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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des l^andivorks eins Rösten der Industrie?

gesprochen worden ist. Die natürliche Folge war, daß sich Unzufriedenheit auf
beiden Seiten, im Handwerk sowohl wie in der Industrie, eingestellt hat, daß die
Gegensätze immer schärfer und die Wünsche auf Abänderung dieses unhaltbaren
Zustandes immer lauter und dringlicher geworden sind.


II.
Die Bestrebungen der Interessentenkreise
1. Die Bestrebungen der Handwerker

In der Reichstagssitzung vom 25. Mai 1897 wies gelegentlich der zweiten
Beratung der großen Hindwerkernovelle der Abgeordnete Richter darauf hin,
daß die Regierung von dem Zustandekommen des Gesetzes Dank nicht zu
erwarten habe, sondern daß das Gesetz erst die Etappe, die Handhabe zu weiterer
Agitation sein und eine noch stärkere Unzufriedenheit als bisher sich bemerkbar
machen werde. Diese Prophezeiung hat sich in vollstem Umfange erfüllt. Denn
alsbald nach Erlaß des Gesetzes bemühten sich die Hcmdmerkerkreise eifrigst, im
Gegensatze zu der aus der Gewerbeordnung und dem Handelsgesetzbuche in
Verbindung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts sich ergebenden Ausfassung
der Begriffe "Fabrik" und "Handwerk" diesen eine Auslegung zu verschaffen,
die es ermöglichte, unter das Handwerk auch viele große und Mittelbetriebe
der Industrie und des Handels einzubeziehen. Diese Bestrebungen gingen
vielfach offensichtlich darauf hinaus, die Organisation und Zuständigkeit der
Zwangsinnungen und Handwerkskammern über das Handwerk hinaus auch auf
das fabrikmäßige Großgewerbe auszudehnen.

Der Anstoß wurde von der Gewcrbekammer zu Leipzig gegeben, die
bereits im Jahre 1897 den Wunsch hatte, die Großbetriebe zu den den
Handwerkern auferlegten Pflichten in bezug auf die Ausbildung der Lehrlinge
heranzuziehen. Sie beantragte auf dem deutschen Gewerbekammertage zu Würz¬
burg am 12. und 13. September 1898 eine Abänderung der Reichsgeworbe-
ordnung dahin, daß die Großbetriebe, sofern sie sich mit der Herstellung hand¬
werksmäßiger Arbeiten beschäftigten, den Zwangsinnungen unterstellt würden.
Der Gewerbekammertag sah zwar von einem Beschlusse in dieser Richtung ab,
da er den Alttrag nicht für aus'-ichtsvoll ansah. Er schlug jedoch einen anderen,
das gleiche Ziel erstrebenden Weg ein, indem er beschloß, bet den Landesbehörden
dahin vorstellig zu werden, daß derartige Groß- und Mittelbetriebe von den:
eventuellen Zwange, den Innungen anzugehören, mitergriffen werden sollten. Mit
diesem Beschlusse des Gewerbekammertages in Würzburg stimmt gleichlautend
auch der von dem ersten deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag zu Berlin
im Jahre 1900 gefaßte überein, und von demselben Grundgedanken der
Ausdehnung der Zuständigkeit der Handwerkerorganisationen sind in gleicher
Weise die in den folgenden Jahren ans den .Kreisen der Handwerker laut
gewordenen Wünsche getragen. So beschloß der allgemeine deutsche Innungs-


Förderung des l^andivorks eins Rösten der Industrie?

gesprochen worden ist. Die natürliche Folge war, daß sich Unzufriedenheit auf
beiden Seiten, im Handwerk sowohl wie in der Industrie, eingestellt hat, daß die
Gegensätze immer schärfer und die Wünsche auf Abänderung dieses unhaltbaren
Zustandes immer lauter und dringlicher geworden sind.


II.
Die Bestrebungen der Interessentenkreise
1. Die Bestrebungen der Handwerker

In der Reichstagssitzung vom 25. Mai 1897 wies gelegentlich der zweiten
Beratung der großen Hindwerkernovelle der Abgeordnete Richter darauf hin,
daß die Regierung von dem Zustandekommen des Gesetzes Dank nicht zu
erwarten habe, sondern daß das Gesetz erst die Etappe, die Handhabe zu weiterer
Agitation sein und eine noch stärkere Unzufriedenheit als bisher sich bemerkbar
machen werde. Diese Prophezeiung hat sich in vollstem Umfange erfüllt. Denn
alsbald nach Erlaß des Gesetzes bemühten sich die Hcmdmerkerkreise eifrigst, im
Gegensatze zu der aus der Gewerbeordnung und dem Handelsgesetzbuche in
Verbindung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts sich ergebenden Ausfassung
der Begriffe „Fabrik" und „Handwerk" diesen eine Auslegung zu verschaffen,
die es ermöglichte, unter das Handwerk auch viele große und Mittelbetriebe
der Industrie und des Handels einzubeziehen. Diese Bestrebungen gingen
vielfach offensichtlich darauf hinaus, die Organisation und Zuständigkeit der
Zwangsinnungen und Handwerkskammern über das Handwerk hinaus auch auf
das fabrikmäßige Großgewerbe auszudehnen.

Der Anstoß wurde von der Gewcrbekammer zu Leipzig gegeben, die
bereits im Jahre 1897 den Wunsch hatte, die Großbetriebe zu den den
Handwerkern auferlegten Pflichten in bezug auf die Ausbildung der Lehrlinge
heranzuziehen. Sie beantragte auf dem deutschen Gewerbekammertage zu Würz¬
burg am 12. und 13. September 1898 eine Abänderung der Reichsgeworbe-
ordnung dahin, daß die Großbetriebe, sofern sie sich mit der Herstellung hand¬
werksmäßiger Arbeiten beschäftigten, den Zwangsinnungen unterstellt würden.
Der Gewerbekammertag sah zwar von einem Beschlusse in dieser Richtung ab,
da er den Alttrag nicht für aus'-ichtsvoll ansah. Er schlug jedoch einen anderen,
das gleiche Ziel erstrebenden Weg ein, indem er beschloß, bet den Landesbehörden
dahin vorstellig zu werden, daß derartige Groß- und Mittelbetriebe von den:
eventuellen Zwange, den Innungen anzugehören, mitergriffen werden sollten. Mit
diesem Beschlusse des Gewerbekammertages in Würzburg stimmt gleichlautend
auch der von dem ersten deutschen Handwerks- und Gewerbekammertag zu Berlin
im Jahre 1900 gefaßte überein, und von demselben Grundgedanken der
Ausdehnung der Zuständigkeit der Handwerkerorganisationen sind in gleicher
Weise die in den folgenden Jahren ans den .Kreisen der Handwerker laut
gewordenen Wünsche getragen. So beschloß der allgemeine deutsche Innungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/184>, abgerufen am 26.05.2024.