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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Die Not der Ärzte

nicht auch der ansässige Bauer, der doch unter der schweren Arbeit gar nicht
weniger zu leiden hat wie der Arbeiter.

Will man daher die Landflucht wirksam bekämpfen, so müssen in erster
Linie soziale Maßnahmen getroffen werden: Verbesserungen der Lebensbedingungen
des Laudarbeiters, Gewährung des Koalitionsrechts, Aufbesserung der Ernährung,
der Entlohnung, der ländlichen Wohnungen, Vermehrung der Volksbildung auf
dem Lande. Daneben soll die Landbevölkerung allerdings auch in sanitärer
Hinsicht gefördert werden, und sehr viel gibt es auch hier zu tun; so müßte
u. a. der Kampf gegen die Volkskrankheiten auf dem Lande, gegen Tuberkulose
und die Kindersterblichkeit viel energischer geführt werden; manche Unterlassungs¬
sünde ist hier gut zu machen.




Die Not der Ärzte
von Dr. F. Ritter

n der satirischen Literatur alter und neuer Zeit spielen die Ärzte
eine wenig beneidete Rolle. Noch kürzlich hat Shaw die ätzende
Lauge seines Spottes über sie ausgegossen, und vor längeren
Jahren machte es die "Jugend" ebenso. Hiervon abgesehen
merkte man wenig von ihnen, sie führten ein stilles Dasein und
begnügten sich mit dem gleichen Trost wie die Frauen, von denen bekanntlich die
die besten sind, von denen man nicht spricht. Leider hat sich das in den letzten
wahren zu ihrem Nachteil geändert; sie werden in der Presse, richtiger in einer
gewissen Presse, häufiger erwähnt, als ihnen lieb ist, und zwar werden sie meist
mit Worten bedacht, die niemand als Schmeicheleien auffaßt. Das ist doch auf¬
fallend; denn das große Publikum pflegt sich um die Lage einzelner Stände
wenig zu bekümmern.

Was ist nnn der Grund dieser wenig erbaulichen Erscheinung? Als
Antwort hierauf sollen im folgenden die Veränderungen geschildert werden,
die die ärztliche Tätigkeit dem Publikum gegenüber in den letzten fünfzig Jahren
erlitten hat, und die von den Ärzten als Verschlechterungen empfunden werden.
Sie liegen zu einem großen Teil nicht im Gange der regelmäßigen Entwicklung,
sondern sind ihnen von außen aufgedrängt worden.

Wie immer bei solchen Umwälzungen wirkte dabei eine ganze Reihe ver¬
schiedener Umstände mit. Den Beginn bildete das Verschwinden des alten
Hausarztes mit einem nicht gerade hohen, aber meist festen Honorar. Ver-


Die Not der Ärzte

nicht auch der ansässige Bauer, der doch unter der schweren Arbeit gar nicht
weniger zu leiden hat wie der Arbeiter.

Will man daher die Landflucht wirksam bekämpfen, so müssen in erster
Linie soziale Maßnahmen getroffen werden: Verbesserungen der Lebensbedingungen
des Laudarbeiters, Gewährung des Koalitionsrechts, Aufbesserung der Ernährung,
der Entlohnung, der ländlichen Wohnungen, Vermehrung der Volksbildung auf
dem Lande. Daneben soll die Landbevölkerung allerdings auch in sanitärer
Hinsicht gefördert werden, und sehr viel gibt es auch hier zu tun; so müßte
u. a. der Kampf gegen die Volkskrankheiten auf dem Lande, gegen Tuberkulose
und die Kindersterblichkeit viel energischer geführt werden; manche Unterlassungs¬
sünde ist hier gut zu machen.




Die Not der Ärzte
von Dr. F. Ritter

n der satirischen Literatur alter und neuer Zeit spielen die Ärzte
eine wenig beneidete Rolle. Noch kürzlich hat Shaw die ätzende
Lauge seines Spottes über sie ausgegossen, und vor längeren
Jahren machte es die „Jugend" ebenso. Hiervon abgesehen
merkte man wenig von ihnen, sie führten ein stilles Dasein und
begnügten sich mit dem gleichen Trost wie die Frauen, von denen bekanntlich die
die besten sind, von denen man nicht spricht. Leider hat sich das in den letzten
wahren zu ihrem Nachteil geändert; sie werden in der Presse, richtiger in einer
gewissen Presse, häufiger erwähnt, als ihnen lieb ist, und zwar werden sie meist
mit Worten bedacht, die niemand als Schmeicheleien auffaßt. Das ist doch auf¬
fallend; denn das große Publikum pflegt sich um die Lage einzelner Stände
wenig zu bekümmern.

Was ist nnn der Grund dieser wenig erbaulichen Erscheinung? Als
Antwort hierauf sollen im folgenden die Veränderungen geschildert werden,
die die ärztliche Tätigkeit dem Publikum gegenüber in den letzten fünfzig Jahren
erlitten hat, und die von den Ärzten als Verschlechterungen empfunden werden.
Sie liegen zu einem großen Teil nicht im Gange der regelmäßigen Entwicklung,
sondern sind ihnen von außen aufgedrängt worden.

Wie immer bei solchen Umwälzungen wirkte dabei eine ganze Reihe ver¬
schiedener Umstände mit. Den Beginn bildete das Verschwinden des alten
Hausarztes mit einem nicht gerade hohen, aber meist festen Honorar. Ver-


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[0381] Die Not der Ärzte nicht auch der ansässige Bauer, der doch unter der schweren Arbeit gar nicht weniger zu leiden hat wie der Arbeiter. Will man daher die Landflucht wirksam bekämpfen, so müssen in erster Linie soziale Maßnahmen getroffen werden: Verbesserungen der Lebensbedingungen des Laudarbeiters, Gewährung des Koalitionsrechts, Aufbesserung der Ernährung, der Entlohnung, der ländlichen Wohnungen, Vermehrung der Volksbildung auf dem Lande. Daneben soll die Landbevölkerung allerdings auch in sanitärer Hinsicht gefördert werden, und sehr viel gibt es auch hier zu tun; so müßte u. a. der Kampf gegen die Volkskrankheiten auf dem Lande, gegen Tuberkulose und die Kindersterblichkeit viel energischer geführt werden; manche Unterlassungs¬ sünde ist hier gut zu machen. Die Not der Ärzte von Dr. F. Ritter n der satirischen Literatur alter und neuer Zeit spielen die Ärzte eine wenig beneidete Rolle. Noch kürzlich hat Shaw die ätzende Lauge seines Spottes über sie ausgegossen, und vor längeren Jahren machte es die „Jugend" ebenso. Hiervon abgesehen merkte man wenig von ihnen, sie führten ein stilles Dasein und begnügten sich mit dem gleichen Trost wie die Frauen, von denen bekanntlich die die besten sind, von denen man nicht spricht. Leider hat sich das in den letzten wahren zu ihrem Nachteil geändert; sie werden in der Presse, richtiger in einer gewissen Presse, häufiger erwähnt, als ihnen lieb ist, und zwar werden sie meist mit Worten bedacht, die niemand als Schmeicheleien auffaßt. Das ist doch auf¬ fallend; denn das große Publikum pflegt sich um die Lage einzelner Stände wenig zu bekümmern. Was ist nnn der Grund dieser wenig erbaulichen Erscheinung? Als Antwort hierauf sollen im folgenden die Veränderungen geschildert werden, die die ärztliche Tätigkeit dem Publikum gegenüber in den letzten fünfzig Jahren erlitten hat, und die von den Ärzten als Verschlechterungen empfunden werden. Sie liegen zu einem großen Teil nicht im Gange der regelmäßigen Entwicklung, sondern sind ihnen von außen aufgedrängt worden. Wie immer bei solchen Umwälzungen wirkte dabei eine ganze Reihe ver¬ schiedener Umstände mit. Den Beginn bildete das Verschwinden des alten Hausarztes mit einem nicht gerade hohen, aber meist festen Honorar. Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/381>, abgerufen am 26.05.2024.