Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Förderung des Handwerks auf Aosten der Industrie?
von Regiermigsrat (1. D, Dr. Schweighoffer

-^MVn der Reichstagssitzung vom 5. März d. I. erklärte der Herr
Staatssekretär des Innern seine Bereitwilligkeit, mit den ver¬
bündeten Regierungen in eine Erörterung darüber einzutreten,
inwieweit die Industrie durch Ortsstatut zu verpflichten sei, zu den
Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Handwerkerorganisationen
beizutragen. Mit dieser Erklärung ist der Herr Staatssekretär den Bestrebungen
der Mehrheitspartelen des Reichstages in weitgehender Weise entgegengekommen,
da -- wie die kürzlich vom Zentralverbande Deutscher Industrieller heraus¬
gegebene Zusammenstellung der im Reichstage eingebrachten Initiativanträge
erkennen läßt -- von fast allen Fraktionen Anträge gestellt worden sind, die
mehr oder weniger darauf abzielen, der Industrie ganz allgemein die Kosten
der Handwerkerausbtldung aufzubürden.

Die Industrie hat somit begründeten Anlaß, zu der ihr zugedachten neuen
Belastung Stellung zu nehmen, und wird mit Recht die Forderung erheben
dürfen, daß bei einer Entscheidung der vielerörterten Streitfrage "Fabrik oder
Handwerk" die industriellen Interessen in gleicher Weise gewährt werden wie
die Interessen des Handwerks. Es ist bekannt, daß die Frage der Abgrenzung
von Fabrik und Handwerk im Laufe der letzten Jahre wiederholt zu weit¬
läufigen und verwickelten Streitigkeiten geführt hat und der Gegenstand zahl¬
reicher Abhandlungen und Denkschriften gewesen ist. Die Hauptursache der
entstandenen Kontroverse liegt ohne Zweifel in der Fassung der Novelle zur
Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 -- der sogenannten Handwerkernovelle --,
deren unklare und unbestimmte Vorschriften in bezug auf "Handwerk" und
"fabrikmäßigen" Gewerbebetrieb bereits bei der Beratung des Gesetzentwurfes
von Kennern der Verhältnisse als verhängnisvoll bezeichnet worden sind. Eine
besondere Verschärfung wurde indessen in die Streitfrage dadurch hineingetragen,
daß die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich in der
Fassung vom 10. Mai 1897 für die Anwendung der Begriffe "Handwerk",




Förderung des Handwerks auf Aosten der Industrie?
von Regiermigsrat (1. D, Dr. Schweighoffer

-^MVn der Reichstagssitzung vom 5. März d. I. erklärte der Herr
Staatssekretär des Innern seine Bereitwilligkeit, mit den ver¬
bündeten Regierungen in eine Erörterung darüber einzutreten,
inwieweit die Industrie durch Ortsstatut zu verpflichten sei, zu den
Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Handwerkerorganisationen
beizutragen. Mit dieser Erklärung ist der Herr Staatssekretär den Bestrebungen
der Mehrheitspartelen des Reichstages in weitgehender Weise entgegengekommen,
da — wie die kürzlich vom Zentralverbande Deutscher Industrieller heraus¬
gegebene Zusammenstellung der im Reichstage eingebrachten Initiativanträge
erkennen läßt — von fast allen Fraktionen Anträge gestellt worden sind, die
mehr oder weniger darauf abzielen, der Industrie ganz allgemein die Kosten
der Handwerkerausbtldung aufzubürden.

Die Industrie hat somit begründeten Anlaß, zu der ihr zugedachten neuen
Belastung Stellung zu nehmen, und wird mit Recht die Forderung erheben
dürfen, daß bei einer Entscheidung der vielerörterten Streitfrage „Fabrik oder
Handwerk" die industriellen Interessen in gleicher Weise gewährt werden wie
die Interessen des Handwerks. Es ist bekannt, daß die Frage der Abgrenzung
von Fabrik und Handwerk im Laufe der letzten Jahre wiederholt zu weit¬
läufigen und verwickelten Streitigkeiten geführt hat und der Gegenstand zahl¬
reicher Abhandlungen und Denkschriften gewesen ist. Die Hauptursache der
entstandenen Kontroverse liegt ohne Zweifel in der Fassung der Novelle zur
Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 — der sogenannten Handwerkernovelle —,
deren unklare und unbestimmte Vorschriften in bezug auf „Handwerk" und
„fabrikmäßigen" Gewerbebetrieb bereits bei der Beratung des Gesetzentwurfes
von Kennern der Verhältnisse als verhängnisvoll bezeichnet worden sind. Eine
besondere Verschärfung wurde indessen in die Streitfrage dadurch hineingetragen,
daß die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich in der
Fassung vom 10. Mai 1897 für die Anwendung der Begriffe „Handwerk",


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321257"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321257_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Förderung des Handwerks auf Aosten der Industrie?<lb/><note type="byline"> von Regiermigsrat (1. D, Dr. Schweighoffer</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_684"> -^MVn der Reichstagssitzung vom 5. März d. I. erklärte der Herr<lb/>
Staatssekretär des Innern seine Bereitwilligkeit, mit den ver¬<lb/>
bündeten Regierungen in eine Erörterung darüber einzutreten,<lb/>
inwieweit die Industrie durch Ortsstatut zu verpflichten sei, zu den<lb/>
Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Handwerkerorganisationen<lb/>
beizutragen. Mit dieser Erklärung ist der Herr Staatssekretär den Bestrebungen<lb/>
der Mehrheitspartelen des Reichstages in weitgehender Weise entgegengekommen,<lb/>
da &#x2014; wie die kürzlich vom Zentralverbande Deutscher Industrieller heraus¬<lb/>
gegebene Zusammenstellung der im Reichstage eingebrachten Initiativanträge<lb/>
erkennen läßt &#x2014; von fast allen Fraktionen Anträge gestellt worden sind, die<lb/>
mehr oder weniger darauf abzielen, der Industrie ganz allgemein die Kosten<lb/>
der Handwerkerausbtldung aufzubürden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> Die Industrie hat somit begründeten Anlaß, zu der ihr zugedachten neuen<lb/>
Belastung Stellung zu nehmen, und wird mit Recht die Forderung erheben<lb/>
dürfen, daß bei einer Entscheidung der vielerörterten Streitfrage &#x201E;Fabrik oder<lb/>
Handwerk" die industriellen Interessen in gleicher Weise gewährt werden wie<lb/>
die Interessen des Handwerks. Es ist bekannt, daß die Frage der Abgrenzung<lb/>
von Fabrik und Handwerk im Laufe der letzten Jahre wiederholt zu weit¬<lb/>
läufigen und verwickelten Streitigkeiten geführt hat und der Gegenstand zahl¬<lb/>
reicher Abhandlungen und Denkschriften gewesen ist. Die Hauptursache der<lb/>
entstandenen Kontroverse liegt ohne Zweifel in der Fassung der Novelle zur<lb/>
Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 &#x2014; der sogenannten Handwerkernovelle &#x2014;,<lb/>
deren unklare und unbestimmte Vorschriften in bezug auf &#x201E;Handwerk" und<lb/>
&#x201E;fabrikmäßigen" Gewerbebetrieb bereits bei der Beratung des Gesetzentwurfes<lb/>
von Kennern der Verhältnisse als verhängnisvoll bezeichnet worden sind. Eine<lb/>
besondere Verschärfung wurde indessen in die Streitfrage dadurch hineingetragen,<lb/>
daß die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich in der<lb/>
Fassung vom 10. Mai 1897 für die Anwendung der Begriffe &#x201E;Handwerk",</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] [Abbildung] Förderung des Handwerks auf Aosten der Industrie? von Regiermigsrat (1. D, Dr. Schweighoffer -^MVn der Reichstagssitzung vom 5. März d. I. erklärte der Herr Staatssekretär des Innern seine Bereitwilligkeit, mit den ver¬ bündeten Regierungen in eine Erörterung darüber einzutreten, inwieweit die Industrie durch Ortsstatut zu verpflichten sei, zu den Kosten der Lehrlingsausbildung bei den Handwerkerorganisationen beizutragen. Mit dieser Erklärung ist der Herr Staatssekretär den Bestrebungen der Mehrheitspartelen des Reichstages in weitgehender Weise entgegengekommen, da — wie die kürzlich vom Zentralverbande Deutscher Industrieller heraus¬ gegebene Zusammenstellung der im Reichstage eingebrachten Initiativanträge erkennen läßt — von fast allen Fraktionen Anträge gestellt worden sind, die mehr oder weniger darauf abzielen, der Industrie ganz allgemein die Kosten der Handwerkerausbtldung aufzubürden. Die Industrie hat somit begründeten Anlaß, zu der ihr zugedachten neuen Belastung Stellung zu nehmen, und wird mit Recht die Forderung erheben dürfen, daß bei einer Entscheidung der vielerörterten Streitfrage „Fabrik oder Handwerk" die industriellen Interessen in gleicher Weise gewährt werden wie die Interessen des Handwerks. Es ist bekannt, daß die Frage der Abgrenzung von Fabrik und Handwerk im Laufe der letzten Jahre wiederholt zu weit¬ läufigen und verwickelten Streitigkeiten geführt hat und der Gegenstand zahl¬ reicher Abhandlungen und Denkschriften gewesen ist. Die Hauptursache der entstandenen Kontroverse liegt ohne Zweifel in der Fassung der Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897 — der sogenannten Handwerkernovelle —, deren unklare und unbestimmte Vorschriften in bezug auf „Handwerk" und „fabrikmäßigen" Gewerbebetrieb bereits bei der Beratung des Gesetzentwurfes von Kennern der Verhältnisse als verhängnisvoll bezeichnet worden sind. Eine besondere Verschärfung wurde indessen in die Streitfrage dadurch hineingetragen, daß die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich in der Fassung vom 10. Mai 1897 für die Anwendung der Begriffe „Handwerk",

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/174>, abgerufen am 26.05.2024.