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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Iungliberalen
von Dr. Bruno Narwitz

le Mehrheit des Zentralvorstandes der nationalliberalen Partei
hat einem Antrage zugestimmt, der die alte, unserm öffentlichen
Leben unentbehrliche Partei zu sprengen droht. Der Antrag
enthält das Wort "jungliberal" nicht, spricht überhaupt nicht von
der "nationalliberalen Jugend"; aber in allen beteiligten Kreisen
ist es unstreitig, daß der unmittelbare Zweck des Antrages dahin geht, den
"Reichsverband der Vereine der nationalliberalen Jugend" zur Auflösung zu
bringen. Wir wollen in diesen Ausführungen nicht darauf eingehen, wie es
kommt, daß dieser Antrag trotz seines rein organisatorischen Anscheins so tiefe
Wirkungen haben kann -- die Tagespresse hat genügend darüber berichtet --,
uns liegt nur daran, den Lesern dieser Zeitschrift die Verhältnisse der einzig¬
artigen Organisation zu erläutern, um die der Streit entbrannt ist.

Die Wiege der Bewegung stand im Rheinland. Bei den Reichstagswahlen
des Jahres 1898 war die nationalliberale Fraktion von dreiundfünfzig auf acht¬
undvierzig zurückgegangen. Überall wurde beobachtet, daß es nicht gelang, die
Jugend für die alten Ideale der Partei zu begeistern, daß selbst in den Familien,
in denen die Zugehörigkeit zur Partei Tradition war, die jungen Leute den
Organisationen fern blieben. Die Partei der Geheimräte und Kommerzienräte,
wie sie damals wohl genannt wurde, hatte ihre Werbekraft in der jungen
Generation verloren. Und so entstand, zunächst in Köln, der Gedanke, die
Jugend in sich zu organisieren; man meinte, dort wo die Jungen sich scheu
von den Versammlungen der Alten zurückhielten, sie gern unter sich ihre An¬
sichten austauschen und auf diese Weise zu politischer Tätigkeit im Dienste der
Partei erzogen werden würden. So wurde unter der Leitung des Professors


Grenzboton II 1912 20


Die Iungliberalen
von Dr. Bruno Narwitz

le Mehrheit des Zentralvorstandes der nationalliberalen Partei
hat einem Antrage zugestimmt, der die alte, unserm öffentlichen
Leben unentbehrliche Partei zu sprengen droht. Der Antrag
enthält das Wort „jungliberal" nicht, spricht überhaupt nicht von
der „nationalliberalen Jugend"; aber in allen beteiligten Kreisen
ist es unstreitig, daß der unmittelbare Zweck des Antrages dahin geht, den
„Reichsverband der Vereine der nationalliberalen Jugend" zur Auflösung zu
bringen. Wir wollen in diesen Ausführungen nicht darauf eingehen, wie es
kommt, daß dieser Antrag trotz seines rein organisatorischen Anscheins so tiefe
Wirkungen haben kann — die Tagespresse hat genügend darüber berichtet —,
uns liegt nur daran, den Lesern dieser Zeitschrift die Verhältnisse der einzig¬
artigen Organisation zu erläutern, um die der Streit entbrannt ist.

Die Wiege der Bewegung stand im Rheinland. Bei den Reichstagswahlen
des Jahres 1898 war die nationalliberale Fraktion von dreiundfünfzig auf acht¬
undvierzig zurückgegangen. Überall wurde beobachtet, daß es nicht gelang, die
Jugend für die alten Ideale der Partei zu begeistern, daß selbst in den Familien,
in denen die Zugehörigkeit zur Partei Tradition war, die jungen Leute den
Organisationen fern blieben. Die Partei der Geheimräte und Kommerzienräte,
wie sie damals wohl genannt wurde, hatte ihre Werbekraft in der jungen
Generation verloren. Und so entstand, zunächst in Köln, der Gedanke, die
Jugend in sich zu organisieren; man meinte, dort wo die Jungen sich scheu
von den Versammlungen der Alten zurückhielten, sie gern unter sich ihre An¬
sichten austauschen und auf diese Weise zu politischer Tätigkeit im Dienste der
Partei erzogen werden würden. So wurde unter der Leitung des Professors


Grenzboton II 1912 20
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[0165] [Abbildung] Die Iungliberalen von Dr. Bruno Narwitz le Mehrheit des Zentralvorstandes der nationalliberalen Partei hat einem Antrage zugestimmt, der die alte, unserm öffentlichen Leben unentbehrliche Partei zu sprengen droht. Der Antrag enthält das Wort „jungliberal" nicht, spricht überhaupt nicht von der „nationalliberalen Jugend"; aber in allen beteiligten Kreisen ist es unstreitig, daß der unmittelbare Zweck des Antrages dahin geht, den „Reichsverband der Vereine der nationalliberalen Jugend" zur Auflösung zu bringen. Wir wollen in diesen Ausführungen nicht darauf eingehen, wie es kommt, daß dieser Antrag trotz seines rein organisatorischen Anscheins so tiefe Wirkungen haben kann — die Tagespresse hat genügend darüber berichtet —, uns liegt nur daran, den Lesern dieser Zeitschrift die Verhältnisse der einzig¬ artigen Organisation zu erläutern, um die der Streit entbrannt ist. Die Wiege der Bewegung stand im Rheinland. Bei den Reichstagswahlen des Jahres 1898 war die nationalliberale Fraktion von dreiundfünfzig auf acht¬ undvierzig zurückgegangen. Überall wurde beobachtet, daß es nicht gelang, die Jugend für die alten Ideale der Partei zu begeistern, daß selbst in den Familien, in denen die Zugehörigkeit zur Partei Tradition war, die jungen Leute den Organisationen fern blieben. Die Partei der Geheimräte und Kommerzienräte, wie sie damals wohl genannt wurde, hatte ihre Werbekraft in der jungen Generation verloren. Und so entstand, zunächst in Köln, der Gedanke, die Jugend in sich zu organisieren; man meinte, dort wo die Jungen sich scheu von den Versammlungen der Alten zurückhielten, sie gern unter sich ihre An¬ sichten austauschen und auf diese Weise zu politischer Tätigkeit im Dienste der Partei erzogen werden würden. So wurde unter der Leitung des Professors Grenzboton II 1912 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/165>, abgerufen am 26.05.2024.