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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

der Vierzehnte über sie sagte. Der Leser findet darüber näheres auf Seite 109
dieses Heftes in dem Aufsatz "Aus der Geschichte des Jesuitenordens".

Für uns heißt es einstweilen abwarten. Die Regierung aber wird, gleich¬
gültig ob Bayern sich fügt oder nicht, gegenüber dem Zentrum in eine
schiefe Lage kommen und bei den Zentrumswählern an Vertrauen einbüßen.
Und es scheint fast, als wäre dies der tiefere Sinn des ganzen Spiels: der
bayerische Jesuitenerlaß ist ein Angriff nicht nur auf die Autorität der Reichs¬
regierung, sondern auch auf den konfessionellen Frieden. Herr von Bethmann
hat von Anfang an den Fehler begangen, daß er sich offen dazu bekannte,
ohne das Zentrum keine Politik treiben zu wollen. Jetzt setzt diese rücksichts¬
loseste aller Parteien seinen guten Willen einer Belastungsprobe aus, um fest¬
zustellen, wie weit sie ohne Risiko gehen könnte. Es wurde darauf schon in
Heft 13 Seite 636 hingewiesen. Dieser letzte Streich war besonders genial: gelang
es unbemerkt, die Jesuiten wieder in das deutsche Reichsgebiet einzuschmuggeln,
so würde es schwer halten, sie daraus zu entfernen; widersetzt sich der Kanzler, --
auch gut! Dann mögen die Kulturkampfposaunen tönen, und zwar solange,
bis die Reichsregierung an irgendeiner Stelle, die wichtig genug erscheint,
zum Loskauf schreitet. Vielleicht lassen sich dadurch auch die inneren Schwierig¬
keiten im Zentrum überwinden!

Das ist nun innerhalb weniger Wochen der zweite empfindliche Hieb, den
Herr von Bethmann von den Bundesgenossen erhält, mit denen er die Sozial¬
demokratie bekämpfen will! Der erste war die Ablehnung der Ostmarkenzulage
d G, Li. urch Polen, Sozialdemokraten und Zentrum!


Bank und Geld

Der Geldmarkt am Quartalsschluß -- Der Steuerpflichtige Notenumlauf der Reichs¬
bank -- Die Kapitalsinvestitionen des ersten Quartals -- Die wirtschaftliche Ent¬
wicklung in Amerika und Deutschland -- Amerikanische Guthaben in Deutschland --
Ein Schiffahrtsprojekt des Fürstentrusts

Die Erwartungen, mit denen man dem Quartalswechsel in Hoffnung auf
eine durchgreifende Besserung der Geldverhältnisse entgegengesehen hat, sind
leider nur in recht beschränktem Maße in Erfüllung gegangen. Wohl trat in
den ersten Tagen des April die übliche Erleichterung der übergroßen Anspannung
ein: der Privatdiskont, der sich fast auf der vollen Höhe der Bankrate gehalten
hatte, sank um mehr als ein volles Prozent, und am offenen Geldmarkt drückte
reichliches Angebot die Zinssätze noch stärker herab. Aber eine wahre Geld¬
flüssigkeit wollte sich nicht einstellen. Einen klaren Beweis für die gespannte
Situation des Geldmarktes lieferte der Reichsbankausweis für die erste
Aprilwoche, insbesondere wenn man seine Ziffern mit denen der Vorjahre ver¬
gleicht. Der Rückfluß erscheint danach zögernd und unbefriedigend. Am
Quartalsschluß war die Bank zwar nicht in dem befürchteten Maße in Anspruch
genommen worden: man hatte, durch die Erscheinungen am Geldmarkt belehrt,
beizeiten Vorsorge getroffen und sich gehütet, die Deckung der Bedürfnisse auf


Reichsspiegel

der Vierzehnte über sie sagte. Der Leser findet darüber näheres auf Seite 109
dieses Heftes in dem Aufsatz „Aus der Geschichte des Jesuitenordens".

Für uns heißt es einstweilen abwarten. Die Regierung aber wird, gleich¬
gültig ob Bayern sich fügt oder nicht, gegenüber dem Zentrum in eine
schiefe Lage kommen und bei den Zentrumswählern an Vertrauen einbüßen.
Und es scheint fast, als wäre dies der tiefere Sinn des ganzen Spiels: der
bayerische Jesuitenerlaß ist ein Angriff nicht nur auf die Autorität der Reichs¬
regierung, sondern auch auf den konfessionellen Frieden. Herr von Bethmann
hat von Anfang an den Fehler begangen, daß er sich offen dazu bekannte,
ohne das Zentrum keine Politik treiben zu wollen. Jetzt setzt diese rücksichts¬
loseste aller Parteien seinen guten Willen einer Belastungsprobe aus, um fest¬
zustellen, wie weit sie ohne Risiko gehen könnte. Es wurde darauf schon in
Heft 13 Seite 636 hingewiesen. Dieser letzte Streich war besonders genial: gelang
es unbemerkt, die Jesuiten wieder in das deutsche Reichsgebiet einzuschmuggeln,
so würde es schwer halten, sie daraus zu entfernen; widersetzt sich der Kanzler, —
auch gut! Dann mögen die Kulturkampfposaunen tönen, und zwar solange,
bis die Reichsregierung an irgendeiner Stelle, die wichtig genug erscheint,
zum Loskauf schreitet. Vielleicht lassen sich dadurch auch die inneren Schwierig¬
keiten im Zentrum überwinden!

Das ist nun innerhalb weniger Wochen der zweite empfindliche Hieb, den
Herr von Bethmann von den Bundesgenossen erhält, mit denen er die Sozial¬
demokratie bekämpfen will! Der erste war die Ablehnung der Ostmarkenzulage
d G, Li. urch Polen, Sozialdemokraten und Zentrum!


Bank und Geld

Der Geldmarkt am Quartalsschluß — Der Steuerpflichtige Notenumlauf der Reichs¬
bank — Die Kapitalsinvestitionen des ersten Quartals — Die wirtschaftliche Ent¬
wicklung in Amerika und Deutschland — Amerikanische Guthaben in Deutschland —
Ein Schiffahrtsprojekt des Fürstentrusts

Die Erwartungen, mit denen man dem Quartalswechsel in Hoffnung auf
eine durchgreifende Besserung der Geldverhältnisse entgegengesehen hat, sind
leider nur in recht beschränktem Maße in Erfüllung gegangen. Wohl trat in
den ersten Tagen des April die übliche Erleichterung der übergroßen Anspannung
ein: der Privatdiskont, der sich fast auf der vollen Höhe der Bankrate gehalten
hatte, sank um mehr als ein volles Prozent, und am offenen Geldmarkt drückte
reichliches Angebot die Zinssätze noch stärker herab. Aber eine wahre Geld¬
flüssigkeit wollte sich nicht einstellen. Einen klaren Beweis für die gespannte
Situation des Geldmarktes lieferte der Reichsbankausweis für die erste
Aprilwoche, insbesondere wenn man seine Ziffern mit denen der Vorjahre ver¬
gleicht. Der Rückfluß erscheint danach zögernd und unbefriedigend. Am
Quartalsschluß war die Bank zwar nicht in dem befürchteten Maße in Anspruch
genommen worden: man hatte, durch die Erscheinungen am Geldmarkt belehrt,
beizeiten Vorsorge getroffen und sich gehütet, die Deckung der Bedürfnisse auf


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[0161] Reichsspiegel der Vierzehnte über sie sagte. Der Leser findet darüber näheres auf Seite 109 dieses Heftes in dem Aufsatz „Aus der Geschichte des Jesuitenordens". Für uns heißt es einstweilen abwarten. Die Regierung aber wird, gleich¬ gültig ob Bayern sich fügt oder nicht, gegenüber dem Zentrum in eine schiefe Lage kommen und bei den Zentrumswählern an Vertrauen einbüßen. Und es scheint fast, als wäre dies der tiefere Sinn des ganzen Spiels: der bayerische Jesuitenerlaß ist ein Angriff nicht nur auf die Autorität der Reichs¬ regierung, sondern auch auf den konfessionellen Frieden. Herr von Bethmann hat von Anfang an den Fehler begangen, daß er sich offen dazu bekannte, ohne das Zentrum keine Politik treiben zu wollen. Jetzt setzt diese rücksichts¬ loseste aller Parteien seinen guten Willen einer Belastungsprobe aus, um fest¬ zustellen, wie weit sie ohne Risiko gehen könnte. Es wurde darauf schon in Heft 13 Seite 636 hingewiesen. Dieser letzte Streich war besonders genial: gelang es unbemerkt, die Jesuiten wieder in das deutsche Reichsgebiet einzuschmuggeln, so würde es schwer halten, sie daraus zu entfernen; widersetzt sich der Kanzler, — auch gut! Dann mögen die Kulturkampfposaunen tönen, und zwar solange, bis die Reichsregierung an irgendeiner Stelle, die wichtig genug erscheint, zum Loskauf schreitet. Vielleicht lassen sich dadurch auch die inneren Schwierig¬ keiten im Zentrum überwinden! Das ist nun innerhalb weniger Wochen der zweite empfindliche Hieb, den Herr von Bethmann von den Bundesgenossen erhält, mit denen er die Sozial¬ demokratie bekämpfen will! Der erste war die Ablehnung der Ostmarkenzulage d G, Li. urch Polen, Sozialdemokraten und Zentrum! Bank und Geld Der Geldmarkt am Quartalsschluß — Der Steuerpflichtige Notenumlauf der Reichs¬ bank — Die Kapitalsinvestitionen des ersten Quartals — Die wirtschaftliche Ent¬ wicklung in Amerika und Deutschland — Amerikanische Guthaben in Deutschland — Ein Schiffahrtsprojekt des Fürstentrusts Die Erwartungen, mit denen man dem Quartalswechsel in Hoffnung auf eine durchgreifende Besserung der Geldverhältnisse entgegengesehen hat, sind leider nur in recht beschränktem Maße in Erfüllung gegangen. Wohl trat in den ersten Tagen des April die übliche Erleichterung der übergroßen Anspannung ein: der Privatdiskont, der sich fast auf der vollen Höhe der Bankrate gehalten hatte, sank um mehr als ein volles Prozent, und am offenen Geldmarkt drückte reichliches Angebot die Zinssätze noch stärker herab. Aber eine wahre Geld¬ flüssigkeit wollte sich nicht einstellen. Einen klaren Beweis für die gespannte Situation des Geldmarktes lieferte der Reichsbankausweis für die erste Aprilwoche, insbesondere wenn man seine Ziffern mit denen der Vorjahre ver¬ gleicht. Der Rückfluß erscheint danach zögernd und unbefriedigend. Am Quartalsschluß war die Bank zwar nicht in dem befürchteten Maße in Anspruch genommen worden: man hatte, durch die Erscheinungen am Geldmarkt belehrt, beizeiten Vorsorge getroffen und sich gehütet, die Deckung der Bedürfnisse auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/161>, abgerufen am 19.05.2024.