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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Märchen zeigen, darf der Lektüre nicht fehlen.
Ein Wilhelm v. Potenz, ein Peter Rosegger
verstehen es meisterhaft, diese in ein eindrucks¬
volles, ja ergreifendes Gewand zu kleiden.

Es ist eine Freude zu sehen, wie durch
die "Erzählstnnde" das ganze Wesen der
Kinder freier wird, sie kommen auch mit
eigenen Beobachtungen und Gedanken schlie߬
lich heraus. Zum Schlich bitten sie mich,
zu erzählen. Ich tue es, um Interessantes
aus meiner Wochenlektüre oder aus meiner
Lebenserfahrung zu bringen. Gut ist's be¬
sonders, den älteren Schülern das "Welt¬
verstehen", die Einrichtungen des Staate?
u. n. durch leicht verständliche Beispiele zu
erläutern. Die Kleinsten erhalten natürlich
ihr Märchen.

Die sorgfältige Ausnutzung des Buches
überträgt sich auch auf die Eltern. Meine
kleinen Erzähler erzählen auch zu Hause den
Eltern und vor allen den jüngeren Geschwistern.
Wo haben wir den" noch marchenerzählende
Mütter? Hier tut Auffrischung not. So
manche Mutter hat ans obige Weise sich wieder
ans ihre Pflicht besonnen, ihren Kindern nicht
nur leibliche Speise zu reiche".

"Die alten Geschichten hatte ich längst ver¬
gessen," sagte eine Mutter, "nun habe ich sie
von meine" Kindern wieder gelernt und muß
sie den Kleinsten alle Abend erzählen; sie
sind gar arg danach."

Hin und her im Winter an Sonntag¬
abenden läßt sich auch, wenn erst das Interesse
um Buch in einem Orte erwacht ist, ein Erzähl-
und Vorleseabend abhalten. Natürlich muß
mau ein guter Vorleser und Erzähler sei"
und keine langweiligen Sachen bringen.
Wichtig ist's auch, gute Schüler heranzuziehen.
Um das Buch in der Familie wirksam zu
machen ist's ratsam, die älteren Kinder znni
abendlichen Vorlesen anzuspornen. Das übt
die Lesefertigkeit und meist sind auch die Eltern
sehr damit einverstanden. So manche Mutter
hat darüber das Klatschen "ut der liebe"
Nachbarin und der Vater den Wirtshausbesuch
vergessen.

Wenn ich zum Schluß den Gewinn, den
nur die "Erzählstuude" in langjähriger Er¬
fahrung gebracht hat, summieren soll, so muß
ich sagen: Die "Erzählstunde" steuert dem
flüchtige" Überhinlese", den. Verschlingen,

[Spaltenumbruch]

lernt auf das Wesentliche achten, führt all¬
mählich zum Genuß des künstlerisch Ge¬
botenen, ist eine nachhaltige Ausprägung des
innerlich aufgenommene". Sie macht die
Kinder freier u"d aufmerksamer in ihrem
Wesen, mitteilsamer gegen Eltern und Lehrer,
bringt sie in innigere Verbindung mit ihre"
Erzieher" u"d verschafft dein Buch die rechte
Ausnützung. Lehrer und Bibliothekare haben
in ihr ein Mittel, volkserziehcrisch zu wirke".
Bei dem heutigen mehr äußerlichen Betriebe
des Bibliothekswesens gehen zwei Drittel der
gebotene" Werte verloren.

Paul Matzdor
Tagesfragen

Die Entwicklung der deutsche" Stndentcn-
und Schiilcrherbcrgcn. "Das Jahrzehnt der
Wanderfahrten" wird einst einmal ein Chronist
das laufende Dezennium nennen können. All¬
überall an Sonntage" und während der Som¬
merferien -- zuWeile" auch schon zur Zeit der
Wintersonnenwende -- begegnet uns el" Trupp
frischer Wandervögel i" oft recht Phantastischer
Gewandung, den Rucksack und allerhand Kessel-
und Topfgeschirr auf dem Rücken tragend,
allen voran der muntere Spielmnim mit
der vändergeschmückle" Zupfgeige. Wer, wie
Schreiber dieser Zeile", um einem prächtigen
Sommertag den stiminnngsreichen Reiz einer
Halvtngswanderung miterlebt hat, sogar vo"
den in Wald und Wiese zubereiteten Speisen
vorsichtig gekostet, sodann in der Herberge
abends an den feurigen Reden und Liedern
der begeisterten Jungmannschnft sich erfreut
hat, muß mit frohem Herze" die Überzeugung
gewinnen, daß der gärende Most sich zu edlem
Weine klären wird. Fürwahr, diese Wan¬
derungen sind von einer so anheimelnden und
kraftstrotzenden Poesie begleitet, daß wir mit
einem gewissen Gefühl des Neides an unsere
eigene Jugend zurückdenken, die sich allzusehr
in enge Stuben verkriechen mußte. Wohl
nnterncchmen auch wir Fußwanderungen wäh¬
rend der Ferien, doch beschränkte" sich diese
Ausflüge meistens auf drei bis vier Tage, da
die Kosten für Unterkunft und Verpflegung
die bescheidene Neiseknsse dann völlig geleert
hatten.

Dank der im Laufe von "umnehr acht¬
undzwanzig Jahre" im ganzen denische" Vater-

[Ende Spaltensatz]
Grenzboien II 1912
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Märchen zeigen, darf der Lektüre nicht fehlen.
Ein Wilhelm v. Potenz, ein Peter Rosegger
verstehen es meisterhaft, diese in ein eindrucks¬
volles, ja ergreifendes Gewand zu kleiden.

Es ist eine Freude zu sehen, wie durch
die „Erzählstnnde" das ganze Wesen der
Kinder freier wird, sie kommen auch mit
eigenen Beobachtungen und Gedanken schlie߬
lich heraus. Zum Schlich bitten sie mich,
zu erzählen. Ich tue es, um Interessantes
aus meiner Wochenlektüre oder aus meiner
Lebenserfahrung zu bringen. Gut ist's be¬
sonders, den älteren Schülern das „Welt¬
verstehen", die Einrichtungen des Staate?
u. n. durch leicht verständliche Beispiele zu
erläutern. Die Kleinsten erhalten natürlich
ihr Märchen.

Die sorgfältige Ausnutzung des Buches
überträgt sich auch auf die Eltern. Meine
kleinen Erzähler erzählen auch zu Hause den
Eltern und vor allen den jüngeren Geschwistern.
Wo haben wir den» noch marchenerzählende
Mütter? Hier tut Auffrischung not. So
manche Mutter hat ans obige Weise sich wieder
ans ihre Pflicht besonnen, ihren Kindern nicht
nur leibliche Speise zu reiche».

„Die alten Geschichten hatte ich längst ver¬
gessen," sagte eine Mutter, „nun habe ich sie
von meine» Kindern wieder gelernt und muß
sie den Kleinsten alle Abend erzählen; sie
sind gar arg danach."

Hin und her im Winter an Sonntag¬
abenden läßt sich auch, wenn erst das Interesse
um Buch in einem Orte erwacht ist, ein Erzähl-
und Vorleseabend abhalten. Natürlich muß
mau ein guter Vorleser und Erzähler sei»
und keine langweiligen Sachen bringen.
Wichtig ist's auch, gute Schüler heranzuziehen.
Um das Buch in der Familie wirksam zu
machen ist's ratsam, die älteren Kinder znni
abendlichen Vorlesen anzuspornen. Das übt
die Lesefertigkeit und meist sind auch die Eltern
sehr damit einverstanden. So manche Mutter
hat darüber das Klatschen »ut der liebe»
Nachbarin und der Vater den Wirtshausbesuch
vergessen.

Wenn ich zum Schluß den Gewinn, den
nur die „Erzählstuude" in langjähriger Er¬
fahrung gebracht hat, summieren soll, so muß
ich sagen: Die „Erzählstunde" steuert dem
flüchtige» Überhinlese», den. Verschlingen,

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lernt auf das Wesentliche achten, führt all¬
mählich zum Genuß des künstlerisch Ge¬
botenen, ist eine nachhaltige Ausprägung des
innerlich aufgenommene». Sie macht die
Kinder freier u»d aufmerksamer in ihrem
Wesen, mitteilsamer gegen Eltern und Lehrer,
bringt sie in innigere Verbindung mit ihre»
Erzieher» u»d verschafft dein Buch die rechte
Ausnützung. Lehrer und Bibliothekare haben
in ihr ein Mittel, volkserziehcrisch zu wirke».
Bei dem heutigen mehr äußerlichen Betriebe
des Bibliothekswesens gehen zwei Drittel der
gebotene» Werte verloren.

Paul Matzdor
Tagesfragen

Die Entwicklung der deutsche» Stndentcn-
und Schiilcrherbcrgcn. „Das Jahrzehnt der
Wanderfahrten" wird einst einmal ein Chronist
das laufende Dezennium nennen können. All¬
überall an Sonntage» und während der Som¬
merferien — zuWeile» auch schon zur Zeit der
Wintersonnenwende — begegnet uns el» Trupp
frischer Wandervögel i» oft recht Phantastischer
Gewandung, den Rucksack und allerhand Kessel-
und Topfgeschirr auf dem Rücken tragend,
allen voran der muntere Spielmnim mit
der vändergeschmückle» Zupfgeige. Wer, wie
Schreiber dieser Zeile», um einem prächtigen
Sommertag den stiminnngsreichen Reiz einer
Halvtngswanderung miterlebt hat, sogar vo»
den in Wald und Wiese zubereiteten Speisen
vorsichtig gekostet, sodann in der Herberge
abends an den feurigen Reden und Liedern
der begeisterten Jungmannschnft sich erfreut
hat, muß mit frohem Herze» die Überzeugung
gewinnen, daß der gärende Most sich zu edlem
Weine klären wird. Fürwahr, diese Wan¬
derungen sind von einer so anheimelnden und
kraftstrotzenden Poesie begleitet, daß wir mit
einem gewissen Gefühl des Neides an unsere
eigene Jugend zurückdenken, die sich allzusehr
in enge Stuben verkriechen mußte. Wohl
nnterncchmen auch wir Fußwanderungen wäh¬
rend der Ferien, doch beschränkte» sich diese
Ausflüge meistens auf drei bis vier Tage, da
die Kosten für Unterkunft und Verpflegung
die bescheidene Neiseknsse dann völlig geleert
hatten.

Dank der im Laufe von »umnehr acht¬
undzwanzig Jahre» im ganzen denische» Vater-

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Grenzboien II 1912
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[0205] Maßgebliches und Unmaßgebliches Märchen zeigen, darf der Lektüre nicht fehlen. Ein Wilhelm v. Potenz, ein Peter Rosegger verstehen es meisterhaft, diese in ein eindrucks¬ volles, ja ergreifendes Gewand zu kleiden. Es ist eine Freude zu sehen, wie durch die „Erzählstnnde" das ganze Wesen der Kinder freier wird, sie kommen auch mit eigenen Beobachtungen und Gedanken schlie߬ lich heraus. Zum Schlich bitten sie mich, zu erzählen. Ich tue es, um Interessantes aus meiner Wochenlektüre oder aus meiner Lebenserfahrung zu bringen. Gut ist's be¬ sonders, den älteren Schülern das „Welt¬ verstehen", die Einrichtungen des Staate? u. n. durch leicht verständliche Beispiele zu erläutern. Die Kleinsten erhalten natürlich ihr Märchen. Die sorgfältige Ausnutzung des Buches überträgt sich auch auf die Eltern. Meine kleinen Erzähler erzählen auch zu Hause den Eltern und vor allen den jüngeren Geschwistern. Wo haben wir den» noch marchenerzählende Mütter? Hier tut Auffrischung not. So manche Mutter hat ans obige Weise sich wieder ans ihre Pflicht besonnen, ihren Kindern nicht nur leibliche Speise zu reiche». „Die alten Geschichten hatte ich längst ver¬ gessen," sagte eine Mutter, „nun habe ich sie von meine» Kindern wieder gelernt und muß sie den Kleinsten alle Abend erzählen; sie sind gar arg danach." Hin und her im Winter an Sonntag¬ abenden läßt sich auch, wenn erst das Interesse um Buch in einem Orte erwacht ist, ein Erzähl- und Vorleseabend abhalten. Natürlich muß mau ein guter Vorleser und Erzähler sei» und keine langweiligen Sachen bringen. Wichtig ist's auch, gute Schüler heranzuziehen. Um das Buch in der Familie wirksam zu machen ist's ratsam, die älteren Kinder znni abendlichen Vorlesen anzuspornen. Das übt die Lesefertigkeit und meist sind auch die Eltern sehr damit einverstanden. So manche Mutter hat darüber das Klatschen »ut der liebe» Nachbarin und der Vater den Wirtshausbesuch vergessen. Wenn ich zum Schluß den Gewinn, den nur die „Erzählstuude" in langjähriger Er¬ fahrung gebracht hat, summieren soll, so muß ich sagen: Die „Erzählstunde" steuert dem flüchtige» Überhinlese», den. Verschlingen, lernt auf das Wesentliche achten, führt all¬ mählich zum Genuß des künstlerisch Ge¬ botenen, ist eine nachhaltige Ausprägung des innerlich aufgenommene». Sie macht die Kinder freier u»d aufmerksamer in ihrem Wesen, mitteilsamer gegen Eltern und Lehrer, bringt sie in innigere Verbindung mit ihre» Erzieher» u»d verschafft dein Buch die rechte Ausnützung. Lehrer und Bibliothekare haben in ihr ein Mittel, volkserziehcrisch zu wirke». Bei dem heutigen mehr äußerlichen Betriebe des Bibliothekswesens gehen zwei Drittel der gebotene» Werte verloren. Paul Matzdor Tagesfragen Die Entwicklung der deutsche» Stndentcn- und Schiilcrherbcrgcn. „Das Jahrzehnt der Wanderfahrten" wird einst einmal ein Chronist das laufende Dezennium nennen können. All¬ überall an Sonntage» und während der Som¬ merferien — zuWeile» auch schon zur Zeit der Wintersonnenwende — begegnet uns el» Trupp frischer Wandervögel i» oft recht Phantastischer Gewandung, den Rucksack und allerhand Kessel- und Topfgeschirr auf dem Rücken tragend, allen voran der muntere Spielmnim mit der vändergeschmückle» Zupfgeige. Wer, wie Schreiber dieser Zeile», um einem prächtigen Sommertag den stiminnngsreichen Reiz einer Halvtngswanderung miterlebt hat, sogar vo» den in Wald und Wiese zubereiteten Speisen vorsichtig gekostet, sodann in der Herberge abends an den feurigen Reden und Liedern der begeisterten Jungmannschnft sich erfreut hat, muß mit frohem Herze» die Überzeugung gewinnen, daß der gärende Most sich zu edlem Weine klären wird. Fürwahr, diese Wan¬ derungen sind von einer so anheimelnden und kraftstrotzenden Poesie begleitet, daß wir mit einem gewissen Gefühl des Neides an unsere eigene Jugend zurückdenken, die sich allzusehr in enge Stuben verkriechen mußte. Wohl nnterncchmen auch wir Fußwanderungen wäh¬ rend der Ferien, doch beschränkte» sich diese Ausflüge meistens auf drei bis vier Tage, da die Kosten für Unterkunft und Verpflegung die bescheidene Neiseknsse dann völlig geleert hatten. Dank der im Laufe von »umnehr acht¬ undzwanzig Jahre» im ganzen denische» Vater- Grenzboien II 1912

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/205>, abgerufen am 26.05.2024.