kämpfe zwischen dem Alten, Überlebten und dem Neuen, Hoff¬ nungsvollen der Menschheit erschienen. Auch Sachsen blieb nicht unberührt; in Dresden kam es zu einem wirklichen Straßenkampfe, der zu einer unmittelbaren politischen Ver¬ änderung durch die Einsetzung der Mitregent¬ schaft des nachherigen Königs Friedrich, und zur Gewährung einer konstitutionellen Ver¬ fassung führte. . . In Leipzig selbst brachen Unruhen aus, welche mich ... zu unmittel¬ barer Beteiligung am Staatsleben beriefen. Dieses Stnntsleben hatte nun in Leipzig keine andere Bedeutung, als die eines Antagonis¬ mus der Studenten mit der Polizei; die Polizei war das Urverhaszte, an welchem sich der Freiheitssinn der Jugend übte. Bei irgend einem Straßenexzesse war es zu Ver¬ haftungen einiger Studenten gekommen! diese sollten befreit werden. Die akademische Jugend, unter welcher es bereits seit einigen Tagen unruhig herging, versammelte sich eines Abends auf dem Markte; die LandmannSschaften traten zusammen und schlössen einen Kreis um ihre Senioren, wobei eine gewisse komment¬ mäßige Feierlichkeit herrschte. . .: man sang das .Oauclesmus iZitur', bildete sich in Ko¬ lonnen, und zog nun, verstärkt durch alles Junge, was eS mit den Studenten hielt, ernst und entschlossen vom Markte aus nach dem Universitätsgebäude, um dort die Kärzer zu sprengen, und die verhafteten Studenten zu befreien. . . Doch nahm es eine andere als die erwartete Wendung; im Hofe deS Pau- linums ward der feierliche Schwarm vom Rektor Krug (geb. 1770>, welcher mit ent¬ blößten: Greisenhaupte herabgekommen war, aufgehalten; seine Versicherung, daß die Ver¬ hafteten bereits auf seine Bernnlassnng ent¬ lassen seien, brachte ihn? ein donnerndes Vivat ein, und die Sache schien nun beendigt. Allein die Spannung auf eine Revolution War zu groß gewesen, als daß nicht irgend etwas ihr zum Opfer hätte fallen müssen. Plötzlich verbreitete sich der Ruf nach einer berüchtigten Gasse, in welcher gegen eine ver¬ haßte Magistratsperson, welche dort der Volks¬ meinung nach ein übel berufenes Etablissement in willkürlichen Schutz genommen hatte, popu¬ läre Justiz geübt werden sollte. Als ich im Gefolge des Schwarmes an jenen? Orte an¬ langte, fand ich ein erbrochenes Haus, in welchem allerhand Gewalttaten verübt wurden. Das gefährliche Beispiel, welches von der Jugend gegeben worden war, verführte jedoch an den folgenden Abenden auch die niederen Volsklassen ... zu ähnlichen Exzessen gegen mißliebige Fnbrikherren und dergleichen: nun wurde die Sache ernster; das Eigentum war bedroht, der Kampf zwischen Arm und Reich stand grinsend vor den Häusern. Jetzt waren es die Studenten, welche . . . zum Schutz gegen das niedere Volk herbeigerufen wur¬ den . . Theodor Distel-Llaservitz Zum zweihundertjährigen Geburtstag Friedrichs deS Großen hat Paul Kunzcndorf im Verlage von Ferd. Dümmler in Berlin eine Sammlung von Lebens- und Weisheits¬ sprüchen deS Königs herausgegeben, die er „Frideriemnn" benannt hat. Diese Sprüche, die Werken und Briefen Friedrichs des Zweiten entnommen sind, beziehen sich auf Welt und Menschen, Staats- und Kriegskunst, Wissenschaft, Kunst und Natur, Religion und Priestertum und auf noch viele andere Fragen des Lebens. Es ist zweifellos ein dankenswertes Unter¬ nehmen, in einem Zeitpunkt, da über Friedrich den Großen so viel und so vielerlei geschrieben worden ist, weiten Kreisen Gelegenheit zu geben, ein wenig aus der Quelle selbst zu schöpfen und die Eigenart dieser gigantischen Persönlichkeit aus ihrem eigenen Wesen wenn nicht zu erfassen, so doch zu spüren. Das gut ausgestattete, wohlfeile Büchlein (geb. 2 Mary bietet nicht weniger als 518 Zitate, die sicher geeignet sind, uns einem ganz Großen menschlich näher zu bringen und seine Lebensweisheit als ein wertvolles Vermächtnis M. R. erkennen zu lehren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/103>, abgerufen am 17.06.2024.