Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

worden war, erklärten die Regierungsvertreter wiederholt und nachdrücklichst, daß
die verbündeten Regierungen einem solchen Eingriff in die Verhältnisse der
Fabriken und ihrer Lehrlingsausbildung, wie er von einzelnen Parteien erstrebt
werde, wohl kaum ihre Zustimmung erteilen würden. Es führe zu Jnkonsequenzen,
wenn die Lehrlingsausbildung in den Fabrikwerkstätten diesen lediglich für das
Handwerk berechneten Vorschriften unterstellt würde, während die Fabriken den
übrigen, für das Handwerk erlassenen Vorschriften der Gewerbeordnung
ausdrücklich entzogen seien. Bei der Abfassung und der Vertretung der sogenannten
Handwerkernovelle von 1897 sei von feiten der verbündeten Regierungen mehrfach
darauf hingewiesen worden, daß man eine Ausdehnung der für das Handwerk
erlassenen besonderen Bestimmungen auf die Fabriken auf keinen Fall zugeben
könne; in dieser Stellung der verbündeten Regierungen habe sich seither nichts
geändert. Es wurde daraufhin unter Ablehnung entgegenstehender Anträge die
Regierungsvorlage angenommen"). Aus diesen Vorgängen ergibt sich sonach,
wie auch erst kürzlich in einem Erkenntnis des Oberlandesgerichts Köln"") zum
Ausdruck gebracht worden ist, zweifelsfrei, daß der Gesetzgeber die Bestimmung
des §129 der G. O. auf Handwerksbetriebe beschränkt und auf Fabrikbetriebe
nicht ausgedehnt wissen wollte. Wenn daher in anderen Streitfällen die Ober¬
landesgerichte zu Breslau und Naumburg im entgegengesetzten Sinne entschieden
haben, so haben sie sich dadurch in offensichtlichen Widerspruch zu den Bestimmungen
der M 129 u. f. gesetzt und die bereits vorhandene Verwirrung noch vermehrt.


2. "Fabrik und Handmerk" im Handelsgesetzbuch für das
Deutsche Reich

Es ist bereits eingangs erwähnt worden, daß durch die Bestimmungen des
Handelsgesetzbuches für das Deutsche "Reich die Streitfrage "Fabrik oder Hand¬
werk" besonders kompliziert wurde und beeinflußt worden ist. Wie die Gewerbe¬
ordnung, so gibt auch das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 eine Erläuterung
des Begriffes "Handwerk" nicht. Es geht nach unbestrittener Ansicht in Theorie
und Praxis von dem bewußten Gegensatze des Handwerks als Kleingewerbe
zum Großbetriebs als Großgswerbe aus""") und bestimmt, daß derjenige Kauf¬
mann, der zugleich Handwerker ist, nicht verpflichtet ist, Haudelsbücher zu
führen und seine Firma in das .Handelsregister eintragen zu lassen. Es schafft
mit dieser gesetzlichen Bestimmung zwei Arten voll Kaufleuten, die Vollkaufleute
und die sogenannten Minderkaufleuw, und legt damit -- ganz unabhängig von
der Reichsgewerbeordnnng -- dein erkennenden Registerrichter die Verpflichtung
auf. eine Entscheidung darüber zu fällen, ob jemand Handwerker ist oder nicht.
Gegen die Entscheidung des Negisterrichters ist die Beschwerde an das Land-





') XII. Legislaturperiode, l. Session, 1907, Ur. 350 der Drucksachen, Band 24t S, 1967.
Urteil vom 1. Dezember 1911.
"'"""') Motive zum neuen Handelsgesetzbuch zu 8 4, S. Is und 16.
Grenzboten II 1912 22
Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?

worden war, erklärten die Regierungsvertreter wiederholt und nachdrücklichst, daß
die verbündeten Regierungen einem solchen Eingriff in die Verhältnisse der
Fabriken und ihrer Lehrlingsausbildung, wie er von einzelnen Parteien erstrebt
werde, wohl kaum ihre Zustimmung erteilen würden. Es führe zu Jnkonsequenzen,
wenn die Lehrlingsausbildung in den Fabrikwerkstätten diesen lediglich für das
Handwerk berechneten Vorschriften unterstellt würde, während die Fabriken den
übrigen, für das Handwerk erlassenen Vorschriften der Gewerbeordnung
ausdrücklich entzogen seien. Bei der Abfassung und der Vertretung der sogenannten
Handwerkernovelle von 1897 sei von feiten der verbündeten Regierungen mehrfach
darauf hingewiesen worden, daß man eine Ausdehnung der für das Handwerk
erlassenen besonderen Bestimmungen auf die Fabriken auf keinen Fall zugeben
könne; in dieser Stellung der verbündeten Regierungen habe sich seither nichts
geändert. Es wurde daraufhin unter Ablehnung entgegenstehender Anträge die
Regierungsvorlage angenommen"). Aus diesen Vorgängen ergibt sich sonach,
wie auch erst kürzlich in einem Erkenntnis des Oberlandesgerichts Köln"") zum
Ausdruck gebracht worden ist, zweifelsfrei, daß der Gesetzgeber die Bestimmung
des §129 der G. O. auf Handwerksbetriebe beschränkt und auf Fabrikbetriebe
nicht ausgedehnt wissen wollte. Wenn daher in anderen Streitfällen die Ober¬
landesgerichte zu Breslau und Naumburg im entgegengesetzten Sinne entschieden
haben, so haben sie sich dadurch in offensichtlichen Widerspruch zu den Bestimmungen
der M 129 u. f. gesetzt und die bereits vorhandene Verwirrung noch vermehrt.


2. „Fabrik und Handmerk" im Handelsgesetzbuch für das
Deutsche Reich

Es ist bereits eingangs erwähnt worden, daß durch die Bestimmungen des
Handelsgesetzbuches für das Deutsche "Reich die Streitfrage „Fabrik oder Hand¬
werk" besonders kompliziert wurde und beeinflußt worden ist. Wie die Gewerbe¬
ordnung, so gibt auch das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 eine Erläuterung
des Begriffes „Handwerk" nicht. Es geht nach unbestrittener Ansicht in Theorie
und Praxis von dem bewußten Gegensatze des Handwerks als Kleingewerbe
zum Großbetriebs als Großgswerbe aus""") und bestimmt, daß derjenige Kauf¬
mann, der zugleich Handwerker ist, nicht verpflichtet ist, Haudelsbücher zu
führen und seine Firma in das .Handelsregister eintragen zu lassen. Es schafft
mit dieser gesetzlichen Bestimmung zwei Arten voll Kaufleuten, die Vollkaufleute
und die sogenannten Minderkaufleuw, und legt damit — ganz unabhängig von
der Reichsgewerbeordnnng — dein erkennenden Registerrichter die Verpflichtung
auf. eine Entscheidung darüber zu fällen, ob jemand Handwerker ist oder nicht.
Gegen die Entscheidung des Negisterrichters ist die Beschwerde an das Land-





') XII. Legislaturperiode, l. Session, 1907, Ur. 350 der Drucksachen, Band 24t S, 1967.
Urteil vom 1. Dezember 1911.
"'"""') Motive zum neuen Handelsgesetzbuch zu 8 4, S. Is und 16.
Grenzboten II 1912 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321264"/>
              <fw type="header" place="top"> Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?</fw><lb/>
              <p xml:id="ID_707" prev="#ID_706"> worden war, erklärten die Regierungsvertreter wiederholt und nachdrücklichst, daß<lb/>
die verbündeten Regierungen einem solchen Eingriff in die Verhältnisse der<lb/>
Fabriken und ihrer Lehrlingsausbildung, wie er von einzelnen Parteien erstrebt<lb/>
werde, wohl kaum ihre Zustimmung erteilen würden. Es führe zu Jnkonsequenzen,<lb/>
wenn die Lehrlingsausbildung in den Fabrikwerkstätten diesen lediglich für das<lb/>
Handwerk berechneten Vorschriften unterstellt würde, während die Fabriken den<lb/>
übrigen, für das Handwerk erlassenen Vorschriften der Gewerbeordnung<lb/>
ausdrücklich entzogen seien. Bei der Abfassung und der Vertretung der sogenannten<lb/>
Handwerkernovelle von 1897 sei von feiten der verbündeten Regierungen mehrfach<lb/>
darauf hingewiesen worden, daß man eine Ausdehnung der für das Handwerk<lb/>
erlassenen besonderen Bestimmungen auf die Fabriken auf keinen Fall zugeben<lb/>
könne; in dieser Stellung der verbündeten Regierungen habe sich seither nichts<lb/>
geändert. Es wurde daraufhin unter Ablehnung entgegenstehender Anträge die<lb/>
Regierungsvorlage angenommen"). Aus diesen Vorgängen ergibt sich sonach,<lb/>
wie auch erst kürzlich in einem Erkenntnis des Oberlandesgerichts Köln"") zum<lb/>
Ausdruck gebracht worden ist, zweifelsfrei, daß der Gesetzgeber die Bestimmung<lb/>
des §129 der G. O. auf Handwerksbetriebe beschränkt und auf Fabrikbetriebe<lb/>
nicht ausgedehnt wissen wollte. Wenn daher in anderen Streitfällen die Ober¬<lb/>
landesgerichte zu Breslau und Naumburg im entgegengesetzten Sinne entschieden<lb/>
haben, so haben sie sich dadurch in offensichtlichen Widerspruch zu den Bestimmungen<lb/>
der M 129 u. f. gesetzt und die bereits vorhandene Verwirrung noch vermehrt.</p><lb/>
            </div>
            <div n="3">
              <head> 2. &#x201E;Fabrik und Handmerk" im Handelsgesetzbuch für das<lb/>
Deutsche Reich</head><lb/>
              <p xml:id="ID_708" next="#ID_709"> Es ist bereits eingangs erwähnt worden, daß durch die Bestimmungen des<lb/>
Handelsgesetzbuches für das Deutsche "Reich die Streitfrage &#x201E;Fabrik oder Hand¬<lb/>
werk" besonders kompliziert wurde und beeinflußt worden ist. Wie die Gewerbe¬<lb/>
ordnung, so gibt auch das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 eine Erläuterung<lb/>
des Begriffes &#x201E;Handwerk" nicht. Es geht nach unbestrittener Ansicht in Theorie<lb/>
und Praxis von dem bewußten Gegensatze des Handwerks als Kleingewerbe<lb/>
zum Großbetriebs als Großgswerbe aus""") und bestimmt, daß derjenige Kauf¬<lb/>
mann, der zugleich Handwerker ist, nicht verpflichtet ist, Haudelsbücher zu<lb/>
führen und seine Firma in das .Handelsregister eintragen zu lassen. Es schafft<lb/>
mit dieser gesetzlichen Bestimmung zwei Arten voll Kaufleuten, die Vollkaufleute<lb/>
und die sogenannten Minderkaufleuw, und legt damit &#x2014; ganz unabhängig von<lb/>
der Reichsgewerbeordnnng &#x2014; dein erkennenden Registerrichter die Verpflichtung<lb/>
auf. eine Entscheidung darüber zu fällen, ob jemand Handwerker ist oder nicht.<lb/>
Gegen die Entscheidung des Negisterrichters ist die Beschwerde an das Land-</p><lb/>
              <note xml:id="FID_27" place="foot"> ') XII. Legislaturperiode, l. Session, 1907, Ur. 350 der Drucksachen, Band 24t S, 1967.</note><lb/>
              <note xml:id="FID_28" place="foot"> Urteil vom 1. Dezember 1911.</note><lb/>
              <note xml:id="FID_29" place="foot"> "'"""') Motive zum neuen Handelsgesetzbuch zu 8 4, S. Is und 16.</note><lb/>
              <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1912 22</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? worden war, erklärten die Regierungsvertreter wiederholt und nachdrücklichst, daß die verbündeten Regierungen einem solchen Eingriff in die Verhältnisse der Fabriken und ihrer Lehrlingsausbildung, wie er von einzelnen Parteien erstrebt werde, wohl kaum ihre Zustimmung erteilen würden. Es führe zu Jnkonsequenzen, wenn die Lehrlingsausbildung in den Fabrikwerkstätten diesen lediglich für das Handwerk berechneten Vorschriften unterstellt würde, während die Fabriken den übrigen, für das Handwerk erlassenen Vorschriften der Gewerbeordnung ausdrücklich entzogen seien. Bei der Abfassung und der Vertretung der sogenannten Handwerkernovelle von 1897 sei von feiten der verbündeten Regierungen mehrfach darauf hingewiesen worden, daß man eine Ausdehnung der für das Handwerk erlassenen besonderen Bestimmungen auf die Fabriken auf keinen Fall zugeben könne; in dieser Stellung der verbündeten Regierungen habe sich seither nichts geändert. Es wurde daraufhin unter Ablehnung entgegenstehender Anträge die Regierungsvorlage angenommen"). Aus diesen Vorgängen ergibt sich sonach, wie auch erst kürzlich in einem Erkenntnis des Oberlandesgerichts Köln"") zum Ausdruck gebracht worden ist, zweifelsfrei, daß der Gesetzgeber die Bestimmung des §129 der G. O. auf Handwerksbetriebe beschränkt und auf Fabrikbetriebe nicht ausgedehnt wissen wollte. Wenn daher in anderen Streitfällen die Ober¬ landesgerichte zu Breslau und Naumburg im entgegengesetzten Sinne entschieden haben, so haben sie sich dadurch in offensichtlichen Widerspruch zu den Bestimmungen der M 129 u. f. gesetzt und die bereits vorhandene Verwirrung noch vermehrt. 2. „Fabrik und Handmerk" im Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich Es ist bereits eingangs erwähnt worden, daß durch die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches für das Deutsche "Reich die Streitfrage „Fabrik oder Hand¬ werk" besonders kompliziert wurde und beeinflußt worden ist. Wie die Gewerbe¬ ordnung, so gibt auch das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 eine Erläuterung des Begriffes „Handwerk" nicht. Es geht nach unbestrittener Ansicht in Theorie und Praxis von dem bewußten Gegensatze des Handwerks als Kleingewerbe zum Großbetriebs als Großgswerbe aus""") und bestimmt, daß derjenige Kauf¬ mann, der zugleich Handwerker ist, nicht verpflichtet ist, Haudelsbücher zu führen und seine Firma in das .Handelsregister eintragen zu lassen. Es schafft mit dieser gesetzlichen Bestimmung zwei Arten voll Kaufleuten, die Vollkaufleute und die sogenannten Minderkaufleuw, und legt damit — ganz unabhängig von der Reichsgewerbeordnnng — dein erkennenden Registerrichter die Verpflichtung auf. eine Entscheidung darüber zu fällen, ob jemand Handwerker ist oder nicht. Gegen die Entscheidung des Negisterrichters ist die Beschwerde an das Land- ') XII. Legislaturperiode, l. Session, 1907, Ur. 350 der Drucksachen, Band 24t S, 1967. Urteil vom 1. Dezember 1911. "'"""') Motive zum neuen Handelsgesetzbuch zu 8 4, S. Is und 16. Grenzboten II 1912 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/181>, abgerufen am 18.05.2024.